Wie die SPD von sich reden machen will

Ergebnisse der „Fortschritt 90„-Kommission mehr als dürftig / SPD-Think-Tank beschränkt sich auf vage Aussagen statt auf konkrete politische Inhalte / Nur die Public Relations ist handfest  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

In kleinen Häppchen gibt die SPD bekannt, wie sie die Republik im Falle eines Machtwechsels zu regieren gedenkt. Die Strategie hat zweifellos Vorteile: Die Partei kommt mit diesem und jenem Vorschlag ins Gespräch, die Reaktionen der Öffentlichkeit werden getestet - und so richtig verbindlich ist das alles denn doch nicht - es handelt sich ja nur um vorläufige Arbeitsergebnisse.

So ist also jetzt in der partei-offiziellen Diktion nur ein „Arbeitspapier“, was in den Medien bereits als „Zwischenbericht“ der Kommission „Fortschritt 90“ gehandelt wurde - jener 22köpfigen Kommission unter Oskar Lafontaine, die als Schattenkabinett an einem Regierungsprogramm für 1990 feilt. Die Partei soll die 17 Seiten aus der Bonner Denkfabrik dennoch mit gebührender Hochachtung zur Kenntnis nehmen, denn schließlich sind sie „ein Extrakt aus 1.000 Papieren“, sagt die SPD-Geschäftsführerin Anke Fuchs.

An der Parteibasis könnte sich nun mancher fragen, was in jenen 1.000 Papieren gestanden haben mag, wenn dies bereits der Extrakt ist. Denn viele wohltönende Absichtserklärungen verdecken nur notdürftig, daß die Superkommission zu entscheidenden Fragen klare Aussagen vermeidet.

Durch Zeitungslektüre wissen die GenossInnen bereits, wie ihre Partei „die Kräfte des Marktes für den Umweltschutz mobilisieren“ will: durch mehr Steuern auf Energie und Kraftstoff und durch eine neue Tarifstruktur für den Strom. Aber würde eine SPD-Regierung auch Milliarden im Etat umverteilen, um die Bundesbahn attraktiv und billiger zu machen?

Da heißt es nebulös, über die „kumulierende Wirkung“ von Maßnahmen im Verkehrssektor sei „noch nicht entschieden“. Mit welchen von insgesamt neun zur Debatte stehenden Abgaben die Industrie ohne den Umweg über die Steuer zur Kasse gebeten werden soll - auch das ist nicht entschieden. Die FDP-Generalsekretärin Schmalz-Jacobsen muß ein anderes Papier gelesen haben, als sie den Sozialdemokraten den „Marsch in die ökologische Planwirtschaft“ vorwarf.

Unter der Rubrik „Arbeit und Wohlstand für alle“ findet sich nur ein einziger konkreter Programmpunkt: Zwei Wochen Bildungsurlaub im Jahr für alle. Hinsichtlich der Wochenendarbeit, bekanntlich ein Streitpunkt in der Partei, zog sich die Kommission auf eine Gummi-Formulierung zurück: „Ein wichtiger Bereich der Arbeitsmarktpolitik ist die freiere Gestaltung der Arbeitszeit und die Arbeitszeitverkürzung.“

Auch in der Familien- und Sozialpolitik ist die Beschlußlage mager: 200 Mark einkommensunabhängiges Kindergeld, Wiedereinführung des Schüler-Bafögs, dreijährige Arbeitsplatzgarantie bei der Betreuung von Kindern. Schon bei der Bezahlung eines Elternurlaubs wird es wieder vage (langfristige Ausweitung“), und ob die Sozialdemokraten den Ärmsten eine soziale Grundsicherung bieten wollen und den Alten eine abgesicherte Pflege, das wissen sie noch gar nicht. Die Rentenreform würden die Sozialdemokraten zwar über den mit der Koalition vereinbarten „Kompromiß“ hinaus nachbessern wollen, aber auch das „nicht gleich am 1. Januar 1991“, wehrt Anke Fuchs voreilige Erwartungen ab.

So vage die politischen Inhalte sind, so konkret ist der Zeitplan, um mit ihnen ständig im Gespräch zu bleiben. Im Herbst steht eine Serie von Fachkongressen auf dem Programm. Zum Beispiel mit solchen Titeln wie: „Ökologisch erneuern, qualifiziert arbeiten, besser leben“. Mit derartigen Veranstaltungen will sich die SPD als „rundumerneuerte“ Kraft präsentieren und ein Manko ausgleichen, auf das der Sozialexperte Dreßler jetzt hinwies: Es fehle vor allem für das Öko-Konzept die „Verkaufsstrategie“. Bis zur endgültigen Beschlußfassung über das Regierungsprogramm auf einem Parteitag im September 1990 soll die Öffentlichkeit dann gelernt haben, was die Botschaft von „Fortschritt 90“ ist Anke Fuchs: „Wir sind mit unseren Gedanken auf der Höhe der Zeit.“