Für Fahrt sorgte nur der Schiffsdiesel

Die größte Windjammerparade, die Hamburg je gesehen hat, erwies sich als Flop - wenig Zuschauer, falscher Wind  ■  Aus Hamburg Michael Berger

Punkt 13 Uhr gab Hafenkapitän Erhart Paschburg das Zeichen: Eine grüne Leuchtrakete stieg auf, 400 Segelschiffe setzten sich in Bewegung. Für diesen Moment waren Zehntausende Hamburger und wohl auch ein paar Tausend Gäste an die Landungsbrücken und die Elbhänge geströmt: die größte Windjammerparade, die Hamburg je gesehen hat. Ein Dutzend Großsegler und ein Gewusel kleinerer Jachten, historische und moderne, glitten mit vier Knoten Geschwindigkeit elbabwärts. Das Unternehmen nannte sich „Sail '89“ und sollte den Höhepunkt des 800.Hafengeburtstages bilden. Veranstalter und Lokalpresse hatten drei Millionen Besucher erwartet -, daß die Einheimischen weitgehend unter sich blieben, machte die Veranstaltung allerdings zum größten Flop des Jahres.

Schon Tage zuvor gab's maritime Raritäten zu bewundern: Windjammer aus dreizehn Ländern waren im Zuge der „Cutty Sark Tall Ships‘ Races“, der alljährlichen Regatta der Segelschulschiffe, von London kommend eingelaufen. Quer zur Hafenstraße machte die Viermastbark „Sjedow“ aus Odessa fest, die Bewohner der bunten Häuser (Motto: „Wenn Ihr räumt, holen wir die Russen!“) begrüßten die Crew des größten noch fahrenden Segelschiffs der Welt (122 Meter) mit einem Feuerwerk. Brave Hanseaten hielt es nicht mehr in Wandsbek, Winterhude und Wilhelmsburg: Familienväter verlegten am Wochenende die Brutpflege an die Überseebrücke, wo die Masten vierzig Meter in den grauen Himmel ragten; kamerabewehrt pirschten sich Pädagogen über den Fischmarkt den Kuttern zu, deren Takelage es zu studieren galt. Und nun am Sonntag nachmittag die große Auslaufparade. Regenschauer und Windböen begleiteten die Windjammer, deren Aufstellung ein veritabler Bundeswehr-Fregattenkapitän festgelegt hatte.

Windjammer faszinieren erst, wenn sie unter vollen Segeln im Wind stehen. Der kam gestern aus Nordnordwest, elbaufwärts also, weshalb die Richtung Nordsee ziehenden Segler vom Klüver bis zum Besan alles gerefft hatten, was für ihren Antrieb und ihre Schönheit steht. Fahrt machte der Schiffsdiesel. Welch trauriger Tag für den Fregattenkapitän.

Und für die Hamburger, die stolz darauf sind, eine Brigantine von einem Vollschiff unterscheiden zu können wenn sie denn hochgetakelt sind. Gemahnen die Windjammer doch an jene angeblich glorreiche Zeit der christlichen Seefahrt, als unter Hanseaten noch jene mächtigen und reichen Leute verstanden wurden, die die Schiffe in ferne Länder ziehen ließen: Reeder und Handelsherren.

Heute bekommen die Hamburger die „Königinnen der Meere“ nur noch selten zu Gesicht. Der „Kommodore Johnsen“ sind sie verlustig gegangen - die „Salpeterbark“, einst Stolz des Norddeutschen Lloyd, war Kriegsbeute der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg; jetzt fährt sie als die obengenannte „Sjedow“ über die Weltmeere. Die „Padua“, weltbekannter „Flying-P-Liner“ der Hamburer Reederei Laeiz, erlitt ein ähnliches Schicksal: Sie segelt heute als „Krusenstern“ für das sowjetische Fischereiministerium - das wohl schönste Schiff der Windjammerparade am Sonntag. Die russische Windjammerflotte wird komplettiert duch den Viermast -Gaffelschoner „Mir“ (111 Meter), der in diesem Jahr vom Stapel gelaufen ist und mit seiner traditionellen Takelung trotzdem wie ein Oldtimer aufläuft.

Die bundesdeutsche Segelschulschiff-Flotte war in Hamburg mit der popligen „Großherzogin Elisabeth“ vertreten, einem 63 Meter langen, klobigen Gaffelschoner, sowie mit dem Dreimast-Topsegelschoner „Thor Heyerdahl“ (50 Meter), der im „Wooling“ (Gedränge) auf dem Strom kaum auffiel.

Die Zeiten, in denen sich die Schiffstechnik der Natur bediente, sind perdu. Die Schiffe von heute bekämpfen die Natur und sehen entsprechend häßlich aus: die riesigen Containerschiffe beispielsweise. Schon deshalb hätte sich manch Einheimischer gerne von den Windjammern schanghaien lassen. Gelegenheit für nostalgische Träume gibt's noch einmal am nächsten Wochenende, dann findet der zweite Teil der „Sail '89“ statt - diesmal mit dem Flaggschiff deutscher Seefahrtsromantiker, der Bundeswehr-Bark „Gorch Fock“.