Nur Nebenrollen und Sozialarbeit

■ Verdanken die Französinnen den langen Ausschluß aus der Politik der Revolution? / Das Verbot, Waffen zu tragen, besiegelte ihre „Inkompetenz“ / Die Politikerinnen heute sind die Supersozialarbeiterinnen der Nation

Mariette Sineau

Frankreich, das als erste europäische Nation 1848 das allgemeine Wahlrecht für Männer eingeführt hat, befindet sich mit der Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts für Frauen im Jahre 1944 weit in der Nachhut - zwölf Länder waren ihm in dieser Frage vorangegangen. Heute kann Frankreich sich des männlichsten, wenn nicht frauenfeindlichsten politischen Personals in Europa rühmen. Wo liegt die Ursache? Manche erklären diese Verspätung mit der konstitutiven Schwäche des französischen Feminismus, der es (wie auch der englische Feminismus) nie geschafft hat, als Massenbewegung und politische Lobby aufzutreten. Zum Teil ist diese Vermutung richtig.

Die Frage ist aber, ob die Französinnen ihren langen Ausschluß aus der Politik nicht auch und vor allem dem grundlegenden Ereignis schlechthin verdanken: der Revolution. Die Revolution gesteht ihnen zwar erstmals individuelle Bürgerrechte zu - die im Code Napoleon von 1804 schnell wieder abgeschwächt werden -, verweigert ihnen aber die politischen, die der Nationalkonvent nach Art der antiken Republiken an das Recht bindet, Waffen zu tragen: Im selben Jahr 1793 untersagt er den Frauen den Zugang zu politischen Vereinigungen und entläßt die Frauen, die in der Armee angemustert hatten. Damit besiegelt er für anderthalb Jahrhunderte oder länger das Prinzip ihres politischen Ausschlusses und/oder ihrer „Inkompetenz“ in diesem Bereich.

Die Republikaner der späteren Generationen - darunter die radikalen Senatoren der Dritten Republik - begründen die Verweigerung des Frauenwahlrechts einfach mit der klerikalen Gefahr. (Bis zum Fall des Regimes im Jahr 1940 wähnt man das „andere Geschlecht“ unter dem Einfluß der Kirche und stellt das Frauenwahlrecht als Gefährdung der Republik hin.)

Noch heute zeigen die Politiker keine übertriebenen Gewissensbisse, wenn es darum geht, das Monopol ihrer politischen Kompetenz zu verlängern - nur zögernd akzeptieren sie, daß Frauen in „ihren“ Spielen mitmischen. Als fühlten sie sich unbewußt und nach dem Vorbild ihrer großen Vorgänger dazu verpflichtet, den männlichen Charakter von Politik zu erhalten. Die strenge Aufteilung der Geschlechterrollen, die im 18. Jahrhundert festgelegt und im 19. zementiert wurde, läßt sich bis zum Ende unseres Jahrhunderts verfolgen. Zwar sind die Frauen zuletzt in den politischen Bereich eingelassen worden, aber der Übergang vom liberalen zum Wohlfahrtsstaat hat die alten Ausschlüsse nicht aufgehoben. Es ist leicht zu bemerken, daß sich die Politikerinnen im heutigen Frankreich, die nur eine ganz kleine Minderheit darstellen, zumeist als Politiker zweiten Grades angesehen fühlen, eine Art Supersozialareiterinnen, die es in die Politik verschlagen hat. Letzte Zuflucht der Männlichkeit

In den Parlamenten glänzen die Französinnen vor allem durch Abwesenheit: sechs Prozent in der Assemblee nationale (Nationalversammlung), drei Prozent im Senat, vier Prozent in den Conseils generaux (den Abgeordnetenhäusern der Departements). In den Stadtversammlungen sind sie zwar besser vertreten, aber weniger als sechs Prozent der Rathäuser haben eine Frau an ihrer Spitze. Nur in den neugeschaffenen Häusern, dem Europaparlament einerseits und den Conseils regionaux andererseits ist ihnen mit 21 und zehn Prozent ein gewisser Durchbruch gelungen.

In der Regierung (sechs von 47 Mitgliedern, gleich 13 Prozent) und in den Ministerialkabinetten sind sie zahlreicher. Da ihnen der Weg der allgemeinen Wahl so verstellt ist, bevorzugen sie den der Diplome und der „Kompetenz“ und setzen sich eher durch Ernennung durch als durch die Wahl. Heikle Alternative, denn so sind sie der Willkür der „Prinzen, die uns regieren“, unterworfen.

