„Zurückschreien reicht nicht aus“

■ Interview mit Ex-Senator Hassemer (CDU) über die Fehler von rot-grüner Regierung und CDU-Opposition / „Die CDU hat Schwierigkeiten, einen kühlen Kopf zu bewahren“ / Umweltsenatorin Schreyer verhält sich „wie eine Bürgerinitiative“ / Senat provoziert „Krach und Feindschaft“

Volker Hassemer (CDU) ist seit den Wahlen umweltpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Bevor er im CDU/FDP-Senat auf den Posten des Kultursenators abgeschoben wurde, amtierte er von 1981 bis 1983 als Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz. Hassemer, der nun wieder in seinem angestammten Politikfeld agieren darf, äußerte sich in einem taz-Interview über den Politikstil von Umweltsenatorin Schreyer, die Sperrung der Havelchaussee, Tempo 100 und seine schwierige Rolle als Umweltsprecher der Opposition.

taz: Herr Hassemer, müßten Sie als ehemaliger Umweltsenator nicht mit Neid auf den neuen Senat blicken? Er setzt doch zur Zeit einige Dinge um, die sich die Vorgängerregierungen auch vorgenommen hatten, aber wieder fallen ließen: Tempo 100 auf der Avus oder die Sperrung der Havelchaussee.

Hassemer: Nein, im Augenblick nicht mit Neid. Das sind zwei Kapitel. Einerseits geht es um die Frage, ob wir in solchen Feldern in den letzten Jahren genug getan haben. Da sage ich offen: Das kann ich nicht ohne weiteres mit Ja beantworten. Aber ob es nun andererseits richtig ist, nun mit einem Verordnungsbündel alles zu erschlagen, das kann ich mindestens genausowenig mit Ja beantworten. Deswegen ist das jetzt eine wichtige und spannende Phase. Es geht darum, den richtigen Weg, die richtige Form einer möglichst effektiven Umweltpolitik zu finden. Das hat dieser Senat mitnichten gefunden. „Möglichst viel von allem“, das ist keine sehr politische Strategie. Was Tempo 100 auf der Avus angeht: Ich kenne keine Maßnahme, die soviel Krach und Feindschaft in der Stadt erzeugt hat, an deren Ende der behauptete Fortschritt für den Umweltschutz aber so gering war. Das zweite ist die Havelchaussee. Auch da muß man sich fragen, ob eine Totaloperation, also die Vollsperrung, die überlegteste, sachlich angemessenste Lösung ist. Dazu habe ich noch nicht einmal ausreichend Argumente gehört - schon deshalb nicht, weil alle anderen möglichen Varianten nicht geprüft, geschweige denn diskutiert werden.

Sie haben selbst gefordert, den wasserschutzzonengerechten Ausbau der Havelchaussee rasch in Angriff zu nehmen - aber gerade der ist doch von dem Senat, dem sie angehörten, in den letzten Jahren immer rausgeschoben worden, zuletzt auf 1994.

Ich sage auch dazu ganz offen: Wenn wir das selbst herausgeschoben haben, dann war das ein Fehler von uns. Aber wenn die jetzige Regierung im Bauausschuß erklärt, sie wolle die ganze Baumaßnahme canceln, dann ist das ein noch größerer Fehler.

Könnte es nicht sein, daß der neue Senat angesichts aufgehäufter Versäumnisse in der Umweltpolitik sich einfach im Zugzwang sieht, jetzt einmal gründlich aufzuräumen?

Das wäre bei „Fünf-vor-Zwölf-Maßnahmen“ berechtigt. Aber das gilt weder für eine Vollsperrung der Havelchaussee, noch für Tempo 100. Bei der Havelchaussee wäre es vordringlich, sofort den Grundwasserschutz voranzutreiben. Das hat aber mit Totalsperrung nichts zu tun. Der Senat hat zu dem bedeutenden Thema „Havelchaussee“ lediglich einen Lösungsvorschlag aus der Kiste der letzten 20 Jahre herausgeholt. Der Senat korrigiert hier nicht einen Fehler der alten Regierung, die beim Umbau der Straße möglicherweise zu langsam war, sondern man vergrößert den Fehler noch, indem man ganz auf den Umbau verzichtet.

