Neues Weserwehr nach Ur-Opas Vorbild

■ Strombaumeister Hermann Bücking wurde 1912 zu Unrecht gefeuert / Heute wird wieder nach seinen Ideen gebaut / Aber alles dreimal größer

Welche Kraft das Weser-Wasser hat, konnten BremerInnen zuletzt im Winter 1980/81 bestaunen, als der Strom wegen eines Defekts am Weserwehr aufgestaut wurde und sich einen eigenen Weg durch den Deich suchte. Unter den Fluten und den Augen tausender ZuschauerInnen verschwand ein ganzes Parzellengebiet auf der Werderinsel. Über sechs Jahre dauerte es, bis die Hochwasser

Schäden wieder einigermaßen beseitigt waren.

Hochwasser ist auch für den Bau des neuen Weserwehrs die größte Gefahr. Deshalb werden die Bauarbeiten an den vier massiven Pfeilern, mit denen sich das Wehr künftig gegen den Fluß stemmen soll, im Winter unterbrochen. Zur Hochwasserzeit soll der Strom von keiner überflüssigen Spundwand aufgehalten

werden.

Doch im Sommer wird nun vier Jahre lang gebaut. Je nach Tide zwischen drei und neun Meter unter der Wasseroberfläche sind die Bauarbeiter dabei, 16 Meter lange Stahlpfähle schräg in den Sand zu rammen, die später das Weserwehr tragen sollen. Über dreimal höher und schwerer als das alte Wehr soll das neue werden. 90 Mio Mark werden dafür verbaut.

Im Gegensatz zu dem 1911 fertiggestellten ersten Bremer Weserwehr wird das neue trotzdem wenig überregionale Furore machen. Zum ersten Mal überhaupt waren nämlich damals Sektorenverschlüsse konstruiert worden, die automatisch vom Wasserstand gesteuert werden konnten. Eine Technik, die sich so gut bewährt hat, daß sie auch wieder angewandt werden soll.

Allerdings ist die Weser heute nicht mehr derselbe Fluß wie vor 80 Jahren. Schon als das Bremer Weserwehr auf Druck der preußischen Staatsregierung Anfang des Jahrhunderts in Auftrag ging, hatte sich der Fluß verändert. Mit der Vertiefung der Unterweser für Überseeschiffe, die den Bremer Hafen anlaufen sollten, war der Grundwasserspiegel im Einzugsbereich der Mittelweser abgesunken - mit bedrohlichen Folgen für die Landwirtschaft im fruchtbaren Aller-Weser

Dreieck.

Mit dem Bau des Weserwehrs konnte die Mittelweser vor der Erosion durch die Tidenströme bewahrt werden. Doch danach wurde mit der Vertiefung der Unterweser erst richtig begonnen. 1916 wurde sie auf sieben Meter unter Normalnull ausgebaggert, 1929 auf acht Meter und 1979 auf neun Meter Tiefe. Damit liegt das Niedrigwasser heute um drei Meter tiefer als zur Zeit des Weserwehr-Baus.

Die Folge davon: Die Sohle der Weser ist im Bremer Stadtgebiet um vier bis sechs Meter abgesunken. Je näher die Vertiefung dem alten Wehr rückt, desto mehr gerät es in Gefahr. „Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß nach künftigen extremen Hochwässern sich weitere, sprunghafte Vertiefungen bis zum Wehr heran einstellen werden“, begründet der Leiter des Wasser- und Schiffahrtsamtes, Jan Dirksen, die Notwendigkeit eines Neubaus.

Zu Beginn des Jahrhunderts war es Hermann Bücking, der als Bremer Strombaumeister das Weserwehr aus Stampfbeton und Backstein plante. Zwar halten das Fundament und die Klappen schon 80 Jahre lang der Weser stand, doch mit einer neuartigen Konstruktion der dazugehörigen Schleuse hatte Bücking damals weniger Glück: Schon wenige Jahre nach Fertigstellung sackte

die Trennwand der beiden Schleusenkammern unter dem Wasserdruck zusammen. Bremens Grundwasser enthielt mehr Eisen als angenommen und hatte binnen kurzer Zeit die Eisenträger verrosten lassen.

Der Unfall am Wehr hatte für den Baumeister direkte Folgen: Hermann Bücking wurde gefeuert und verbrachte den Rest seines Lebens damit, in einer Kellerwerkstatt Wohnzimmerschränke mit Schnitzereien zu verschönern. Sein Urenkel, der in Bremens Alternativszene wohlbekannte Robert Bücking: „Das ist bei uns Familienlegende. Immer wenn ich als Kind einen Bach aufgestaut hab‘ und das Wasser

schließlich den kleinen Damm wieder weggeschwemmt hat, dann hab‘ ich gedacht 'wie bei Ur-Opa‘.“

Doch Urgroßvater Bücking war zu Unrecht geschaßt worden. Erst kurz vor seinem Tod wurde ein falsches Gutachten als Grund des Mißgeschicks an der Schleuse entdeckt. Als kleine Wiedergutmachung benannte der Senat eine Straße nach dem unglücklichen Strombaumeister. Wer allerdings ihr Ende übersieht, kann die Kraft des Wassers am eigenen Körper erfahren: Die Bückingstraße führt an den Schuppen des Überseehafens vorbei und endet als Sackgasse direkt an der Weser-Kaje.

Dirk Asendorpf