Die sieben Fetten und die sieben Mageren

■ Gestern gingen in Paris das Treffen der reichsten Industrieländer und der erste Gegengipfel zu Ende

Diesmal waren die Erwartungen an den jährlichen Gipfel der sieben wirtschaftsstärksten Industrieländer des Westens höher gespannt als sonst: Der nach dem US-Finanzminister Brady benannte Plan zur Schuldenminderung der Dritten Welt sollte endlich auf die Beine gestellt werden. Doch daraus wurde nichts, das Vorzeigeabkommen mit dem Großschuldner Mexiko ist noch nicht fertig ausgehandelt. Dafür gab es jede Menge andere Beschlüsse: von der Wirtschaftshilfe für Polen und Ungarn über Sanktionen gegen China bis zur Erhöhung des japanischen Anteils am Internationalen Währungsfonds.

Über einen Mangel an ungewohnten Herausforderungen konnten sich die Staats- und Regierungschefs in Paris nicht beklagen. Alfred Herrhausen, der als Chef der Deutschen Bank seit einiger Zeit laut über Schuldennachlässe gegenüber der Dritten Welt nachdenkt, schlug den eher zauderlichen Gipfelteilnehmern gestern über den Rundfunk Konkretes um die Ohren: zunächst die Zinsen einseitig um die Hälfte kappen, dann den Schuldenstand - ebenfalls um 50 Prozent. Aber auch der einsame Rufer aus der Betonwüste der Bankenhochhäuser konnte die Gipfelteilnehmer nicht dazu veranlassen, einem bereits vorliegenden Plan zur Schuldenreduzierung Leben einzuhauchen: In Sachen Brady-Plan für Mexiko, das immerhin auf eine 35prozentige Streichung der gesamten Bankenforderungen von 54 Milliarden Dollar hinausgelaufen wäre, kam man in Paris nicht weiter. Allerdings verknüpfte die Runde einmütig eine grundsätzliche Unterstützung des Plans mit der Forderung an die Banken zu mehr Bereitschaft in Sachen Schuldenabbau. Bundesfinanzminister Theo Waigel nannte Roß und Reiter für den bisherigen Mißerfolg in Sachen Mexiko: die Banken der USA und Japans. Indirekt kritisierte er allerdings auch seine Gipfelkollegen. In diesen Ländern seien eben die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten für Forderungsverzichte noch nicht gegeben, deren sich Herrhausen und seine deutschen Kollegen erfreuen.

Nicht minder ungewohnt als dessen Gipfelbegleitmusik war eine Initiative aus ganz anderer Richtung: Michail Gorbatschow richtete in einer Art Grußadresse an die Teilnehmer den Vorschlag, künftig stärker zusammenzuarbeiten. Dabei wird auch mutig Bereitschaft zum direkten ökonomischen Systemvergleich signalisiert. Während dereinst großspurige Hinweise des Westens auf die größere Markt-Wirtschaftsleistung mit einer vermeintlich anderen Wahrheit sozialistischer Art gekontert wurden, will Gorbatschow jetzt einen gemeinsamen Nenner finden: Einheitliche Wirtschaftsindikatoren und vergleichbare statistische Daten sollen nun her zur gedeihlichen Zusammenarbeit. Die Perestroika in der UdSSR sei von einer Politik der vollen Teilhabe an der Weltwirtschaft nicht zu trennen, schrieb Gorbatschow.

Gorbatschow ist dabei nicht der einzige Ostblockakteur, der die aktive Zusammenarbeit mit dem Gipfel sucht, auch Solidarnosc meldete sich zu Wort: Die G-7-Staaten möchten sofort Schritte zur dringend nötigen Finanzhilfe an Polen einleiten - aber bitte mit ganz konkreten Auflagen. Die Gelder sollten vor allem der Marktwirtschaft des Landes zugute kommen. Anstelle erwünschter Umschuldungs- und Kreditzusagen in Höhe von rund 10 Milliarden Mark kam aus Paris jedoch lediglich Unverbindliches: „Wir begrüßen den in Polen und Ungarn eingeleiteten Reformprozeß“, heißt es in der Gipfelerklärung zu den Ost-West-Beziehungen, und „jeder von uns ist bereit, diesen Prozeß zu unterstützen sowie in geeigneter Form und koordiniert Wirtschaftshilfe zur dauerhaften Umgestaltung und Öffnung der Volkswirtschaften dieser Staaten in Erwägung zu ziehen.“ Man wolle helfen, „konkurrenzfähige Volkswirtschaften“ zu errichten. Kein Zweifel: Weniger der knappe Geldbeutel der USA als die noch zu unscharfen Vorstellungen über die marktwirtschaftlichen Reformen - und vor allem über die künftige Regierung, die sie durchführen soll - haben hier die Bereitschaft zu konkreteren Zusagen gebremst. Und so blieb nur eines übrig: Die EG wird aufge fordert, sofort Maßnahmen zum Zwecke der Nahrungsmittelhilfe einzuleiten.

Die Gipfelteilnehmer haben auch zu anderen Themen Beschlüsse gefaßt: Da Schuldenstreichungen nach dem Brady -Plan mit Unterstützung auch des Internationalen Währungsfonds (IWF) laufen sollten, hängt vieles an der Kapitalaufstockung des Fonds, die bislang von den USA noch blockiert wird. Eine erste Vorentscheidung ist nun gefallen, indem man sich auf einen höheren japanischen Anteil am Fonds einigte, der im Rahmen einer „allgemeinen Erhöhung“ der Fondsmittel auf der Jahrestagung im Herbst wirksam werden soll.

Die G-7-Staaten wollen im Rahmen der Weltbank vorerst keinen weiteren Krediten für China zustimmen. Ansonsten: Die Konfliktparteien in Nahost werden zu stärkeren Friedensbemühungen aufgefordert, eine schärfere Vereinbarung gegen das Waschen von Geld aus Drogengeschäften wurde auf US -Initiative getroffen, gegen den Luftfahrtterrorismus soll nun eine internationale Regelung zur Kennzeichnung von Plastik- und Foliensprengstoffen helfen, Mandela müsse freigelassen werden - daneben noch eine allgemeine Erklärung zu den Menschenrechten am Samstag, damit ein jeder daheim auch genügend vorweisen kann.

Am Sonntag dann stand auf Antrag Bundeskanzler Kohls das Thema Umwelt auf dem Programm. Durchsetzen konnte er sich freilich mit seinen angekündigten Vorstellungen kaum. Aus dem Tauschgeschäft Schuldenverzicht gegen Umweltschutz blieb nurmehr das Bekenntnis, daß die Bemühungen von Staaten mit tropischen Wäldern durch finanzielle und technische Zusammenarbeit sowie internationale Organisationen unterstützt werden sollen. Aus dem Vorhaben, den für das Jahr 2000 beschlossenen Verzicht auf Fluorchlorkohlenwasserstoffe vorzuziehen, wurde nichts. Der Beschluß wurde in Paris lediglich „bekräftigt“.

Ulli Kulke