„Die Chop-Suey-Gang“ - Tatort Bremen, 1.Teil

■ Aus einem Roman von Jürgen Alberts / der taz-tägliche-Sommerkrimi in 32 Folgen

Also:

bitte hier hin

das Enblem

mit den Chinastäbchen

kleben

danke

Xiao Chens Hand zitterte. Er hielt den Revolver in seiner Linken, ohne zu zielen.

„Drehe diche um“, sagte er nervös. Joe Davids hob die Arme, als er den Chinesen erblickte. Es war nicht der richtige Ort für ein Duell, sie standen in der Herrentoilette des Peking -Restaurants.

„Das ist kein Spielzeug“, Davids grinste.

„Iche weiß“, erwiederte Xiao Chen.

Nur einmal hatte er den Besitzer wütend gesehen, da waren seine Augen wirklich gelb geworden.

Jetzt wirkte der kleine Chen eher ängstlich, der Revolver war ein viel zu groß geratenes Spielzeug. Davids ließ die Arme sinken, schüttelte sein Glied mehrfach, bevor er es in die Hose zurückschob.

„Wo haste den her?“

„Besorgte, war ganz einfach“, Chen hielt ihm die Waffe hin. Davids ging zum Spülbecken und wusch sich die Hände.

„Waffenschein?“ fragte er routinemäßig.

„Ne, brauchte man den?“

„Du bist hier nicht in den USA, Xiao Chen“, Davids trocknete sich die Hände ab, dann griff er zur Waffe des Chinesen. Ein Korth-Revolver, seltenes Stück, Präzisionswaffe, Kaliber 38, Combat special, double action.

„Und wen willste jetzt umlegen?“

„Nur Schutz“.

„Können wir nicht woanders reden, hier stinkt's.“ Joe Davids ging zur Tür.

„Biste verrückt, die Gäste.“ Chen hielt ihn auf, stemmte sich gegen Davids.

„Iche kriege Besuch, heute nacht, du mußt bleiben, iche brauche

diche.“

„Wer, was, Besuch ... soll ich Zeuge sein, wie du dein Schießeisen betätigst?“

„Bitte, bleibe!“

In diesem Moment wurde die Toilettentür geöffnet, ein dicker Mann mit Vollbart, eine Glasnudel dekorativ am Schnauzer, rief: „Was ist das hier, 'ne schwule Stehparty?“ Xiao Chen ließ den Revolver verschwinden, sagte: „Jeder muße mal...“

Dann drängte er sich an Davids vorbei und verließ die mickrige Herrentoilette.

Langsam ging der Polizist zu seinem Platz zurück. Er hatte seinen chinesischen Freund noch nie so erlebt, so verstört, trotz der Waffe, so aufgelößt und zittrig. Seit sie sich vor einigen Monaten kennengelernt hatten, war Davids ein Freund der chinesischen Küche geworden. Manchmal ließ Chen ihm augenzwinkernd besondere Gerichte hinstellen, und oft wußte Davids nicht, was er aß, aber es schmeckte ihm hervorragend.

Er vergaß regelmäßig die Gerichte, wenn Xiao Chen ihm er

klärte, was man speziell für ihn bereitet hatte.

Sein Interesse an Essensfragen war so groß wie seine Zuneigung zu seinem Beruf: die hatte in den letzten Jahren ihren Nullpunkt erreicht.

Es war kurz nach elf, eigentlich hätte Davids nach Hause gemußt, aber die Bitte Chens ließ ihn bleiben

Er fühlte nach seinem Schulterhalfter. Seine Dienstpistole lag jedoch auf der Kommode neben der Tür, wo er sie bei Betreten der Wohnung stets ablegte. Nur das Halfter vergaß er meist auszuziehen. So einen Korth müßte man haben, dachte er.

Der kleine Chen war erst sechs Jahre im Land, aber er hatte einen untrüglichen Riecher für deutsches Publikum. Er konnte servil sein, wenn ein Gast mit großem Geld und lauten Gesten sich hervortun wollte, konnte bescheiden sein, wenn die Küche gelobt wurde, auch wenn er von dieser europäischen Art des chinesischen Essens nichts hielt. Das hatte er Davids oft genug zu verstehen gegeben: „Weißte, was

das hier ist, ein billiger Fraß, sagte ihr doch“, Xiao Chen hatte dabei gelächelt, nicht mal überheblich, „und was das Tollste iste, was ihr am meisten bestellte, gibte es gar nichte, Chop Suey, was soll das sein?“

Und dann hatte er Davids ausführlich erklärt, daß ein Wort wie „Chop“ in der chinesischen Sprache garnicht gebildet werden kann.

Zwei Stunden später waren sie allein im Lokal. Die Lichter gelöscht, nur neben der Kasse brannten drei mit rötlichen Schirmen verhüllte Glühbirnen.

Sie sprachen nicht. Obwohl sie ganz dicht beieinander saßen. Joe Davids konnte hören, wie Xiao Chen manchmal die Luft anhielt, sein Atem stockte.

„Ich werde diche als meinen Geschäftspartner vorstellen“, hatte er gesagt. Das war schon eine Zeitlang her.

Joe Davids dachte nicht daran, nachzufragen, weil er wußte, der kleine Chen würde ihm keine Auskunft geben. Er hatte in den letzten Monaten erfahren, daß sein chinesischer Freund ihn of

fen anlog, selbst wenn jeder von beiden wußte, daß es sich um eine Lüge handelte.

Abwarten, dachte Davids, es wird schon was passieren. Und wenn nichts passiert, um so besser.

Xiao Chen starrte geradeaus. Keine Regung. Er mußte den Revolver auf den Knien haben, denn Davids konnte sehen, wie die Stoffserviette auf dem Schoß eine Ausbuchtung hatte.

Kurz nach eins betraten drei Männer das Peking-Restaurant. Sie sprachen sehr leise mit dem Besitzer, der sich nicht von seinem Platz rührte. Xiao Chen nahm die Brieftasche heraus, zupfte einige Tausender hervor und hielt sie über den Tisch.

Einer der Männer zählte nach. Joe Davids auch, es waren sieben Scheine.

Dann drehten sie sich um, wortlos.

„Sie haben nichte mal nach dir gefragt“, Xiao Chen lachte auf. Ein spitzes Lachen.

So hell wie ein Glöckchen. Fortsetzung folgt morgen.