Vive la Revolution!

Frankreich feiert heute die Revolution. Feiern die Deutschen mit?  ■ K O M M E N T A R E

Zwischen Tür und Angel will ich euch prophezeien: die Statue der Freiheit ist noch nicht gegossen, der Ofen glüht, wir alle können uns noch die Finger dabei verbrennen“, läßt Georg Büchner seinen Danton sprechen. Zugegeben, wer will sich heute noch die Finger verbrennen? Wer wollte es je? Die Deutschen, so läßt die Geschichte vermuten, sind nicht für Revolutionen gemacht. Wer feiert heute Kurt Eisner und Rosa Luxemburg? Unsere großen Revolutionäre, bei Marx angefangen, saßen meist hinter Schreibtischen. Zu ihren Todestagen gibt es alle zehn Jahre vielleicht ein Universitätsseminar. Das ist in Frankreich anders. Dort feiern sie heute die Revolution. Können die Bundesdeutschen das verstehen?

Diesseits des Rheins spottet man über Mitterrand. Komisch nur, daß Linke und Rechte sich darin nicht voneinander unterscheiden. Frankreich wird gesehen, wie die Preußen einst Napoleon sahen - größenwahnsinnig und in sich selbst verliebt. Froh sind die Deutschen, daß Mitterrand zwar Bonaparte spielen kann, mehr aber nicht. Belächelt wird der französische Nationalstolz, samt Triumphbogen und Trikolore. Wer schimpft nicht über das Umweltbewußtsein der Franzosen, ärgert sich nicht über Atomraketen und Cattenom? Welcher Bundesdeutsche käme da schließlich noch auf den Gedanken, mit den Franzosen gemeinsam ihre Revolution zu feiern?

Es gibt tatsächlich Gründe, das Jubiläum mit Abstand zu betrachten. Wer feiert heute, was wird gefeiert und was nicht? Viele Franzosen haben sich diese Fragen bisher offenbar nicht gestellt. Als konstitutioneller Monarch oder auch als republikanischer „Gott“, wie ihn Frankreichs älteste Zeitung, der satirische 'Canard Enchaine‘ Woche für Woche verhöhnt, dirigiert Fran?ois Mitterrand die staatlichen Revolutionszeremonien. Niemand hat ihm diese Rolle streitig gemacht - mit Ausnahme derer, die am letzten Wochenende gegen Hunger und für den Schuldenabbau in der Dritten Welt demonstrierten.

Doch es ist nicht Mitterrand, der die Feiern verfälscht. Seine These, daß die Revolution ein „Block“ der Jahre 1789 bis 1794 sei, daß es unserer Zeit nicht anstehe, einen Robespierre oder Saint-Just zu „beschimpfen“, macht den Präsidenten im Frankreich von 1989 zum wichtigsten Anwalt eines radikalen Revolutionsverständnis. Mitterrand bejaht die Revolution als etwas Ganzes, Lebendiges, das wie alle menschlichen Erfahrungen Glanz und Tragödie kennt.

Ganz anders kommt der französische Zeitgeist daher. Politiker der großen Parteien ziehen großzügige Linien von Robespierre über Stalin nach Pol Pot. Intellektuelle kriminalisieren die Gewalt der Revolutionsjahre - als ob es die Gegengewalt der Konterrevolution nie gegeben hätte. In der Vendee, dem damals aufständischen Departement, hätte ein Völkermord stattgefunden, vergleichbar nur mit Auschwitz. Das weiß inzwischen jeder Franzose. Historiker fügen hinzu, die Revolution sei gar nicht nötig gewesen, man schaue nur nach England oder den USA. Es sind allesamt große Namen, die so reden, von Furet über Glucksmann bis Le Pen. Doch ihr Geschwätz gehört in die Bierstuben der deutschen Biedermeierzeit zu Beginn des letzten Jahrhunderts.

Darin liegt das Drama der 200-Jahr-Feiern: Frankreichs Linke hat sich der Revolution selbst beraubt. Sie hat ihre eigene Geschichte verdrängt. Alle reden von 1789 und den Menschenrechten, und nur die Kommunisten feiern Robespierre. Wer aber spricht von der Junirevolution 1848, von der „größten geschichtlichen Krise, die je eklatiert hat“, wie Marx befand? Nie hat die französische Linke ihre großen geschichtlichen Niederlagen 1848 und 1871 (Pariser Kommune) überhaupt zur Kenntnis genommen. Dem Mai 1968 ist es in jüngsten Jahren nicht anders ergangen. Nicht zufällig sind es die Revolutionäre von gestern, die heute den Revisionismus predigen. Ihnen und zuvor allen Generationen seit 1848 hatte die marxistische Dogmatik vorgeschrieben, daß auf die bürgerliche nur die sozialistische Revolution folgen könne. Damit ließ man den geschichtlichen Revolutionsbegriff auf 1789, der Bürgerlichen, beruhen. Nur 1917 zählte später noch.

Wenn schon die Franzosen nichts mehr von der Revolution wissen wollen, was fangen die Bundesdeutschen damit an? Immer haben wir uns die Revolution aus Frankreich geborgt. 200 Jahre lang wirkte Frankreich wie eine politische Droge auf die deutschen Verhältnisse. Wer heute über die Öko -Arroganz und den Atomtick Frankreichs schimpft, vergißt allzu leicht, daß die ungeheuren, quasi-revolutionären Ereignisse im Pariser Mai 1968 letztlich auch einer bundesdeutschen Ökologie- und Friedensbewegung den historischen Elan gaben. Durchaus kann die bundesdeutsche Linke in die französische Revolutionsfeier miteinstimmen. Denn niemals war Frankreich ein Modell der deutsche Konservativen. „Wie ich die Freiheit liebe, liebe ich Frankreich“, jauchzte Heinrich Heine. Von ihm aber wußte man auch: Er liebte die Revolution.

Revolutionen brechen aus und sind unwiderstehlich, wenn sich herausgestellt hat, daß die Macht auf der Straße liegt“, schreibt Hannah Arendt über 1789. Im Juni 1989 lag in Peking die Macht für kurze Zeit auf der Straße. Doch nur unbeholfen blieb der Umgang der westlichen Linken mit dieser Situation. Auch heute kommt die Linke ohne Revolutionsverständnis nicht weiter. Die Franzosen können warten, schließlich hatten sie ihr revolutionäres Ereignis. Die Bundesdeutschen müssen nachdenken. Vive la Revolution!

Georg Blume