In Pinkfarben aufs Matterhorn

Die Sportkletterer sind den Lodenträgern mit Gamsbart nicht länger verdächtig / Konservative Wandervögel warnen: „Der Berg verkommt zum Sportgerät“ / Umweltschutz für die Kletterexoten kein Thema  ■  Von Holger Reile

Jahrelang standen sie sich schier unversöhnlich gegenüber: hier die Gamsbart-Fundamentalisten mit Karohemd und Kniebundhosen, dort die poppig aufgemachten Sportkletterer, die sich vornehmlich an steilen Felswandpassagen versuchen. Während den einen das Erreichen eines Gipfels höchste Befriedigung verschafft, zählt für die buntgrellen Sportkletterer meist nur die Bewältigung schwierigster Teilstücke - von Hüttenromantik und Edelweißenthusiasmus keine Spur.

Solange es sich bei den Sportkletterern um eine verschwindende Minderheit handelte, konnten es sich die Alpenvereine durchaus leisten, die exotischen Klettervögel links liegen zu lassen. Aber die anfangs kleine Gemeinde der Sportkletterer wuchs in den letzten Jahren zahlenmäßig stark an, vor allem in Italien und Frankreich haben Luis Trenkers Enkel eine wahre Massenbewegung in die Gänge gebracht. Schon allein der Nachwuchssorgen wegen - immer mehr Jugendliche fühlen sich zur Sportkletterei hingezogen - versuchen nun die Alpenvereine diese neue Sportart zu integrieren.

Wo früher ein rüder Ton herrschte und die Bergexoten als Spinner und Ausgeflippte bezeichnet wurden, ist neuerdings der Umgangston freundlicher geworden. Deutlich wurde diese Entwicklung bei einem internationalen Sportkletter-Symposium an der Konstanzer Universität. Der Vorsitzende des Deutschen Alpenvereins (DAV), Dr. Fritz März, und seine österreichischen und Schweizer Kollegen Christian Smekal und Franz Steinegger plädierten für ein harmonisches Miteinander. Ressentiments und Vorbehalte gegenüber den Sportkletterern seien größtenteils Schnee von gestern, die grundsätzlichen Gegner der neuen Kletterart „weitgehend verstummt“.

„Es kann nicht Sinn sein“, so Franz Steinegger, „einen, der in einer pinkfarbenen Hose auf der Felsplatte eines Südhanges klebt, dazu aufzufordern, lodenbekleidet in einen Nordhang zu hocken.“ Sein deutscher Kollege März stimmte zu: „Wir müssen uns öffnen und tun das auch, schließlich wollen wir nicht zum Hüttenerhaltungsverein verkommen.“ Zwar fehle es den Alpenvereinen noch an dementsprechenden Organisationsstrukturen und nötigen Finanzmitteln, vor allem das Sportkletter-Training ohne fachliche Anleitung und fehlende sportmedizinische Betreuung wurde bemängelt -, aber das sei alles nur eine Frage der Zeit.

Weitgehend einig waren sich die drei Alpenvereinsvorsitzenden bei ihrer Kritik am Wettkampfklettern. Hier deute sich eine zunehmende Kommerzialisierung an, Sponsoren lockten Kletterprofis mit Geld- und Sachpreisen meist in überdachte Hallen mit künstlich aufgebauten Felswänden. „Dabei“, so der Österreicher Christian Semkal, „verliert der Kletterer radikal den Bezug zur Bergwelt“, der Berg verkomme zum „reinen Sportgerät“.

Der Berner Journalist Etienne Gross bezeichnete in seinem Vortrag die Sportkletterei „als Teil einer gesamtgesellschaftlichen Veränderung“. Hier zeige sich auch ein Wandel in der Einstellung zum eigenen Körper. Die „Traditionsalpinisten“ hätten sich überwiegend der Prüderie verschrieben, die Sportkletterer seien dagegen „eine erotische Generation“, die mit ihrem Sport - mensch staune „zur Gleichberechtigung der Frau“ beigetragen hätten. Die Alpinisten herkömmlicher Prägung erinnerten den Schweizer Journalisten in der Mehrzahl an „konservative und frauenfeindliche Männerzünfte“.

Gross erklärte die Sonderstellung des alpinen Bergsteigens für beendet, die Sportkletterei sei mittlerweile fester Bestandteil eines „polysportiven Angebots“. Ob Sportklettern, Surfen, Paragliding oder Mountainbiking - für ihn sind das alles Entwicklungen eines unaufhaltsamen Booms. Bei Gross‘ Plädoyer für derlei ungetrübte Lebensfreude krauste sich so manchem Umweltschützer die sorgenumfaltete Stirn.

Kritik wurde laut, daß während des Symposiums der Umweltschutz überhaupt nicht angesprochen wurde, denn gerade der von Gross prophezeite Boom verschiedener Trendsportarten in freier Natur verursache den Umwelt- und Tierschutzverbänden allergrößte Kopfschmerzen.

So blieb es Spraydosen-Aktivisten vorbehalten, den offiziellen Anlaß des Sportkletter-Symposiums für ihren Protest zu nutzen. Denn eingeweiht wurde an diesem Wochenende die erste Freiluft-Kletteranlage der Universität Konstanz. Ein in Beton gegossenes, neun Meter hohes und 340.000 Mark teures Monstrum, an dem die Sportkletterer künftig den Aufstieg üben können. Die Nacht zuvor sprühten Kletteranlagen-Gegner ihren Unwillen auf die mächtigen und mit unzähligen Grifflöchern versehenen Betonwände: „340.000 Mark sind zuviel“ steht da nun zu lesen und, in Anlehnung an die Konstanzer Wohnungsnot, „Diese Löcher sind zu klein zum Wohnen“.

Erstaunlich die Tatsache, daß die Aufschriften zum Teil in einer Höhe von sieben Metern angebracht wurden. Was immerhin darauf schließen läßt, daß sich die nächtliche Seilschaft mit einer sicheren Griffolge in der Senkrechten zu bewegen wußte.