Aber glauben Sie denn, daß man Umweltpolitik machen kann, ohne jemandem weh zu tun - etwa den Havelausflüglern?

Das glaube ich auch nicht, daß das geht. Wir brauchen Bewußtseinsveränderungen der Leute. Man kann ihnen nicht sagen: Es geht alles wie bisher. Aber die Fälle, in denen man den Leuten auch einschneidende Veränderungen ihres Verhaltens zumutet, die müssen tatsächlich einsichtig sein. Man muß sagen können: Wenn ihr das nicht macht, dann ist die Umwelt in einer Weise gefährdet, daß ihr es selbst nicht mehr mitverantworten könntet. Wenn das, wie bei Tempo 100 auf der Avus, wirklich nicht zu erklären ist, dann macht man sich selbst unglaubwürdig. Wenn die Leute dann in Zukunft wieder mal gefragt werden, dann sagen die sich: Naja, vermutlich geht es da wieder um genausowenig, wie bei Tempo 100 rausgekommen ist. Im Getöse dieser ersten Monate der Umweltpolitik des neuen Senats geht das wirklich unter, daß Umweltpolitik eine höchst rationale, höchst begründete und höchst notwendige Umweltdisziplin ist. Es geht nicht darum, Mutproben abzugeben und große Fahnen hochzuziehen.

Aber schürt Ihre Partei nicht auch den Irrationalismus in der Debatte um die Havelchaussee? Sie, Herr Hassemer, halten eine Teilsperrung der Chaussee für denkbar, aber ihre Parteifreunde sammeln Unterschriften, indem sie Autofahrer anhalten, die die Straße möglicherweise nur als Durchfahrtsstraße nutzen. Das findet doch sogar von der BI Havelchaussee Kritik.

Ja, das so zu machen, halte ich nicht für richtig, und deswegen kann ich das auch nicht verteidigen. Aber die AL hat offenbar zwei Leute an die Spitze im Umweltressort gesetzt, Frau Schreyer und Herrn Groth, die das ganze Aufwühlen dieses Streits für richtig halten. Und da appelliere ich, glaube ich, mit Recht eher an deren Verantwortung als an die Verantwortung eines einzelnen Parteimitglieds. Wenn man als Regierungspolitiker ein Kriegsbeil in irgendeine Richtung wirft, muß man sich nicht nur die Ohren offenhalten für die Leute, die die Richtung dieses Kriegsbeils befürworten, sondern man muß sich auch darüber Gedanken machen, was in der Gesellschaft durch dieses Kriegsbeil entsteht. Mir scheint, die AL hat noch nicht kapiert, daß sie Regierung ist und nicht Bürgerinitiative. Das gilt gerade für die Leitung des Umweltressorts. Sie verhält sich wie eine sehr honorige, sehr spannende Bürgerinitiative, aber nicht wie eine verantwortungsvolle Regierung.

Haben Sie, Herr Hassemer, nicht selber Schwierigkeiten mit Ihrer eigenen Rolle? Als umweltpolitischer Sprecher einer Oppositionspartei müssen Sie angesichts dieser Regierung stets etwas weniger Umweltschutz fordern. Ist das nicht eine sehr undankbare Rolle?

Ich habe die Schwierigkeit, von meiner Seite aus diese ganze Debatte aus dem Getöse herauszuhalten. Die einen schreien und die anderen schreien zurück. Ich muß nun bei denen, die zurückschreien, versuchen zu sagen, daß es damit nicht getan ist. Und deshalb fühle ich mich auch nicht in einer schlechten Rolle, sondern ich fühle mich in der Konkurrenz, die beste Lösung zu finden. Allerdings, das gebe ich zu, sowohl hin zu der einen Seite, der Regierung, aber auch hin zu der anderen Seite, meiner eigenen Partei, die in der jetzigen Auseinandersetzung ebenfalls sehr schwer dazu zu bewegen ist, das Thema mit kühlem Kopf anzugehen. Aber wir haben die Lautstärke nicht bestimmt.

Interview: hmt