Schnell produziert - schnell vergessen

■ Jugendliche und Videoclips - Eine Untersuchung in Hamburg Musikvideos sind nur schmückendes Beiwerk / Jugendliches Zuschauerinteresse sinkt

Mit dem Kabel-TV sind sie verstärkt in bundesbürgerliche Wohn- und Kinderzimmer eingezogen: Videoclips; jene bunten, rasant geschnittenen Musikfilmchen, ohne die kein Hit mehr zu machen ist. In den englischsprachigen Ländern ist man deutlicher: Dort gibt es keine Videoclips, sondern „Promotional Videos“ oder kurz „Promos“. Womit die eigentliche Aufgabe dieser Filmschnipsel hinreichend umschrieben wäre. Denn was sind Videoclips letztlich anderes als Werbespots? Sie sollen Popmusiktitel für die Präsentation im Fernsehen aufbereiten und ein Werbeträger für Schallplatten sein. Darüber hinaus sind sie auch Handelsgegenstand, denn man kann sie in etlichen Plattenläden in Gestalt von VHS-Cassetten für teures Geld erwerben. Das ist, als würde man im Supermarkt versuchen, neben der Zahnpasta auch noch eine Videocassette mit dem Werbespot für die Zahnpasta zu verkaufen. Zur Clip-Geschichte

Neu sind sie nicht. Schon gegen Ende der dreißiger Jahre gab es in den USA „Soundies“ genannte kurze Musikfilme, die in Jukebox-ähnlichen Automaten zu besichtigen waren. Videoclips im heutigen Sinne tauchten erstmals in den ausgehenden Siebzigern auf; die Bohemian Rhapsodie von Queen wird vielfach als „der erste Videoclip“ bezeichnet. Die Antwort der Musikindustrie auf die ständig wachsende Bedeutung des Fernsehens, wenn man so will. Denn mit dem Start von MTV (Music Television) wurde es in den USA nahezu unmöglich, ohne Clip eine Hitsingle in den Hot 100 unterzubringen. Da läßt man sich den Clip schon etwas kosten; oft ist er teurer als das eigentliche Musikstück: 125.000 Dollar gelten mittlerweile schon als „low budget„; in der Bundesrepublik darf man Summen zwischen 50.000 und 150.000 Mark ansetzen - für letzteren Betrag aber kann man bereits eine komplette LP mit Popmusik international verkaufbaren Zuschnitts produzieren. Die Clip-Herstellung übernehmen freie Video-Produktionsfirmen im Auftrag von Plattenfirmen oder freien Musikproduzenten. Wenn es auch nicht an Geld fehlt, so doch an Zeit: Acht bis zehn Tage stehen für die Produktion zur Verfügung, inclusive Vor- und Nachbereitung. Die Drehzeit dauert selten länger als ein bis zwei Tage. Ausgeleierte Bildeffekte

Mit neuen, frischen Ideen wird daher gegeizt; die meisten Clips bestehen aus Reprisen der immer gleichen ausgeleierten Bildeffekte. Und abgekupfert wird, wo immer es geht. Action, ohne daß wirklich etwas passiert, viel Tanz und Bewegung, manchmal blanker Sexismus, fast immer aber dröhnende Einfallslosigkeit - das ist das Standardrezept für die erdrückende Masse der Clips. Natürlich: Es gibt auch Clips, denen es wirklich gelingt, eine Synthese von Bildern und Klängen herzustellen, die witzig sind, die künstlerisches Neuland betreten - aber das ist ein Clip von Hunderten. Und jede Woche werden 40 neue auf den Medienmarkt geschüttet, nationale und internationale, rund 2.000 Clips pro Jahr! Der Zielgruppe sind sie

nicht wichtig

Wer soll sich das eigentlich ansehen? Ganz klar: Die Kundengruppe, die für die Plattenindustrie die wichtigste ist. Das sind die Jugendlichen ab ungefähr 13 Jahren, die Schülerinnen und Schüler.

Aber es scheint, als habe man die Jugendlichen unterschätzt. Das jedenfalls ist das Ergebnis einer nicht repräsentativen Befragung von 160 SchülerInnen im Alter von 13 bis 18 Jahren an sieben Hamburger Schulen. Erfragt wurde neben dem allgemeinen Stellenwert von Musik in der Freizeitgestaltung speziell ihr Interesse an Videoclips.

