BRD-Berichterstattung lockt die DDRler

■ Fernsehberichterstattung weckt in der DDR falsche Hoffnungen über Schlupfloch Ungarn / Lage der Botschaftsflüchtlinge in Budapest nach wie vor ungewiß / DDR-Bürger werden Opfer verstärkter Grenzpatrouillen / Ungarn ist Austragungsort der „Querelle Allemande“

Berlin (taz) - Das Schicksal der DDR-Bürger, die am Wochenende in der bundesdeutschen Botschaft in Budapest Zuflucht gesucht haben, um ihre Ausreise zu erzwingen, ist weiterhin ungewiß. Das Auswärtige Amt in Bonn und die Botschaft der Bundesrepublik in Budapest äußern sich wie gewohnt nicht zu den Vorfällen, um eine schnellere humanitäre Lösung im Sinne der Betroffenen zu erwirken. Doch verlautete aus diesen Kreisen, Schuld an diesen Vorgängen sei hauptsächlich die westdeutsche Fernsehberichterstattung. Sie hätte bei vielen DDR-Bürgern den Eindruck erweckt, die Grenze sei durchlässiger geworden.

Verschwiegen worden sei dagegen, daß die Grenzpatrouillen 20 Kilometer vor der Grenze stellenweise verzehnfacht worden sind. Darin sei auch der Grund zu sehen, warum die DDRler als letzten Zufluchtsort die Botschaft gewählt hätten. Unter den Hilfesuchenden seien auch besonders prekäre Fälle, beispielsweise Familien mit Kindern. Einige Familien hätten auch schon ihr gesamtes Hab und Gut in der DDR verkauft. Sie wähnten sich in der sicheren Annahme, problemlos über die „grüne Grenze“ laufen zu können. Früher hätten sich DDR -Bürger im Rahmen ihrer Urlaubsreise bei der Botschaft nach Möglichkeiten einer Ausreise erkundigt, heißt es in diplomatischen Kreisen. Das Botschaftspersonal hätte sie damit auf Gefahren und mögliche legale Wege aufmerksam machen können. Einige der heutigen Flüchtlinge hätten sich den Rückweg regelrecht abgeschnitten. Die Anzahl der Flüchtlinge soll fluktuieren, verlautete in Budapest aus westlichen Diplomatenkreisen. Ständig verließen einige das Gebäude, andere kämen neu hinzu. Eine Möglichkeit, DDR -Bürger direkt in die Bundesrepublik zu bringen, gibt es nach diesen Angaben nicht.

Wenn DDR-Bürger, die über die Gefahren unterrichtet wurden, trotzdem auf einen BRD-Paß bestehen, werde ihnen dieser ausgehändigt. Da aber der Sichtvermerk eines Einreisevisums dann fehle, sei es für die ungarischen Grenzbeamten ein leichtes, den Ausreisenden als DDR-Bürger zu identifizieren. Die Chancen, daß einer der Grenzer die Augen schließe und den DDR-Bürger ziehen lasse, seien äußerst gering. Die meisten werden auf direktem Wege in die DDR ausgeliefert.

Ungarns Spielraum in dieser Frage sei eng. Wegen des äußerst schwierigen Reformkurses und der Auseinandersetzungen mit einigen Verbündeten im Warschauer Pakt könne man nicht verlangen, daß es sich in dieser Angelegenheit anders verhalte. Man könne nicht erwarten, daß es sich zum Austragungsort der „Querelle Allemande“ mache. Allerdings zeigten die Ungarn keinen Übereifer, die Botschaft könne unbehelligt besucht werden. Im ungarisch -österreichischen Grenzort Schopron stehen reihenweise verlassene Zelte. Sie gehören DDRlern, von denen nur einige den Sprung in den Westen geschafft haben. Aus gutinformierten Kreisen in Ost-Berlin verlautete, mit Maßnahmen gegen Ungarnreisende sei, obwohl zum Problem geworden, während der Sommermonate nicht zu rechnen.

khd