Ein unabhängiger Kopf

Der Kurdenführer Abdol Rahman Ghassemlou wurde am Donnerstag ermordet  ■ P O R T R A I T

Von Ben Stark

Berlin (taz) - In den kurdischen Bergen wurde er nur der Doktor genannt. Dabei war Abdol Rahman Ghassemlou Ökonom. Kurdenführer lautete sein Titel im Ausland. Für Chomeinis Leute war er ein irakischer Agent und die oppositionellen iranischen Volksmudschaheddin brandmarkten seine Politik als Verrat. Der 59jährige konnte es niemandem recht machen. Auch wenn er die vergangenen zehn Jahre in den Bergen des irakisch-iranischen Grenzgebietes lebte und nur selten für Schlagzeilen sorgte, war er einer der großen Politiker der Region.

Mit 15 hat Ghasemlou die Gründung der Kurdenrepublik Mahabad erlebt. Als Sohn einer Assyrerin und eines kurdischen Großgrundbesitzers wuchs er im türkisch-irakisch -iranischen Grenzgebiet auf. Für wenige Monate verlief dort die Grenze zwischen den prosowjetischen Republiken Kurdistan und Aserbaidschan. Die kaiserlich-iranischen Truppen sorgten für ein schnelles Ende der Zwergstaaten. Aber die damals linke Orientierung der Jugend konnten sie nicht eindämmen. Für Ghassemlou war es so auch keine Frage, während seines Teheran-Aufenthalts zu Beginn der fünfziger Jahre für den kommunistischen Jugendverband zu arbeiten. Die politische Entwicklung Irans und der kommunistischen Bewegung haben ihn bis zu seinem Lebensende geprägt. Der Kurde bekannte sich zu den Wurzeln der alten iranischen und kommunistischen Kultur in seinem Denken, und er lebte für die Demokratisierung des Sozialismus und des Iran. Für ihn war klar, daß seine fünf Millionen Landsleute ohne Demokratie in ganz Iran niemals die nationale und kulturelle Freiheit erhalten würden. Dabei stand für ihn fest, daß die Bildung eines selbständigen Kurdistans Utopie bleiben werde.

Seit den fünfziger Jahren war Ghassemlou Vorsitzender der Demokratischen Partei Kurdistans/Iran. Unter seiner Leitung wandelte sich die Partei von einer durch den Stalinismus geprägten Kaderorganisation zu einer links- und national orientierten demokratischen Partei. Dieser Wandel ist auch das Ergebnis der Veränderungen in Osteuropa. Ghassemlou promovierte in der CSSR. Nach dem sowjetischen Einmarsch in Prag zog er nach Paris und unterrichtete dort an der Sorbonne. Dort versprach ihm Chomeini im Herbst 1978 auch die Autonomie für Kurdistan. Doch die Kurden erlebten als erste den Terror der Mullahs. Ghassemlou selbst war damals klug genug, seinen Parlamentssitz in Teheran, den er bei ersten Wahlen nach dem Schahsturz errungen hatte, nicht wahrzunehmen. In der iranischen Hauptstadt hätten Folter und Gefängnis auf ihn gewartet. Es dauerte noch Jahre, bis Chomeinis Leute das Kurdengebiet in einem brutalen Krieg erobern konnten. Die Kämpfer der Demokratischen Partei zogen sich ins iranisch-irakische Grenzgebiet zurück. Ghassemlou erhielt Unterstützung aus dem Irak, war aber nicht bereit, sich wie die iranischen Volksmudjschheddin in die Abhängigkeit Bagdads zu begeben. 1983 schloß er ein Bündnis mit den Mudschaheddin, kündigte es aber wegen des Monopolismus der iranischen Organisation schnell wieder auf. Der Vorwurf der Mudscheheddin, er wolle mit Teheran verhandeln, ließ ihn kalt. Ein ehrenvoller Kompromiß war ihm wichtiger als sinnloses Blutvergießen für nicht realisierbare Ziele.

Ghassemlou war einer der wenigen Kurden-Politiker, die gegen den iranisch-irakischen Krieg aufgetreten sind. Wobei er sich völlig bewußt war, daß Waffenstillstand und Frieden im Golfkrieg zu Lasten der Kurden gehen würde. Chomeinis Tod dürfte seine Bereitschaft, mit Teheran zu verhandeln, noch gestärkt haben. Und gegen einen solchen Schritt gibt es eine große Opposition: ein höchst fragwürdiges Bündnis von Radikalen in Teheran, Sektierern in den kurdischen Bergen, iranischen Volksmudschaheddin und Politikern in Bagdad. So schrieben die Mudschaheddin bereits vor einem Jahr, als sich der Friede am Golf abzeichnete, über Ghassemlou: „Ab jetzt paßt er nicht mehr in das Kräfteverhältnis in Iranisch -Kurdistan.“