Musikhören steht mit Abstand an der Spitze der Freizeitaktivitäten; drei Viertel der Jugendlichen haben auch Interesse an Clips, wobei dies bei den Befragten aus Kabelhaushalten leicht stärker ist als bei den Dachantennen -Zuschauern. Aber der Wert, den man den Clips beimißt, ist nicht sehr groß. Nur einem Drittel der Befragten fiel überhaupt ein Clip ein, der ihnen besonders gefallen hatte; und die wichtigsten Gefallensmomente sind zwei Faktoren, die eigentlich gar nichts mit der Machart des Clips zu tun haben: die Musik und der Interpret. Clips werden also in erster Linie als Zugabe zur Musik angesehen, nie aber umgekehrt. Wegwerfartikel

Ein gelungener Clip kann dem Musikstück zwar zu einem Sympathie-Bonus verhelfen, zum Hit „machen“ aber kann er es nicht. Wenn allerdings den Jugendlichen ein Musiktitel oder der Interpret sehr gut gefällt, werden auch extrem einfallslose Clips noch akzeptiert (als Beispiel sei das Touchy-Video der norwegischen Weichspüler A-Ha genannt). Wenn der Interpret zufällig Michael Jackson heißt, ist alles möglich. Sein Thriller überragt alle anderen Clips. Aber auch hier liegt dies nicht am Clip (selbst wenn der unbestreitbar gut choreographiert ist), sondern an Jackson: Das gleiche Video mit einem namenlosen Kleiderständer anstatt jenem Lift-Boy hätte keine Aussichten, einen Blumentopf zu gewinnen.

Videoclips sind Gebrauchs- und Wegwerfartikel. Nur wenige Clips werden überhaupt länger als ein paar Wochen erinnert; und wenn, dann müssen sie schon einiges an Originalität und Kreativität aufbieten. Oft stimmt die Gestaltung der handelsüblichen Clips nicht überein mit den Vorstellungen der Jugendlichen. Über die Hälfte der Befragten nämlich wünscht sich in erster Linie Bilder, die zum Text des Musikstücks passen. Gemixt mit einigen erotisch getönten Sequenzen und guten Choreographien soll eine klare, nachvollziehbare Handlung ablaufen oder doch wenigstens eine zur Musik passende Atmosphäre erzeugt werden. Die ständig optischen Trickeffekte und rasanten Schnitte finden nur mäßigen Anklang; häufiger werden ruhige, fließende Bilder gewünscht. Der idealtypische Videoclip soll die Musik unterstützen, aber kein ausgeprägtes optisches Eigenleben führen.

Bei 58 Prozent der befragten Jugendlichen steht im Haushalt ein Videorecorder, und gut die Hälfte dieser Gruppe besitzt Cassetten mit Clips. Gekaufte Ware allerdings ist kaum dabei, die weitaus meisten Jugendlichen zeichnen Clips aus dem Fernsehen auf. Das entspricht auch den Erfahrungen der Plattenläden: Die Clips liegen im Regal wie Blei; auch die neue CDV (Compact Disc Video), auf die die Phonoindustrie große Hoffnungen setzt, verkauft sich noch sehr mager. Fazit

Jugendliche haben, so das Fazit der Befragung, zwar Interesse an Clips, doch drückt sich das weder in klingender Münze im Plattenhandel aus noch im Dauerkonsum der typischen Clip-TV-Sender. RTL plus, Sat1 und das ZDF rangieren in der Beliebtheitsskala vor Tele 5; selbst in Kabelhaushalten senden Sky- und Super Channel praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Das zeigt, daß das Interesse der Jugendlichen viel eher in Richtung TV-Serie und Spielfilm tendiert als zum Clip. Formel Eins, die Clip-Schule der ARD, leidet seit längerem an Zuschauerschwund und steht auf der Abschußliste; auch Tele 5 baut seit geraumer Zeit den Anteil des reinen Clip-TV zugunsten von Filmen, Gameshows und Sportsendungen ab.

Was immer also die Jugendlichen sonst für ein Verhältnis zur Flimmerkiste haben mögen: Mit Clips alleine lockt man sie nicht vor die Röhre.

Jan Reetze