EVOLUTION WASSERSCHLAG

■ Le bal populaire vor dem Reichstag

Mir tut ja nur der französische General leid, der die ganze Scheiße mitmachen muß.“ - „Ich geh‘ nach Haus ins Warme: bei der Kälte - ich bin doch nicht bescheuert.“ - „Wo gibt's denn hier Kräpps?“ - „Begabt ist dieser französische Regisseur nicht gerade.“ - “...---...?“ (und Mundwinkel nach unten gezogen) - Stimmen aus dem Berliner Volk zur großen Jubiläumsrevolution. Einige fanden's aber auch prima und schütteten unermüdlich eine bekannte Berliner Biermarke in sich rein, was immerhin zur Folge hatte, daß hier und da etwas Ausgelassenheit aufkam, wenn man es denn so bezeichnen möchte.

Ansonsten stand Gaffen oder Shopping zur Auswahl. Die Gaffer versammelten sich gegenüber der nachgebauten Gebäudekulisse (vorm Reichstag) aus Marcel Carnes Film „Hotel du Nord“, vor der musikalische Vorführungen aller Art einander abwechselten: Rock, Akkordeonmusik oder flotte Tanzmelodien a la „Club Mediterrane“. Dazu gab es quotierte Tanzdarbietungen: die Frauen in roten olala-verruchten Kleidern, die Männer in Matrosengewändern mit roter Bommel auf der Mütze. Ihren Daseinszweck konnten die Tänzerinnen und Tänzer allerdings nicht erfüllen: Trotz mehrfacher Aufforderung weigerte sich das Publikum standhaft, selbst zum Tanzen überzugehen.

Dann doch lieber Shopping. Rund um den Platz der Republik standen schließlich genug Buden rum. Doch auch dieses harmlose Vergnügen wurde zur Qual. Alle 100 Meter ein 'Berliner Morgenpost'-Stand, der mit jeweils drei gelackelten Dreiachtel-Yuppies (zumeist blond, gelockt und weiblich) besetzt war (NachwuchsjournalistInnen?), die einen zur einmonatigen kostenlosen Lektüre verpflichten wollten. Na, schönen Dank. Noch aufdringlicher: Hundert,6. Überall verteilten die Schamoni-Schergen kleine Jubelfahnen und Aufkleber (T-Shirts mußte man bezahlen). Und die Masse nahm's gern und pappte sich die Aufkleber bekennerhaft auf die Jacken. Dazu auf'm Kopf: ein Kaiser's Kaffee-Käppi. Schließlich tauchte noch ein menschengroßer Frosch auf (das Maskottchen von Hundert,6: glibbrig, quackig und einen Fingerhut voll Hirn), was ringsum freudiges Begrüßungshallo hervorrief. Verteilte natürlich auch Jubelfahnen.

Also doch wieder zur Bühne, auf der gerade eine französische Armeekapelle in nostalgischen Revolutionskostümen ein musikalisches Revolutionsrepertoire wegschmetterte. Das hatte die Revolution nun auch wieder nicht verdient. Die schon erwähnten Matrosen mit den roten Bommeln auf der Mütze schwenkten dazu aus den Kulissenfenstern des Hotel du Nord gelangweilt rote, blaue und weiße Fähnlein, um so den Eindruck der Tristesse noch zu unterstreichen.

Zu diesem Zeitpunkt warteten alle nur noch auf Aznavour. Er kam dann auch (plus Band plus 1 Go-Go-Girl), und das Publikum applaudierte erwartungsgemäß überschwenglich. Doch mit Aznavour kam auch der Regen, und so gelangten die Ergriffenheit bezeugenden Wunderkerzen und Feuerzeuge für diesmal nicht zum Einsatz, dafür aber die Regenschirme. Überhaupt bot der Regen vielen die willkommene Gelgenheit, nun endlich aufzubrechen und nicht mehr länger auszuharren, falls doch noch was Unvergeßliches passieren sollte.

Von dem angekündigten „grandiosen Spektakel“ des „wohl bekanntesten (?) Regisseurs Frankreichs“ (?) - Jerome Savary (??) - war jedenfalls nichts zu bemerken. Es war einfach eine aufgeblasene Nichtigkeit, die noch nicht einmal das Zeug des bewundernswerten Schwachsinns hatte. Le bal populaire ('89) bildet zusammen mit Hellers Feuerwerk ('85) und „Inferno und Paradiso“ ('88) schon jetzt eine nahezu unüberbietbare Dreierserie von hochangereizten Reinfällen. Immerhin hat das Publikum schon 1985 aus Hellers Mega -Schmarrn die Konsequenz gezogen und bleibt in Scharen weg, was die Veranstalter aber nicht hindert, es immer wieder zu versuchen. Freuen wir uns also schon jetzt auf die Sommerpleite von 1990.

Volker Gunske