FÜR EINE GESELLSCHAFT OHNE KNÄSTE

„Gefangenenarbeit ist Facharbeit am Menschen“ ist in großen Lettern in der Stammheimer Eingangshalle zu lesen. Das bundesdeutsche Knastsystem basiert auf Arbeitszwang und Stufenvollzug. Ziel des Knasts ist nicht die Bekämpfung der „Kriminalität“. Vielmehr geht es darum, den Willen der Gefangenen zu brechen, sie zwangsweise zu (re)sozialisieren. Die Gefangenen sollen gezwungenermaßen lernen, nach den vorgegebenen Spielregeln zu leben. Die meisten der über 50.000 Gefangenen in bundesdeutchen Knästen sind weder „Großkriminelle“, Großdealer noch „Drahtzieher“. Der Großteil der Gefangenen ist als „Handlanger“ eingefahren weil er/sie probiert hat, über irgendwas an Kohle zu kommen, dem Malochertrott zu entfliehen.

Vollzugsziel ist: Friß die Spielregeln! Dann lassen sie dich sogar dealen oder Geschäfte machen - vorausgesetzt die Wachteln sind daran beteiligt. Alles unter ihrer Kontrolle und im Rahmen ihrer Ordnung. Wer sich unterordnet im Knast kann „gut“ leben. Um die Kooperation zu erzwingen, haben sie die breite Palette des Stufenvollzugs. Erst mal entscheidet die Einweisungskomission (Richter, Psychologen etc.) anhand der „Täterpersönlichkeit“ in welchen Knast du gesteckt wirst. Die Entscheidung fällt je nach Anpassungswillen („Reue“) oder Widerstandshaltung für Therapieknast, Psyche, halboffenen Vollzug, Verwahrvollzug ... oder eben Hochsicherheitstrakt. Nicht die Tat, sondern der Täter wird bestraft. Zentrale Säule des Vollzuges ist der Arbeitszwang im Knast.

Um einigermaßen „leben“ zu können, ist man/frau im Knast gezwungen zu malochen. Maloche im Knast heißt zu meist frühkapitalistischen Bedingungen für durchschnittlich 90 Pfennig in der Stunde zu schuften, meistens Akkord oder Pensum. Der Grad der Ausbeutung läßt sich auch daran sehen, daß beispielsweise „das Land Baden-Württemberg ... im Jahre 1987 einen Reingewinn von ca. 35 Millionen DM durch eine derartige Arbeitskraftausnutzung erwirtschaftet“ hat. Auch die Löhne im Knast sind nicht dem „Zufall“ überlassen. So darf ein Gefangener „fünf Prozent vom Durchschnittslohn der Sozialversicherten verdienen. Also fünf Prozent von 35.000 DM, das heißt 7,06 DM pro Tag für einen Facharbeiter.“ Seit 1. Januar kann man/frau nicht mal mehr die Zellenarbeit verweigern ohne Streichungen (Einkaufssperre) zu befürchten.

Nach dem Grad der Anpassung wird auch die Art der Arbeit ausgesucht: leicht, schwer, schlechter bezahlt, in der Gruppe oder isoliert mit Sprechverbot. Der Lohn in Strafhaft beträgt im Höchstfall etwa 150 DM im Monat. Davon wird ein Drittel sofort abgezogen für die sogenannte „Rücklage“. Der Rest reicht kaum für die nötigsten Dinge (Tabak, Kaffee, Vitamine, ...), weil auch die Preise im Knast schweinisch überhöht sind - meist um die Hälfte teurer als draußen.

Der Arbeitszwang ist die „Fahrkarte“ Nr. 1, um an die sogenannten „Lockerungen“ im Vollzug zu kommen. (Das geht vom Fernsehen über Beteiligung an Gruppenveranstaltungen, Berufsausbildung, Teilnahme an Sportveranstaltungen..., bis hin zum Freigang.) Bei Arbeitsverweigerung gibt es zuerst mal grundsätzlich 23 Stunden Zelleneinschluß am Tag und die damit verbundene Einkaufssperre. Den Gefangenen, die öfter mal krank werden, droht dasselbe.

Das Infragestellen des Systems und seiner Grundpfeiler, es nicht zu akzeptieren, die Weigerung sich einzugliedern, werden mit Isolation und Trakt bestraft. Bruchsals Anstaltsleiter Preussker sagte treffend, daß diejenigen Gefangenen gefährlich wären, die den Gedanken an die Freiheit nicht aufgegeben haben.

