piwik no script img

„Die sind uns nicht avisiert worden“

Ohne Befehl von oben reden Bremens ÖTV-Funktionäre nicht mit streikenden britischen Hafenarbeitern / Verhandlungen der Gewerkschaftsspitze über Solidaritätsaktionen bei der internationalen Transportarbeitergewerkschaft in London  ■  Aus Bremen Dirk Asendorpf

Wenn im Bremer Büro der Gewerkschaft ÖTV leibhaftige Arbeiter anklopfen und um Unterstützung für ihren Streik bitten, rutscht den Gewerkschaftsbeamten das Herz in die Hose. Wenn es sich dabei sogar um Hafenarbeiter handelt, die ihre Bitte um Solidarität auch noch in einer Fremdsprache vorbringen, schlagen ihnen Bremens ÖTV-Funktionäre die Tür vor der Nase zu - so jedenfalls am vergangenen Wochenende, als eine Gruppe britischer Vertrauensleute der streikenden Hafenarbeiter mit Bremens ÖTV sprechen wollte.

Am 3.Juni schaffte das britische Parlament das seit 1947 bestehende landesweite Tarifsystem für Hafenarbeiter ersatzlos ab. Die Arbeiter an den Kais und in den Docks dürfen nun wieder nach dem frühkapitalistischen Prinzip „hire and fire“ mit Zeitverträgen und ohne feste Tariflöhne von den privaten Hafengesellschaften abgespeist werden. Solidaritätsstreiks anderer Branchen sind in Großbritannien inzwischen ebenfalls per Gesetz verboten. Deshalb sind die 9.400 gewerkschaftlich organisierten Hafenarbeiter aller größeren britischen Häfen, die am 8.Juli gegen die Entrechtung ihrer Arbeitsverhältnisse in Streik traten, auf die „internationale Solidarität“ angewiesen.

Denn gegen den britischen Hafenstreik haben die großen Reeder schnell reagiert. Der „Round-the-world„-Service der „Evergreen-Line“ beispielsweise wurde kurzfristig von Southampton nach Rotterdam und Le Havre umgeleitet. Ein großer Teil des britischen Umschlags findet inzwischen in den belgischen, französischen und niederländischen Kanal -Häfen statt. Doch auch die gewerkschaftliche Basis der britischen Hafenarbeiter reagierte schnell: Drei Delegationen von lokalen Vertrauensleuten sind seit Anfang vergangener Woche in den großen Häfen Westeuropas unterwegs, um für Unterstützung ihres Streiks zu werben.

Eine davon erreichte am Freitag Bremen. Unter den vier Liverpooler Vertrauensleuten war auch der gewählte Vorsitzende der britischen „Vertrauensleute-Konferenz“ der Transportarbeitergewerkschaft, Jim Nolan. „Die Bremer ÖTV -Leitung weigert sich, uns zu empfangen“, ärgerte er sich am Freitag, „dabei sind wir gekommen, um von der Basis aus Druck auf die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF) zu machen.“

Während den britischen Gewerkschaftern in Frankreich, Belgien und den Niederlanden von ihren Hafenarbeiter -Kollegen Unterstützung des Streiks versprochen wurde, will die bundesdeutsche ÖTV nicht mal mit ihnen reden. „Die sind uns nicht avisiert worden“, begründete Bremens ÖTV -Kreissekretär Siegfried Claus den Rüffel. „Das geht bei uns immer den ordnungsgemäßen Weg“, weiß Claus, „zunächst muß die Hauptverwaltung in Stuttgart von der ausländischen Gewerkschaft informiert werden, die benachrichtigt die Bezirksverwaltung, und wir kriegen als Kreisverwaltung dann eine klare Anweisung von oben, ein Gespräch zu führen.“

Doch statt dieser „klaren Anweisung“ war aus Stuttgart ein Verbot gekommen. Die offiziellen Verhandlungen auf Spitzenebene, zu der sich die ITF gestern in London versammelte, sollten nicht von der Basis unterlaufen werden. „Vertrauensleute-Delegationen sind nicht bevollmächtigt, für die britische Gewerkschaft zu reisen und zu sprechen“, weiß der Stuttgarter ÖTV-Sekretär Benze, „das ist innerhalb der ITF so abgesoprochen.“ Der gewerkschaftliche Dienstweg sei sehr sinnvoll, meint auch Bremens ÖTV-Sekretär Claus, „sonst können ja irgendwelche Leute zu uns kommen, und wir wissen dann gar nicht, was die wollen.“

Auf die Idee, die streikenden britischen Hafenarbeiter -Kollegen selbst zu fragen, was sie wollen, ist bei der Bremer Gewerkschaft niemand gekommen. „Unsere ÖTV-Leute dürfen schließlich auch nicht einfach irgendwohin reisen“, weiß der für ITF-Kontakte zuständige Mitarbeiter der Bezirksverwaltung, Ali Memon, „das ist keine offizielle Delegation, da wollen wir kein Chaos in die Sache bringen.“

Doch selbst in der Bremer ÖTV gibt es scheinbar „Chaoten“, die da anderer Meinung sind. Sie trafen sich am Samstag fernab der ordnungsgemäß ins Wochenende abgetretenen Gewerkschafts-Funktionäre im Bremer Hafen mit ihren Liverpooler Kollegen - und staunten 200 Jahre nach der französischen Revolution zusammen über den britischen Frühkapitalismus und den Bremer Gewerkschafts-Monarchismus.

Dirk Asendorpf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen