GASSENHAUER UND BALLONFAHRER

■ Arturo Sandoval bei „Jazz in July“ im Quasimodo

Arturo Sandoval ist ein Gassenhauer. Er bläst so kraftvoll in seine Trompete, als gelte es, einen Heißluftballon allein mit seinem Atem zum Fliegen zu bringen. Dabei bedient er die drei magischen Ventile, an denen das Schicksal des Ballonfahrers hängt, mit fingerfertiger Rasanz, anscheinend völlig automatisch. Auch scheint es für ihn nichts mehr zu lernen zu geben, er gibt sich selbstsicher, kennt die Lüfte wie seine Westentasche, jede Route ist ihm vertraut, er fliegt alles. Bis auf eine Beinahkollission mit einer führerlosen MIG 23 hat Commandante Sandoval immer freie Sicht gehabt. Kurzgesagt, der Cubaner ist fast so perfekt wie der computergesteuerte Autopilot eines Airbus.

Nur hat Perfektion die unangenehme Eigenschaft, immer ein wenig Glätte, Langeweile und im Extremfall Arroganz mitzuliefern. Ganz so schlimm ist es bei Sandoval jedoch noch nicht. Seine verschiedenen Trompeten - er besitzt auch ein Exemplar mit vorn hochgebogenem Horn - das er von Dizzy Gillespie auf einer ihrer gemeinsamen Tourneen geschenkt bekommen hat, spielt er oftmals gestopft, was einen kühleren Klang erzeugt. Eine Brise Miles Davis fliegt durchs Quasimodo, bricht sich an der Wand und rieselt nieder wie Staub. Sandoval überbläst ganze Tonfolgen, hält den höchsten Ton sekundenlang fest, es klirrt in den Ohren, Glas zerspringt im Kopf. Höher, immer höher hinaus, soweit die Lüfte tragen.

Chacha, Mambo, Täterää, abgeklappert werden die Stile Lateinamerikas, böswillig konnte man sagen: ausgebeutet. Aber kann ein Cubaner lateinamerikanische Rhythmen „ausbeuten“? Jedenfalls kann er sie durch die Lüfte wirbeln, abschießen und am Ende des Solos sanft am sicheren Fallschirm zu Boden gleiten lassen.

Gut bekommt es der gemeinsamen Sache der Band aber auch, wenn der Chef sich einmal zum Verschnaufen hinter den Vorhang verzieht. Die Angestellten legen keine heimliche Pause ein, sie nutzen die Ruhe vor dem nächsten Sturm zum behäbigen Swing, Hilario Duran streift über die Tasten des Flügels, der akustische Baß brummelt wohlig. Endlich hat er ein paar Minuten Ruhe vor dieser ihm schon lange verhaßten Quäkerei aus allen Geschützen. Wenn es nach ihm ginge, aber ihn fragt ja keiner, könnte sich dieser eingebildete Trompetenmatador schleunigst vom Acker machen. Ich komme auch gut alleine klar, brummt der Baß leise. Auch Schlagzeug und Percussion fühlen sich allein recht wohl, brauchen sie doch niemanden als sich selbst zu begleiten, das stärkt das Ego. Nur die ruppige E-Gitarre verlangt schon wieder nach einem Sparringpartner, sofort soll die Trompete zurückkommen, wollen wir doch mal sehen, wer hier der Schnellere ist. Den Jazzrock werde ich dir beibringen, Schluß mit dem lyrischen Geblase, Tempo ist gefragt.

Da läßt sich der Raubritter der Lüfte nicht lange bitten. Schon ist er wieder da, bläst schneller denn je, lauter als von hier nach Jericho, und das auch noch in Reggae-Shoes. Das Gefecht zwischen Gitarre und Trompete endet unentschieden.

Nein, das ist ungerecht, es war gar nicht so schrecklich, wie der Leser nun wieder denkt. Es war nur ein wenig zuviel des Guten. Zuviel blitzeblanke Hochtöne, zuviele Stile im Eiltempo durchgehechelt, zu wenig Ausstrahlung hinter der Perfektion.

Arturo Sandoval überhaupt zwei Tage auf der Bühne des Quasi bewundern zu dürfen ist, auch wenn das eigentlich nicht hierhin gehört, mit ein Verdienst des JazzFestes Berlin, bei dem er 1986 seinen ersten größeren Auftritt in dieser Stadt hatte. Wenn das JazzFest tatsächlich wegen eines reaktionären Innenministers Schäuble per Subventionsstreichung abgeschafft wird, und die Berliner Kultursenatorin schluckt diese Kröte auch noch ohne zu murren, wie geschehen, dann kommen auf Berlin jazzlose Zeiten zu. Denn ohne den Popularitätseffekt großer Festivals wären viele kleinere Jazzkonzerte nicht durchzuführen, die Musiker könnten noch so gut sein, es käme einfach kein Publikum.

Aber noch gibt es wenigstens eine nicht subventionierte Konzertreihe wie „Jazz in July“, die heute abend selbst dem unbekannten Nachwuchs eine Chance gibt. Karen Mantler, die Tochter von Carla Bley und Michael Mantler, kommt mit ihrer Band „My Cat Arnold“ ins Quasimodo. Dabeisein werden der Sohn von Charles Mingus, Eric Mingus, der Sohn von Saxophonist David Sanborn, Jonathan Sanborn, am Baß und einige weitere „Kinder“. Durchkramen Sie einmal Ihre Plattensammlung bis zum goldglänzenden „Escolator Over The Hill„-Album von Carla Bley und Anhang, Sie werden irgendwo die Stimme von Tochter Karen hören.

Andreas Becker

Karen Mantlers „My Cat Arnold“ heute 22 Uhr bei „Jazz in July“ im Quasimodo.