Zerstörung, Vernichtung der Persönlichkeit, genau darauf zielen die Knäste ab. Die Architektur der neuen Knäste (wie Weiterstadt, Plötze, Heimsheim, ...) ist darauf ausgerichtet. Die alten Bauten werden dementsprechend umgebaut. Die Methoden, dich einer totalen Überwachung auszusetzen, sind verfeinert (Kameraüberwachung in den Zellen, eingelassenes nicht verschiebbares Mobiliar, Abhöranlagen, spezielle, total isolierte Trakte...). Gezielt werden die Gefangenen ausgesucht, die miteinander reden dürfen - alles Methoden dich vollständig zu kontrollieren, dir alles zu nehmen, was dich ausmacht.

Das, was sie jahrelang an „politischen“ Gefangenen praktiziert haben: Isolationshaft, Toter Trakt, Sichtblenden, Trennscheiben - um nur weniges aufzuzählen all das wird immer mehr zum festen Bestandteil des Stufenvollzuges, dem immer mehr Gefangene unterworfen sind, die auf irgendeine Art rebellieren. Es betrifft alle.

Zur Isolation kommt noch, daß die Gefangenen bewußt weit entfernt von ihren Familien, FreundInnen usw. unterbracht werden. Damit werden Besuche noch zusätzlich erschwert und werden noch seltener. Wenn überhaupt, dann gibt es zweimal im Monat Besuch - unter beschissenen Bedingungen. BesucherInnen werden gefilzt, und jedes Wort wird mitgehört. Dazu kommen dann noch die Schikanen, wie stundenlanges Warten auf den Besuch. Briefe werden willkürlich zensiert und einbehalten („Gefährdet die Sicherheit und Ordnung der Anstalt“). Beschwerden dagegen werden als „unbegründet“ abgewiesen. Zeitungen und Bücher kommen entweder gar nicht, Tage später oder völlig zerschnippelt an.

Um wenigstens von rechtlicher Seite was dagegen unternehmen zu können, fehlt den meisten Gefangenen ein Anwalt. Woher auch den Schotter dafür hernehmen? Die ehemalige Anwältin eines Gefangenen, weigerte sich während des jüngsten Hungerstreiks, auch nur einen Finger krumm zu machen, weil er schließlich schon lange keine Rechnungen mehr bezahlt hätte.

Die Abschottung nach außen verschärft so die Isolation im Knast noch weiter. Der lebenswichtige Kontakt zu FreundInnen oder Familie wird massiv erschwert.

All das bedeutet, auf Jahre hinaus betrieben, nichts anderes als Folter und schließlich Mord. Und genau das ist es, wenn sie sagen: „Gefangenenarbeit ist Facharbeit am Menschen.„

Anstatt die Ohren abzuschneiden, gibt es nichts mehr zu hören.

Anstatt die Zunge herauszuschneiden, ist niemand da, mit dem man/frau reden könnte.

Anstatt die Augen auszustechen, gibt es nichts mehr zu sehen.

Wir wollen mit diesem Infoblatt auch auf die zahlreichen Gefangenen aufmerksam machen, die im Hungerstreik waren oder sind, weil sie ihre Haftsituation nicht mehr ertragen wollen. Wir wissen, daß sich nach Abbruch des Hungerstreiks der Gefangenen aus RAF und Widerstand nichts an der Situation der über 50.000 Gefangenen in den bundesdeutschen Knästen geändert hat. Auch wenn der Staat jetzt die Haftsituation einiger weniger Gefangenen „überdenkt“, bleiben doch die Forderungen aller anderen Gefangenen im Hungerstreik nach wie vor unerfüllt. Wir sind uns sicher, daß es noch genügend Gefangene gibt, von denen wir nicht wissen, daß und wie sie sich wehren, weil sie keine Kontakte, keine Öffentlichkeit haben. Es ist unsere Sache, uns darum zu kümmern, wer da sitzt und was da passiert. Es muß eine breite Diskussion über Knast und Haftbedingungen zustande kommen. Für alle muß klar sein, daß wir uns drum zu kümmern haben, die gewollte Isolation der Gefangenen zu durchbrechen - daß wenn er/sie eine/n kennt, schreibt, Besuche macht - es gibt viele Möglichkeiten.

„Allein machen sie dich ein“ ist nirgends so fühlbar wie im Knast.

Kontakte über „Wilde Vögel“, c/o K 82, Postfach 3905, 7500 Karlsruhe 1, oder c/o IZ, Werderstr. 142, 7100 Heilbronn