Wer den politischen Ausschluß der Französinnen anprangern will, findet im internationalen Vergleich nur weitere Argumente (s. Tabelle). Nach dem Prozentsatz der Frauen in der Assemblee nationale liegt Frankreich auf dem 17. Platz der Länder des Europarats. Daß es dabei weit hinter den skandinavischen Ländern oder den Niederlanden rangiert, die für ihren Feminismus bekannt sind, ist nicht überraschend. Erstaunlicher ist schon, daß es noch schlechter dasteht als die Länder, die ihm „ähneln“, weil sie auch katholisch und/oder romanisch sind (Irland, Portugal, Italien). Sogar die Schweiz, die sich dem Zugang der Frauen zur Politik noch länger widersetzte, hat einen höheren Frauenanteil.

Seit vierzig Jahren sind die Frauen in der Ausbildungs- und beruflichen Hierarchie weit aufgestiegen. In der Politik treten sie auf der Stelle oder sind gar zurückgefallen. So im Parlament. Während sich der Frauenanteil in den Parlamenten der Nachbarländer zunächst langsam und seit den siebziger Jahren immer schneller vergrößert hat.

Selbst-Herrlichkeit

Warum ist nach vierzig Jahren der politschen Frauenrechte die Gleichheit in Frankreichs politischen Institutionen weder erreicht noch wirklich anerkannt? Glaubt man den Untersuchungen, die ich darüber machte, gibt es keinen Zweifel: Die politische Macht wird auch heute noch von den meisten Männern als die männliche Macht schlechthin betrachtet. Als zwangsläufige Folge dieser Geisteshaltung gelten ihnen Frauen, die es wagen, ihr legitimes Monopol anzutasten, als Usurpatorinnen - sie übertreten zwei eherne Prinzipien, das der Hierarchie der Geschlechter und das ihrer Arbeitsteilung. Es ist frappierend zu sehen, wie sehr die männliche Selbstherrlichkeit des Milieus bis ins alltägliche politische Vokabular durchscheint. Gaston Defferre nennt die Führer der Rechten „falsche Jungfern“, Raymond Barre wagt den Spruch: „Mit den Städten ist es wie mit den Frauen - es reicht nicht, sie zu verführen, man muß sie auch zu nehmen wissen.“

Die aufs Pflichtteil gesetzten Politikerinnen sehen sich in eine Art Spezialisierung gezwungen, die sie zu den Nebenrollen oder guten Werken verdammt.

Es ist eine bekannte historische Tatsache, daß die Frauen an der Errichtung des Wohlfahrtstaats bestimmenden Anteil hatten: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beginnt der Staat (wie übrigens auch die Kirche) die „soziale Macht“ der (bürgerlichen) Frauen zu rühmen. Zunächst erklärt er sie zu Müttern, was ihnen in der häuslichen Sphäre gößere und neue Macht verleiht, um sie in der zweiten Phase aufzuforden, den häuslichen Bereich zu verlassen und draußen philanthropische Aufgaben zu übernehmen. Die den Frauen derart aufgedrängte soziale Macht war zugleich ein bequemer Vorwand für den Entzug aller politischen Macht und Rechte. Jedem Geschlecht seinen Einflußbereich, und der Republik geht es gut... Man rief gar das Prinzip (die Fiktion) der Gleichheit in der Differnz an, um diese Trennung zu rechtfertigen.

Heute werden die Frauen für die einst ehrenamtlich wahrgenommenen Funktionen vom Staat bezahlt - als Krankenschwestern, Lehrerinnen oder Sozialarbeiterinnen... Aber die allgemeine Ausbreitung des Wohlfahrtsstaats hat auf politischer Ebene die „spontane“ Wiederaufrichtung der alten Trennung zwischen dem Männlich-Politischen und dem Weiblich -Sozialen - bei Vorrang des Politischen vor dem Sozialen nur begünstigt. Den wenigen Frauen, die eine Rolle auf der politischen Bühne beanspruchten, fielen „naturgemäß“ die Probleme in den Schoß, mit denen sie bis dahin in der Famile befaßt waren... Sehen wir uns die von Frauen bekleideten Ministerämter seit 1945 an: Den Männern oblagen die Äußeren Angelegenheiten, Verteidigung, Inneres, Justiz, Wirtschaft, Finanzen, kurz: alle Funktionen, in denen sich staatliche Souveränität verkörpert. Die Frauen unterdes: Sozial-, Familien-, Kulturministerinnen, mit der einzigen Ausnahme Edith Cressons, nacheinander Landwirtschafts- und Industrieministerin und heute Ministerin für Europafragen. Strategiefragen

