Postmodernes Märchen: Jeder für sich allein

 ■ V O R L A U F

(Die Kunst, verliebt zu sein, ARD 23.00 Uhr) Die WG ist out, die Hausgemeinschaft ist in. „Escalier C“, so der Originaltitel, der Treppenaufgang C ist freiräumig die Alternative zur Gemeinschaftsküche. Jeder für sich allein, ohne Ersatzfamilie und Familie überhaupt: damit bleibt das Treppenhaus Zufluchtsort, wo jeder von jedem jedwedes erfährt.

Die postmoderne Ära, die hier verkündet wird, sagt: Alle werden Nachbarn. Die Emanzipierten sind es bereits. In Tacchellas Film ist Emanzipation vollendet und postmodern geworden. Deshalb, nicht dennoch, herrscht im Treppenhaus unter Freunden ein ständig schmerzhaftes Coming-Out. Diejenigen, deren Geschlechterkampf längst ausgefochten scheint, verkehren miteinander nicht unter dem Heiligenschein der Toleranz, sondern bekriegen sich aufs Messer. Auch verbal. Ihr Selbstbewußtsein, aller Begehren gegen aller, ist unberechenbar und unbrechbar.

Der Edelchauvi findet in diesem Milieu der Ganzstarken seine Existenzberechtigung. Robin Renucci trägt den Chauvi mit hartgesottenem Zynismus durch Galerien und Redaktionen. Schön und zynisch könnte er das Feministische zur Weißglut bringen, hätte die weibliche Souveränität - wenigstens in diesem Film - nicht längst schon alles erreicht. Die einstigen Gegnerinnen des Beau verfallen ihm nicht, sondern nutzen ihn zur Erfüllung ihres Begehrens nach Gusto, ohne Liebesschwüre.

„Die Kunst, verliebt zu sein“, so der deutsche Titel, behauptet Depression jedoch als Folge der Emanzipation und Zynismus als ihren Preis. Als Kampfhuhn und -hahn findet keineR den sexuellen Frieden. Ein Happy-End muß her, eins im Zeichen des Wassermannes, warum auch nicht. Der Chauvi arbeitet hart an seiner Selbstbekehrung. Die Asche einer alten Dame, die sich im Treppenhaus erhängt hat, trägt er zum Ölberg Nähe Genezareth. Ein postmodernes Märchen zum Schluß von der Bekehrung der Emanzipation. Glücklich nur, wer sich wieder verliert.

Arnd Wesemann