Der Kohl for Nature Swap

Helmut Kohl hat nachgerechnet, und befunden, daß die alte Metapher aktualisiert werden muß. Nicht mehr fünf, sondern „zwei Minuten vor zwölf“ sei nunmehr die genaue Uhrzeit, was die Rettung der Umwelt auf unserem Planeten angeht - unter Umständen aber auch seine Amtszeit. So will er schnell noch etwas Gutes tun. Zum zweiten Mal nach dem Vorjahresgipfel in Toronto macht er sich dafür stark, daß das Thema Ökologie auf die Tagesordnung gesetzt wird. FCKW und Kohlendioxid sollen auf den Index. Viel mehr noch hat sich Kohl jedoch den Schutz des Regenwaldes auf die Fahnen geschrieben, unter denen er in Paris einlaufen will. Eines kann ihm dabei nicht abgesprochen werden: Auch er hat dazu beigetragen, daß die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisiert ist, was für entsprechende Boykott- oder Verzichtsaktionen nur gut sein kann. Inzwischen träumt er von einer Art „Charta in Sachen Tropenwald“ („Kohl-Charta“?), wie ein Mitarbeiter weiß.

„Debt for Nature Swaps“ sei die „Zielrichtung des Kanzlers“ für Paris, heißt es im Bundespresseamt. Das Instrument ist seit zwei Jahren Praxis. Dabei handelt es sich um ein Geschäft Schuldenerlaß gegen Umweltarbeit. Eine Gläubigerbank verkauft einer finanzkräftige Umweltorganisation eine Kreditforderung gegenüber einem Schuldnerland mit gehörigem Discount. Die Ökogruppe verzichtet auf Rück- und Zinszahlung in harten Dollars unter der Bedingung, daß ein entsprechender Betrag in Landeswährung für Umweltmaßnahmen eingesetzt wird. Im Sommer 1987 hatte die Chase Manhattan Bank und die US-Organisation Conservation International mit einer ursprünglichen Schuld von 650.000 Dollar, die für 100.000 Dollar „über den Tisch“ gingen, gemeinsam dafür gesorgt, daß es jetzt ein Projekt „Erweiterung eines Naturschutzparkes“ im bolivianischen Wald gibt. Und die Bank ist durch ihr Sonderangebot die Sorge los, ob man jemals wieder Geld aus dem zahlungsunfähigen Bolivien sieht. Seither sind ähnliche Initiativen in Ecuador, Costa Rica, den Philippinen und anderen Ländern gestartet worden.

Vor zwei Monaten schenkte die Deutsche Bank dem Worldwide Funds for Nature 1,6 Millionen aus Schuldenrückzahlungen und Zinsen von Madagaskar mit der Auflage, damit im Lande Maßnahmen zum Schutze des Waldes einzuleiten. Noch am Rande der Berliner IWF-Tagung im vergangenen September hatte Bankchef Alfred Herrhausen eine solche Variante als „kontraproduktiv“ bezeichnet. Im übrigen: „Wir sind kein karitatives Institut.“

Zwar kommt eine im Auftrag des Bundeskanzlers erstellte Expertise („Oberndörfer-Studie“) vom vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, daß die staatlichen Kredite aufgrund fester Verträge nicht Gegenstand von Debt for Nature Swaps sein können. Doch dies bezeichnet Manfred Obländer vom Bundespresseamt als die Sichtweise eines Wissenschaftlers. Das Gegenteil hätte die Bundesregierung bewiesen, als sie im Frühjahr Kenia öffentliche Schulden in Höhe von 817 Millionen Mark gegen die Zusicherung erlassen habe, Maßnahmen gegen die Bodenerosion einzuleiten.

Selbst dieser mit Abstand bislang größter „Nature Swap“ kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieses Instrument bisher nur unwesentlich zur Schuldenverringerung beigetragen hat, den Zwang zum Export und mithin die wirtschaftliche Verwertung auch des Tropenwaldes kaum tangiert. Zumeist handelt es sich um zweistellige Millionensummen bei einer Gesamtschuldenlast von 1.200 Milliarden Dollar. Zwar können einige Gegenargumente gegen Debt for Nature kaum ihren moralischen Impetus verbergen, der der Notwendigkeit auch zu kurzfristig realistischen Maßnahmen nicht gerecht wird: Wenn etwa „Freunde der Erde“ beklagt, daß mit den Swaps die Verschuldungssituation grundsätzlich legitimiert werde, oder die Grünen bemängeln, daß Bioreservate und Naturschutzparks billige Kompensationen für die Verschuldungsbedingte Umweltzerstörung seien. Immerhin verfängt bislang noch das Gegenargument des Ökokolonialismus, wenn jetzt Umweltorganisationen anstelle von Banken befinden, wo es langgeht in den Schuldnerländern.

Entscheidender ist jedoch, daß es gerade den allerärmsten Ländern nicht viel hilft, anstelle harter Dollars nun Binnenwährung für Umwelt zahlen zu müssen - es ist schlicht gar nichts da. So schreibt Professor Oberndörfer: „Etwa die Umschuldung der auf vier Milliarden Dollar geschätzten Auslandsschulden Boliviens in einheimischer Währung wäre mangels Masse nur mit Hilfe der Druckerpresse machbar.“ Die Schulden von Regierungen wiederum, die wenigstens noch ein wenig Landeswährung im Tresor haben, bieten die Banken nicht zu so starkem Discount an - sie hoffen noch auf Rückzahlung. Und ohne Discount ist das ganze weder für die Umweltgruppen noch für die verschuldeten Länder attraktiv. Auch Kohl wird also nicht an der Erkenntnis vorbeikommen, daß reale Geldströme in die Drittweltstaaten fließen müssen, wenn sie dort der Umwelt helfen wollen.

Ulli Kulke