Vor dem Gipfel: Ratlose Solidaritätsbewegung

■ Auf die Vorschläge von US-Finanzminister Nicholas Brady zur Schuldenreduzierung hat die Dritte-Welt-Bewegung bislang keine Antwort gefunden

Acht Monate nach den erfolgreichen Aktivitäten um die Jahrestagung von IWF und Weltbank sind die Seiten der Wirtschaftspresse voll von Diskussionen über Schuldenstreichung - und die Dritte-Welt-Bewegung, die diese Forderung mit Wucht in die Öffentlichkeit getragen hatte, schweigt. War das, was allenthalben als Bewegungshöhepunkit empfunden wurde, nicht mehr als der sprichwörtliche „Sturm im Wasserglas“? Rainer Falk fragt nach den Chancen und Perspektiven der Weiterarbeit am Thema Schuldenkrise. Der Beitrag ist (leicht gekürzt) mit freundlicher Genehmigung dem „Informationsbrief Weltwirtschaft und Entwicklung“ des „Antiimperialistischen Solidaritätskomitee“ (Hamburg) entnommen.

Es ist schon paradox, in welchem Maße sich die Debatte über die Schuldenproblematik inzwischen nach Washington, an den Sitz der beiden internationalen Finanzinstitutionen und der US-amerikanischen Regierung oder in den engen Zirkel von Bankiers verlagert hat, während die AktivistInnen der IWF/Weltbank-Kampagne in ein tiefes Loch gefallen zu sein scheinen. Natürlich konnte nicht damit gerechnet werden, das Niveau der Aktivitäten auf dem spektakulären Stand vom letzten Herbst zu halten.

Aber mehr als eine von der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommene Presseerklärung einiger Unermüdlicher zur Frühjahrstagung von IWF und Weltbank im letzten Monat hätte man erwarten können von einer Bewegung, die sich bewußt nicht auf ein einmaliges Groß-Ereignis orientieren, sondern die herrschenden Strukturen der Weltwirtschaft grundsätzlich in Frage stellen und die Diskussion um grundlegende Alternativen zum herrschenden Status quo auch längerfristig beleben wollte.

Mangelnder Realitätsbezug:

Eine Stärke der Dritte-Welt-Bewegung ist zweifellos ihre Fähigkeit, radikale Utopien und Visionen zu formulieren. Diese wird jedoch dann zur Schwäche, wenn sie sich nicht mit dem Nachweis von konkreten Ansatzpunkten zu Veränderungen verbindet. Die gegenwärtige Nicht-Reaktion auf die durch den Brady-Plan eingeleitete neue Phase des Schuldenmanagements illustriert die weit verbreitete Unfähigkeit oder auch Aversion, Bruchstellen und Widersprüche im herrschenden Krisenmanagement wahrzunehmen und als Ansatzpunkte zur Erhöhung des politischen Drucks zu nutzen.

So richtig es ist, daß der Brady-Plan an wichtigen Elementen der bisherigen Schuldenstrategie (Fall-zu-Fall -Ansatz, Konditionalitätsprinzip, Marktorientierung) festhält und sie sogar noch verstärkt, so wenig darf übersehen werden, daß er in seinem Kern eine konzeptionelle Wende beinhaltet: War bislang davon ausgegangen worden, daß es sich bei der Schuldenkrise um ein vorübergehendes Liquiditätsproblem handele, so wird jetzt eingestanden, daß es dauerhafte Solvenzprobleme sind, die mit „neuem Geld“ nicht überbrückt werden können, sondern eine substantielle Reduktion der Schuldenlast erfordern. Die Uneinbringbarkeit der ausstehenden Kredite wird also prinzipiell anerkannt.

Unter diesem wesentlichen Aspekt gesehen, ließ die Frühjahrstagung von IWF und Weltbank mehr Fragen offen, als sie beantwortet hat. Ungeklärt blieb nicht nur, wieviel Geld für die notwendige Schuldenreduktion verfügbar ist und wer dieses aufbringt, sondern auch, wer die damit verbundenen Verluste trägt, wie der Finanzfluß in die Schuldnerländer durch Eingriffe in den Schuldenstand tangiert wird und nach welchen Kriterien die Schuldnerländer ausgewählt werden, die von Schuldenerleichterungen profitieren sollen. Auf alle diese Fragen wird aber jede Schuldenstrategie, die auf Erleichterungen für die betroffenen Länder und Völker zielt, konkrete Antworten formulieren müssen.

Mangelndes

Konkretionsniveau:

Die Dritte-Welt-Bewegung hat jedoch mit der Entwicklung der internationalen Schuldendiskussion nicht Schritt gehalten, sondern beschränkt sich (bestenfalls) aufs Kommentieren oder die stereotype Wiederholung der Forderungen, auf die sie sich einmal geeinigt hat (globale Schuldenstreichung plus neue Weltwirtschaftsordnung). Gefordert wären aber gerade ausdifferenziertere Lösungsvorschläge, die geeignet sind, gezielt in die internationale Diskussion einzugreifen. Das muß kein Abgleiten in die Rolle des Ratgebers für technokratische Reparaturen an einem „maroden Weltwirtschaftssystem“ oder des Stichwortgebers für das herrschende Krisenmanagement bedeuten.

