„Betriebsräte köpfen“

■ Drei Neuköllner Süßwarenhersteller feuerten in den vergangenen Monaten ihre Betriebsratsvorsitzenden / Die Auseinandersetzung wird am kommenden Dienstag vor dem Arbeitsgericht fortgesetzt

Drei Neuköllner Süßwarenhersteller haben eine Möglichkeit entdeckt, unbequeme Gewerkschaftler zu feuern; sie kriminalisieren die Betriebsratsvorsitzenden. Vor dem Hintergrund von geplanten Umstrukturierungen in ihren Betrieben versuchen Van Houten (Jacobs-Suchard-Konzern), Ludwig Schokolade (Goldnußpärchen, Trumpf und bis vor kurzem I love Milka) und G.L. Schoener (Instantgetränkepulver) den Widerstand in der Belegschaft zu brechen. Während Ludwig Ende 1990 wahrscheinlich den Standort Berlin aufgibt, setzen Van Houten und G.L Schoener auf wenig, aber dafür qualifiziertes Personal. Auf der Strecke bleiben die un- und angelernten ArbeiterInnen, insbesondere die ausländischen Frauen. Dagegen richtete sich dann auch die Arbeit des jeweiligen Betriebsrates. Erfolg: Die Organisierung der Gewerkschaft NGG (Nahrung-Genuß-Gaststätten) konnte verstärkt werden. Die Unternehmer setzen nun an zu der Aktion „Betriebsräte köpfen“. Angefangen hat alles bei Van Houten. Aus einer Schulung mehrerer Betriebsrats-mitglieder wurde der Betriebsratsvorsitzende abberufen, um mit der Geschäftsleitung über die Rücknahme einer Kündigung zu verhandeln. Den ausgefallenen Schulungsteil holte er nach, jedoch nicht während der betriebsüblichen Arbeitszeit. Das Personalbüro erstellte die Spesenrechnung für die Schulungstage und ließ die Betriebsräte unterschreiben. Unmittelbar nach der Auszahlung bekam der Betriebsratsvorsitzende die Kündigung wegen „Spesenbetrugs“. Ihm stünden für die mit der Geschäftsleitung verbrachte Zeit keine Spesen zu, ebensowenig für die nachgeholte Schulung. Van Houten kam damit beim Arbeitsgericht durch. Vor der Berufungsverhandlung akzeptierte der Betriebsratsvorsitzende eine Abfindung und war damit aus der Firma herausgekantet.

Dieses Beispiel machte Schule: Die Nachbarfirma Ludwig Schokolade entledigte sich ihres Betriebsratsvorsitzenden durch einen ähnlichen Coup: Bernd Meyer nahm telefonisch eine Krankmeldung seines Stellvertreters entgegen und leitete diese weiter an seinen Schichtführer. Dennoch bekam der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende eine Abmahnung wegen unentschuldigten Fehlens. Er ging vors Arbeitsgericht; die Abmahnung wurde gestrichen. Daraufhin bekam Bernd Meyer die fristlose Kündigung wegen Falschaussage vor Gericht. Der Schichtführer bestritt nämlich, daß Meyer überhaupt mit ihm gesprochen hätte. Das Arbeitsgericht lehnte eine Zustimmung zur Kündigung ab. Es stünde Aussage gegen Aussage. Schoko -Ludwig ging in die Berufung und hatte Glück: das Verfahren landete bei dem als „arbeitgeberfreundlich“ bekannten Richter Lepke. Der fand auch einen Dreh, Meyer zu kündigen: Meyer sei einmal Gekündigter, zum anderen aber Mitglied des Betriebsrates, der diese Kündigung ablehne. Somit dürfe er nicht aussagen. Jetzt stand nicht mehr Aussage gegen Aussage, sondern es galt die Version des Schichtführers. Meyer flog und ist seitdem arbeitslos.

Aber nicht genug. Schoko-Ludwig erstattete noch eine Strafanzeige gegen Meyer wegen Falschaussage. Das Landgericht maß der Aussage unter Eid des Schichtführers mehr bei - Meyer wurde zu einer Geldstrafe verknackt. Von seiner Gewerkschaft erhielt der Betriebsratsvorsitzende kaum Solidarität. Die „Gemaßregeltenunterstützung“ - Meyer erhielt keinen Lohn mehr - wurde ihm von der NGG verweigert. Aus der Kritik an der NGG hatte sich bereits ein Solidaritätskomitee aus aktiven GewerkschaftlerInnen gebildet. Mit Hilfe einiger Hochschullehrer sowie des Industriepfarrers der evangelischen Kirche betrieben sie vorrangig Öffentlichkeitsarbeit für die entlassenen GewerkschaftlerInnen in der Süßwarenindustrie. Aktueller Fall ist der Betriebsratsvorsitzende von G.L. Schoener. Die Firma versucht Rolf Niederstrasser gleich durch zwei Verfahren rauszusetzen: Arbeitsverweigerung und Störung der „vertrauensvollen Zusammenarbeit“. Während Niederstrasser mit Betriebsratsarbeit beschäftigt war, sollte er eine Wartungsarbeit vornehmen - er weigerte sich. Ein anderes Mal brüllte ihn der Geschäftsführer im Betriebsratsbüro an. Niederstrasser schaltete demonstrativ ein Diktiergerät ein Störung der „vertrauensvollen Zusammenarbeit“? Nächster Verhandlungstermin vor dem Arbeitsgericht ist Dienstag, der 18.Juli.

Rainer Wernicke