Bonn sucht nach der Adenauer-Erklärung

Richard Löwenthal, Vordenker der SPD-Ostpolitik, hält Erklärung zu polnischer Westgrenze für möglich  ■  J. Gottschlich

Berlin (taz) - Das offizielle Bonn sucht. Seit am Dienstag der Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Professor Kaiser, erklärt hatte, er wisse von einer Erklärung, mit der der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer gegenüber den westlichen Alliierten die Oder-Neiße-Linie als endgültige polnische Westgrenze anerkannt habe, werden in Bonn fieberhaft die Archive durchwühlt.

„Wir haben noch nichts gefunden“, beteuerte der Sprecher des Auswärtigen Amtes (AA), Schuhmacher, gegenüber der taz, aber endgültig ausschließen könne man die Existenz einer Adenauer-Erklärung noch nicht. Schließlich, so Schuhmacher, habe sich die BRD 1952/53 noch in ihren Gründerjahren befunden, das AA existierte in seiner jetzigen Form noch gar nicht, Adenauer war Kanzler und Außenminister in einer Person und ob tatsächlich alle Akten Adenauers in die Bestände des AA überführt worden seien, wisse man nicht. Bei der Durchsicht zu den Anlagen des Deutschlandvertrages sei man aber auf einen Kommentar des damaligen deutschen Verhandlungsführers bei der Ausarbeitung der Deutschlandverträge, Botschafter Grewe, gestoßen, der 1952 geschrieben habe, eine „vertragliche Verpflichtung der drei Westmächte, die Wiedervereinigung Deutschlands in den Grenzen von 1937 zu erstreben, Fortsetzung Seite 2

wäre in Widerspruch zu gewissen Verpflichtungen getreten, welche einige dieser Mächte in Jalta und Potsdam in bezug auf die Unterstützung polnischer und sowjetischer Gebietsansprüche übernommen haben.“

Gegenüber der taz meinte der Politologe Richard Löwenthal, der führend an der Ausarbeitung der Ostpolitik Brandt und Bahrs in den 60er Jahren beteiligt war, „die Behauptung, daß es nichts dergleichen gäbe, ist unglaubhaft“. Löwenthal bezeichnete Kaiser als „höchst ver

antwortlichen und vorsichtigen Mann, der eine solche Behauptung niemals ohne eine stichhaltigen Grund aufgestellt hätte“. Unter Berücksichtigung der damaligen politischen Situation, hält Löwenthal eine entsprechende Erklärung Adenauers auch für sehr plausibel. Dem schloß sich der Historiker Golo Mann an. „Wenn Adenauer damals auf Deutschland in den Grenzen von 1937 bestanden hätte, wäre die Westintegration, vor allem der deutsch-französische Vertrag 1963, nicht zustande gekommen.“ Laut Mann ist es nur „sehr unwahrscheinlich“, daß Adenauer einen schriftliche Erklärung über einen Verzicht auf Gebiete des Deutschen Reiches abgegeben hat. „Dazu war er einfach zu schlau.“

Dieser Einschätzung schloß sich gegenüber der taz auch der Historiker Josef Foschepoth an. Inhaltlich war sich Adenauer in dieser Frage mit den westlichen Alliierten sicher völlig einig, deshalb sei aber auch gar nicht einzusehen, warum diese dann auf einer schriftlichen Erklärung

Adenauers bestanden haben sollen. „Das hätte Adenauer im Zweifel doch nur in innenpolitische Schwierigkeiten gebracht, an denen auch die Alliierten kein Interesse haben konnten“. Außerdem, so Foschepoth, hätte eine solche Erklärung auch für zukünftige Friedensverhandlungen keine Rolle gespielt.

Auch jetzt hat die gesamte Debatte eine rein innenpolitische Funktion. Für Löwenthal kommt es nun darauf an, daß sich die Bundesregierung klipp und klar zu der Oder -Neiße-Grenze bekennt. „Die Anerkennung dieser Tatsache ist die Voraussetzung, um überhaupt weiter sinnvolle Ostpolitik machen zu können.“ Offenbar will sich auch die CSU dieser Einsicht nicht völlig verschließen. Ihr Vorsitzender der Landesgruppe im Bundestag, Wolfgang Bötsch, versicherte ausdrücklich, man stelle natürlich keine Gebietsansprüche an Polen. Warum sein Vorsitzender Waigel dann überhaupt die „Gespensterdebatte“ (Foschepoth) wieder angefacht hat, konnte auch Blötsch nicht erklären.