Trotz guter Voraussetzungen Enttäuschung in Paris

In der Verschuldungsdebatte während des Weltwirtschaftsgipfels wehte ein neuer Wind  ■ K O M M E N T A R E

Wer will, darf auch über den diesjährigen Weltwirtschaftsgipfel die altbewährten Werturteile fällen je nach Weltanschauung etwa: „Gipfel enttäuschte“ oder auch: „Gipfel bestätigt Ausbeutungssystem“. Keine dieser Überschriften wäre falsch, aber kann man schon deshalb nach der Devise: „The same procedure as every year“ zur gewohnten Tagesordnung der Weltsicht übergehen?

Wer auf die Feinheiten achtet, der muß immerhin konstatieren, daß sich die Voraussetzungen des diesjährigen G-7-Treffens von denen der vergangenen Jahre deutlich unterschieden - in einem Punkt, der für die Linke so wesentlich war wie kaum ein anderer: Die Regierungschefs forderten die Geschäftsbanken ihrer Länder mit allem Nachdruck auf, sich an Schuldennachlässen zu beteiligen. Das Enfant terrible der bundesdeutschen Bankerszene, der Chef der Deutschen Bank Alfred Herrhausen, setzte gestern anläßlich des Gipfels noch eins drauf und beantragte die Streichung der Hälfte aller Zinsen und Schulden der Drittweltstaaten bei den Banken. Das zweifellos richtige Argument, der Brady-Plan sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein, verliert dabei insofern an Gewicht, als man es mit der einstigen Klage darüber vergleicht, daß frühere Wirtschaftsgipfel und Währungstagungen grundsätzlich jeglichen Schuldenverzicht kategorisch ablehnten.

Es verschließt sich auch einer möglichen Dynamik, die in einem solchen „ideologischen Wendepunkt“ liegen kann, wie einer der Strategen des Pariser Gegengipfels den Schuldennachlaß a la Brady titulierte. Und wenn wir es ganz genau nehmen, dann können wir von den Gipfelberatern auch keine eigenen Beschlüsse zum Abbau der Bankenschulden dem größten Brocken - erwarten. Wer hier nämlich die Regierungen oder den IWF in die Pflicht nehmen will, der redet der Sozialisierung der Verluste das Wort. Und das war es doch eigentlich nicht, was wir vor allem wollten.

Private Verluste hin, Sozialisierung (die kaum zu umgehen sein wird) her: Die Dinge haben in Form des geplanten Brady -Pilotabkommens mit Mexiko eine Konkretion auf dem Papier angenommen, die sich vor Jahresfrist niemand hätte träumen lassen. Auf dieser Stufe müssen nun weitergehende Forderungen ansetzen: Schafft zwei, drei, viele Nachlässe wobei es beileibe nicht zuförderst darauf ankommt, daß alles unbedingt global allen Schuldnerländern in gleicher Weise zugute kommen muß. Und wenn der Schuldennachlaß mit Forderungen nach mehr Privatisierung und Deregulierung verbunden ist, so mag dies zwar moralisch verwerflich sein, weil hier Abhängigkeitsverhältnisse manifestiert werden. Ob die Auflagen dagegen in der Sache des Teufels sind, mag sich jeder angesichts der klaren Forderung von Solidarnosc nach strengen Auflagen für Polen selbst beantworten.

Wer angesichts der offiziellen Diskussionen und Pläne über Schuldenstreichungen die platte Forderung nach sofortiger und globaler Schuldenstreichung als die einzig erlaubte ansieht, wird von der geschichtlichen Entwicklung rettungslos überholt werden. Allerdings: Daß noch nicht einmal in Sachen Brady-Plan in Paris mehr Konkretes herausgekommen ist, enttäuscht auch den Kommentator.

Ulli Kulke