In diesem Zusammenhang wäre es zum Beispiel sinnvoll, wie das holländische „Forum on Debt and Development“ vorgeschlagen hat, die Anstrengungen zunächst auf die Umkehr des Ressourcentransfers zu konzentrieren, der im letzten Jahr in Süd-Nord-Richtung erneut zugenommen hat. Eine solche Orientierung dürfte aber weder um die Zinsenproblematik einen Bogen machen, noch die Forderung nach einer substantiellen Steigerung von Transferleistungen an den Süden einfach mit dem Hinweis auf den sicherlich problematischen Charakter solcher Leistungen („Entwicklungshilfe neokoloniale Einflußnahme“) vom Tisch wischen.

Gerade der Brady-Plan macht konkretere Überlegungen in diese Richtung erforderlich; denn in seimem Gefolge könnte selbst bei optimaler Realisierung nur mit einer Zinsenreduktion von maximal sieben Milliarden Dollar (bei einem Zinsendienst von insgesamt 40 Milliarden Dollar im Jahre 1987!) gerechnet werden, und zwar frühestens in drei Jahren und nur unter der Voraussetzung, daß die Zinssätze nicht weiter steigen, was sie gegenwärtig freilich tun.

„Heilige Kühe“

Auf Dauer gesehen scheint es auch fraglich, an der pauschalen Ablehnung jeglicher Anpassungsmaßnahmen festzuhalten (vgl. dazu den provozierenden Aufsatz von Rober Peltzer) oder Schuldenumwandlungen (Swaps) jeglicher Art und unter allen Umständen wegen deren Instrumentalisierung für Zwecke der Rekolonialisierung zu verwerfen. Gewiß ist dies aktuell vorherrschende Tendenz. Gerade weil die Dritte-Welt -Bewegung jedoch die Gefahr einer wachsenden Funktionalisierung aller Formen des öffentlichen Ressourcentransfers für die Durchsetzung der herrschenden Anpassungs- und Konditionalitätspolitik klar sehen muß, wird sie mittelfristig um die Formulierung einer „alternativen Anpassungskonzeption“ nicht herumkommen.

Dabei ist sie freilich mit dem doppelten Dilemma konfrontiert, daß Konzepte „alternativer Anpassung“ gegenwärtig kaum in Sicht, geschweige denn breit und ernsthaft diskutiert sind und daß die Durchsetzung derartiger Alternativen nur als Ergebnis eines demokratischen Verhandlungsprozesses im internationalen Rahmen und bei einer entsprechenden Bereitschaft politischer Kräfte in den Schuldnerländern denkbar ist. In jedem Falle setzt Letzeres die Bereitschaft voraus, neu über Modelle der Demokratisierung internationaler Organisationen nachzudenken, einschließlich des Verhältnisses von IWF, Weltbank und anderen multilateralen Banken einerseits und dem sonstigen UN-System andererseits sowie der Rolle von Nichtregierungsorganisationen und oppositionellen politischen und sozialen Bewegungen in diesen Institutionen.

Mangelnde internationale

Zusammenarbeit

Gerade in der durch die Brady-Initiative eingeleitete Phase des Schuldenmanagements besteht die akute Gefahr, daß die Bereitschaft zur kollektiven Gegenwehr unter den Schuldnern weiter abnimmt, ja jedes Land darum buhlen (und entsprechende Zugeständnisse machen) wird, am meisten von dem (insgesamt viel zu kleinen) Kuchen abzubekommen. Diesem Hang zum Alleingang entspricht in gewisser Hinsicht der Umstand, daß die Verschuldungs- und IWF-Kampagne im letzten Jahr zwar sehr spektakulär war und auch in die internationale Öffentlichkeit ausstrahlte, aber so gut wie nicht international abgestimmt und letzlich doch im nationalstaatlich bornierten Rahmen organisiert worden war.

Unbestreitbar ist, daß die Dritte-Welt-Bewegung auch hier dem international konzertierten Handeln von Konzernen, Banken, Regierungen und Finanzinstitutionen meilenweit hinterhinkt. So gibt es zum Beispiel keine nennenswerte bundesdeutsche Mitarbeit bei der Vorbereitung von Gegenaktivitäten zum G-7-Treffen in Paris, etwa dem Other Economic Summit. Auch Vernetzungsbestrebungen im westeuropäischen Rahmen wie die FONDAD-Initiative „Towards Concerted European Action on Debt“, die auf eine EG -Initiative zu den privaten Bankschulden der Entwicklungsländer zielt, werden von der bundesdeutschen Solidaritätsbewegung kaum wahrgenommen, von eigenen Initiativen in dieser Richtung ganz zu schweigen.