Solidarnosc will sich mit Jaruzelski abfinden

Walesa in einem Kommunique: „Wir werden uns bemühen, mit jedem Präsidenten zusammenzuarbeiten / Jaruzelski stellt Forderungen an den Pariser Wirtschaftsgipfel / Hilfe von außen entscheidend / Sprecher der Solidarnosc dementiert Trzeciakowski-Interview  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Lech Walesa hat gestern mitgeteilt, daß die von ihm geführte Oppositionsbewegung „Solidarität“ sich damit abfinden würde, wenn der amtierende Staatsratsvorsitzende, General Wojciech Jaruzelski, zum Präsidenten der Republik gewählt würde. In einem in Danzig herausgegebenen Kommunique Walesas heißt es wörtlich: „Ich erkläre, daß wir (Solidarnosc) uns bemühen werden, mit jedem Präsidenten zusammanzuarbeiten, der gewählt wird, ob das General Wojciech Jaruzelski ist oder General Czeslaw Kiszczak oder auch ein anderer Vertreter der Regierungskoalition.“

Inzwischen hat sich Jaruzelski mit einem Sechs-Punkte -Katalog an die Teilnehmerstaaten des Pariser Wirtschaftsgipfels gewandt. Darin heißt es, die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Reformen könnten nur dann erfolgreich sein, wenn es gelänge, binnen kurzer Zeit die schwierige Wirtschaftslage zu meistern. Hilfe von außen käme dabei der entscheidende Stellenwert zu.

An prominenter Stelle nennt der General gleich Polens dringendstes Problem, das sich aus der geplanten Umstrukturierung des Lebensmittelmarktes ergeben wird. Um die damit verbundenen wirtschaftlichen Härten für den polnischen Verbraucher abzufedern, schlägt er vor, Kredite für Lebensmittelimporte zu gewähren und Polen mit Waren aus der Überschußproduktion der Europäischen Gemeinschaft zu versorgen. Für die Laufzeit von zwei Jahren schwebt ihm ein Kreditrahmen von 2 Milliarden US-Dollar vor, die auf Lebensmittelimporte verwandt werden sollen.

Aus einer Umstrukturierung der Verschuldung beim IWF erhofft sich Jaruzelski weitere zwei Milliarden. Dafür sei Polen auch bereit, das Anpassungsprogramm des IWF zu akzeptieren. Allerdings mit einer Modifikation. Statt der vom Währungsfonds verlangten fünfprozentigen Senkung des Lebensstandards will sich die polnische Seite nur auf zwei bis drei Prozent einlassen. Wie die Opposition, so befürwortet auch Jaruzelski die Einbeziehung des Landes in den Brady-Plan, der Schuldenerleichterung für hochverschuldete Länder vorsieht. Jaruzelski bietet auch eine Umwandlung der Schuldentitel in Anteile an polnischen Staatsbetrieben in Form von joint ventures an. Auch das hatte die Opposition in ihrem Memorandum festgehalten. Im weiteren erhofft man sich noch 800 Millionen als Weltbankkredit für exportorientierte Projekte. Um die Lebensmittelindustrie zu modernisieren, benötige man nochmals weitere 500 Millionen.

Das Solidarnosc-Memorandum, das Walesa dem US-Präsidenten bei seinem Besuch in Warschau unterbreitet hat, und der Sechs-Punkte-Katalog sind in wesentlichen Fragen identisch. Doch scheint Jaruzelskis Vorschlag realistischer, weil bescheidener. Umfaßte das Solidarnosc- Konzept ein Zehn -Milliarden Hilfsprogramm, bewegt sich Jaruzelskis Vorschlag um fünf Milliarden. Im Solidarnosc-Memorandum sind 2,7 Milliarden Stützungskredite des IWF vorgesehen, die jedoch nicht an bestimmte Projekte geknüpft sind. Die einzige Sicherheit für die Projektgeber bestünde darin, daß Polen die Auflagen des IWF akzeptierte. Aber gerade das ist in Kreisen der Gewerkschaft noch umstrittener als auf der Regierungsseite. In einem Interview mit der 'Süddeutschen Zeitung‘ hatte der Wirtschaftsexperte der Solidarnosc, Witold Trzeciakowski, gestern zwar davon gesprochen, die Solidarität sei bereit - bei entsprechender finanzieller Unterstützung durch den Westen - sich auf eine Koalition mit den Kommunisten einzulassen. Der Pressesprecher der Gewerkschaft, Onyszkiewicz, dementierte dies jedoch noch am selben Tag nach einem Telefongespräch mit Trzeciakowski. „Von Regierungsbeteiligung kann keine Rede sein“, so der Pressesprecher, Trzeciakowski hätte lediglich gemeint, Solidarnosc sei bereit, bei ausreichender Unterstützung, mehr Verantwortung in der Wirtschaft zu übernehmen.

Gerade in der Gewerkschaftsführung stößt das Kreditersuchen zum jetzigen Zeitpunkt auf großen Widerstand. Das hätte erst dann einen Sinn, wenn man auch einen Einblick in die Verwendung der Gelder hätte. Das jetzige System basiere noch auf den alten Grundlagen, auf denen schon die Kredite in der Zeit Giereks verschleudert worden seien.

Janusz Beksiak, Wirtschaftberater der Gewerkschaft bei den Verhandlungen am runden Risch, sieht keine Schwierigkeiten bei der Verwendung der Kredite, wenn sie vor allem der Privatwirtschaft und Betrieben zugute kämen, die sich von der staatlichen Verwaltung unabhängig gemacht haben. Doch genau hier liegt die Crux der polnischen Wirtschaftsreform. In den letzten Jahren sind nämlich eine Reihe von Staatsbetrieben umgestaltet worden, ohne daß jemand heute zu sagen wüßte, ob es sich bei ihnen um staatliche, genossenschaftliche oder private Unternehmen handele. Da verwandeln sich Staatsbetriebe in Aktiengesellschaften, in denen die gesamte bisherige Direktion den Aufsichtsrat stellt. Wegen der limitierten Aktienvergabe geht das nun vom Staat gepachtete Vermögen in die Hände von Privatpersonen oder Organisationen über. Danach stellt sich dann heraus, daß diese zwar nicht direkt mit dem Industrieministerium verwoben sind, dafür aber mit dem Zentralkomitee der Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) oder einem Betrieb, der auf irgendeine Weise dem ZK untersteht.

Privatisierung staatlicher Betriebe mag für westliche Investoren gut klingen. In Polen verfügen aber nur wenige über das notwendige Kapital, um einen Staatsbetrieb aufzukaufen. Das wären ihrerseits nur wieder andere Staatsbetriebe.