für Frauen obszön

Diese Festschreibung der politischen Rollen ist eine Weise, den Frauen Zutritt zur eigentlich politischen Sphäre zu verwehren oder ihn, wenn er schon vollzogen ist, zumindest zu verwischen. Denn darum geht es. „Wenn man mit ihnen über politische Strategie spricht“, erzählt Monique Pelletier (Ministerin unter Valery Giscard d‘ Estaing), „sehen sie einen an, als hätte man etwas Obszönes gesagt. Die politische Klasse ist der Ansicht, daß Frauen zwar sehr wohl gute Verwalterinnen ihrer Ministerien sein können, daß sie sich aber vor allem nicht in politische Strategie einmischen sollten.“

Diese horizontale Teilung der Macht zwischen den Geschlechtern wird überlagert von einer Vertikalen, die Subalternes den Frauen, Leitungspositionen den Männern zuordnet. Als Kämpferinnen an der Basis und selbst als Stadtverordnete werden Frauen von den Parteien mit offenen Armen willkommen geheißen. Soll aber ein Machtposten besetzt werden, so häufen sich die Hindernisse, die den Frauen bewußt oder unbewußt in den Weg gestellt werden. Erinnern wir an die Zahl der Frauen, die nach den letzten Kommunalwahlen im März 1989 zu Bürgermeisterinnen von Großstädten ernannt wurden: weniger als zehn. Betrachten wir den Conseil Constitutionnel, das Verfassungsgericht: Seit seiner Einrichtung im Jahr 1958 hat es keine einzige Berufung einer Frau gegeben. Schließlich die Parteiapparate: die Unterrepräsentation von Frauen in den Leitungsgremien ist offensichtlich. Man hat die Offenheit Huguette Bouchardeaus noch deutlich vor Augen, die nach ihrer Wahl an die Spitze der kleinen PSU (Parti socialiste unitaire) erklärte: „Wenn sich diese Partei eine Frau zur Generalsekretärin wählt, dann liegt das daran, daß sie kein ausreichendes Machtpotential darstellt.“

Wie lange noch wird man die Frauen von der Macht fernhalten und - mit einigen Ausnahmen - als unbefugt ansehen? Yvette Roudy (Frauenministerin von 1981 bis 1986) hat mit ihren Gesetzesinitiativen eine Niederlage erlitten. Am 18.November 1982 entschied das Verfassungsgericht gegen den Gesetzesartikel, der einen Frauenanteil von mindestens 25 Prozent unter den Kandidaten zu den Kommunalwahlen vorsah. Das Prinzip der gesetzlichen Quotierung, so die neun „Weisen“ des Gerichts, sei zurückzuweisen, und zwar im Namen der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, die von der Menschen- und Bürgerrechtserklärung von 1789 garantiert werde.

Lächerliche Quotierungsbeschlüsse

Bleiben also die Initiativen der politischen Parteien. Ernüchternd! Zu Optimismus besteht kaum Anlaß. Aufmerksamkeit haben die Parteien den Frauen immer nur als Wählerinnen, nie wirklich als wählbare Personen gewidmet. Was hat die Rechte getan, um die Rolle der Frauen in der Politik zu vergrößern? So gut wie nichts. Auf der Linken hat einzig die Kommunistische Partei immer schon darauf geachtet, eine große Zahl von Kandidatinnen zur Wahl zu stellen. Die Sozialistische Partei hat ihrerseits Neuerungswillen gezeigt, als sie eine Quotierung in ihre Statuten aufnahm. Aber was nutzt eine - unbeachtete - Quote von 20 Prozent, wenn die meisten anderen großen sozialdemokratischen Parteien schon Quoten von 40 Prozent Frauen in Leitungspositionen anwenden?

In der Geschäfts- wie in der politischen Welt ist der Frauenanteil zu einem Gradmesser der Modernität geworden. Wird man im europäischen Maßstab die Länder bald danach unterscheiden, ob sie sich wie Frankreich in die Bedeutungslosigkeit begeben, weil sie ihre Institutionen für Frauen verschließen, oder ob sie in dieser Frage vorangehen wie Skandinavien und neuerdings auch die Bundesrepublik Deutschland und Italien?

Aus dem Französischen von

Thierry Chervel

(Die Autorin ist Mitarbeiterin der renommierten Haute Ecole de Sciene Sociale, Paris)