„Sind uns nicht avisiert worden“

■ Bremens ÖTV-Funktionäre reden ohne Befehl von oben nicht mit britischen Hafenarbeitern

Bei der Bremer ÖTV ist alles in bester Ordnung. Die Gewerkschafts-Funktionäre wissen, was sie zu tun haben und daß am Freitag um 15:30 Uhr das Wochenende anfängt. Und noch besser wissen sie, was nicht zu ihren Aufgaben gehört: zum Beispiel mit streikenden Hafenarbeitern zu sprechen, die Hilfe suchen. Hundertfünfzigprozentig sicher, daß sie nicht zuständig sein können, sind sich die ÖTV-Vertreter schließlich, wenn die Hafenarbeiter ihre Bitte um Solidarität sogar noch in einer Fremdsprache vorbringen - so geschehen in Bremen am Freitag, 14. Juli 1989, am 200. Jahrestag der französischen Revolution.

Am 3. Juni dieses Jahres schaffte das britische Parlament das seit 1947 bestehende landesweite Tarifsystem für Hafenarbeiter ersatzlos ab. Die Arbeiter an den Kajen und in den Docks dürfen nun wieder nach dem frühkapitalistischen Prinzip „hire and fire“ mit Zeitverträgen und ohne feste Tariflöhne von den privaten Hafengesellschaften abgespeist werden. Solidaritätsstreiks anderer Branchen sind seit den langen Ausständen der Minenarbeiter in Großbritannien inzwischen ebenfalls per Gesetz verboten. Des

sind die 9.400 gewerk schaftlich organisierten Arbeiter aller größeren britischen Häfen, die am 8. Juli gegen die Entrechtung ihrer Arbeitsverhältnisse in Streik traten, jetzt auf die „internationale Solidarität“ angewiesen, die am 1. Mai auch von deutschen Gewerkschaftern gerne hochgerufen wird.

Gegen den britischen Hafenstreik haben die Reeder schnell reagiert. Der „Round-the-world„-Service der „Evergreen-Line“ beispielsweise wurde von Southampton nach Rotterdam und Le Havre umgeleitet. Ein großer Teil des britischen Umschlags findet inzwischen in den belgischen, französischen und niederländischen Kanal-Häfen statt und wird dann per Fähre nach England geschafft.

Allerdings reagierte auch die gewerkschaftliche Basis der britischen Hafenarbeiter schnell: Drei Delegationen von lokalen Vertrauensleuten sind seit Anfang der Woche in den großen Häfen Westeuropas unterwegs, um für Unterstützung ihres Streiks zu werben. Eine davon erreichte gestern Bremen.

Unter den vier Liverpooler Vertrauensleuten ist auch der gewählte Vorsitzende der britischen

„Vertrauensleute-Konferenz“ der Transportarbeitergewerkschaft, Jim Nolan. „Die Bremer ÖTV -Leitung weigert sich, uns zu empfangen“, beklagte Nolan gestern im „Dritte-Welt-Haus“, zu dem er traditionell gute Kontakte hat, seit der Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO) den Liverpooler Boykott gegen Umschlag namibischen Urans auch in der Bundesrepublik propagiert. „Wir wollen von der Basis aus Druck auf die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF) machen“, begründet Nolan seine spontane Westeuropa-Reise.

Doch während den britischen Gewerkschaftern in Frankreich, Belgien und den Niederlanden von ihren Hafenarbeiter -Kollegen solidarische Unterstützung des Streiks versprochen wurde, will die bundesdeutsche ÖTV noch nichtmal mit ihnen reden. „Die sind uns nicht avisiert worden“, begründete Bremens ÖTV-Kreissekretär Siegfried Claus gestern den Rüffel. „Das geht bei uns immer den ordnungsgemäßen Weg“, weiß Claus, „zunächst muß die Hauptverwaltung in Stuttgart von der ausländischen Gewerkschaft informiert werden, die benachrichtigt die Be

zirksverwaltung und wir kriegen als Kreisverwaltung dann eine klare Anweisung von oben, ein Gespräch zu führen.“ Dieser gewerkschaftliche Dienstweg sei sehr sinnvoll, weiß Claus, „sonst können ja irgendwelche Leute zu uns kommen, und wir wissen dann gar nicht, was die wollen.“

Auf die Idee, die streikenden britischen Hafenarbeiter -Kollegen selbst zu fragen, was sie in der Bundesrepublik wollen, ist bei der ÖTV niemand gekommen. „Unsere ÖTV-Leute dürfen schließlich auch nicht einfach irgendwohin reisen“, weiß der für ITF-Kontakte zuständige Mitarbeiter der Bezirksverwaltung, Ali Memon, „das ist keine offizielle Delegation, da wollen wir kein Chaos in die Sache bringen.“

Doch selbst in der Bremer ÖTV gibt es scheinbar „Chaoten“, die da anderer Meinung sind. Sie trafen sich gestern nachmittag fernab der ordnungsgemäß ins Wochenende abgetretenen Gewerkschafts-Funktionäre im Bremer Hafen mit ihren Liverpooler Kollegen - und staunten 200 Jahre nach der französischen Revolution zusammen über den britischen Frühkapitalismus und den Bremer Gewerkschafts-Monarchismus.

Dirk Asendorpf