EIN SCHÖNER MORD

■ Das Tanz-Theater Skoronel mit „Charlotte Corday, Mörderin Marie“

Charlotte Corday wäre wie viele Frauen der französischen Revolutionsgeschichte dem revolutionären Staub anheimgefallen, hätte sie nicht erfolgreich gemordet und sich damit guillotiniert. Wie die Jungfrau zum Badewannenmord beziehungsweise -tod kommt, und welche theatralischen, moralischen und psychodramatischen Stationen dabei zu absolvieren sind, führt das Tanz-Theater Skoronel nach Aufführungen in Duisburg, Marburg, Düsseldorf und Wuppertal nun auch der Berliner Provinz vor.

Eine schmale dunkle Gestalt schreitet zielstrebig zum Bühnenrand, das kleine Gesicht über die Zuschauer weg, auf ein genau umrissenes Ziel gerichtet, die Augen aufgerissen, die Faust geballt. Das ist keine schlafkranke Vollzugsbeamtin der Geschichte, sondern ein Wesen, das aus dem Tugendstandbild des Klosters, in dem es aufgewachsen ist, republikanische Moral gesogen hat, um Marat, den Verfechter einer Tugend, die sich zum Schrecken der Septembermorde verselbständigt hat, zu widerlegen. Am Ende sinkt die Corday (Elisabeth Farr) nach einer Art Liebesspiel mit dem toten Marat zusammen in die Badewanne, ein Liebestod zwischen Tugend und Terreur, die dialektisch zusammengedacht werden müssen, auch wenn die Revolutionsfeiern heute über lauter Menschenrechterei von der dunklen Seite nichts wissen wollen.

Bei Skoronel wird die Bühne jedoch vom Terreur, der Exekution beherrscht. Der Henker Charles Henri Sanson (Norbert Eichstädt) ist immer präsent, lächerlich angezogen mit drei Krawatten in den französischen Nationalfarben und einer unter die Achseln gezogenen Bürgerhose. Er schleppt ächzend die zusammengeklappte Guillotine wie einen Sarg hinter sich her, kommentiert und rezitiert, stellt sich prüfend vor seine zukünftigen Opfer, ein kleiner absurder Giftzwerg, den man bemitleiden muß für seine Tätigkeit. Marat (Frank Herfeld), der Schreibtischtäter, bleibt die meiste Zeit in seiner Badewanne sitzen, schreibt mit großen pathetischen Gesten ganze taz- und Zweite-Hand-Seiten voll, reicht seine flammenden Ideen seiner flammenden Geliebten (Be van Vark), die sie zerknüllt. Marat, der revolutionäre Spieß-Bürger, tanzt zuweilen albern im Bademantel in der hintersten Reihe, während die Riege der „Kindermörderinnen“ ihr Handwerk übt: mal „melodramatisch“, mal „dramatisch“ zu den wahrhaft pathetisch-schönen Säge- und Operettenklängen der Einstürzenden Neubaute F. M. Einheit. Viermal illustrieren die Kindermörderinnen mit hauenden, schlagenden und stechenden Praktiken perfide lästerliche Weiblichkeit, selbst die Novizinnen (Jasmin Glass-Henry und Yoshiko Waki) würgen gekonnt mit, dann darf die Jungfrau in Aktion treten, der die Zeitgenossen nach der Tat den Kopf vermessen haben, so unglaublich schien die Bluttat einer noch „reinen“ Frau.

Doch die Corday hatte ihre Vorbilder im religiösen Wahn. Vor allem Judith, die fürs Alte Testament auch mal einen Kopf abschlägt, gibt gottgewollte Legitimation. Judith (Indira Sonnadara) verführerisch erotisch im weißen Seidenkleid, feiert Auferstehung zusammen mit einer heutigen Marie (Barbara Bruhin) und Marie Antoinette (Judith Kuckart). Diese Marie Antoinette, die gelangweilt ihre Nylonstrümpfe und ihr seidenes Unterhöschen der Corday zwischen die Beine wirft, hätte in ihrer adligen Dummheit und Ignoranz den Tod verdient. Aber Kuckart im rosa Reifrock macht es dem Ideologen schwer, diese Person nur als Funktionsträger einer reaktionären Klasse zu sehen (ohne die Revolution so dümmlich zu denunzieren wie der Süddeutsche Rundfunk, der zum Bastille-Sturm einen Kutschenfilm mit mütterlich-nuttigem Seelchen produzierte). Die letzte Nacht Marie Antoinettes vor ihrer Hinrichtung durchleiden alle Personen gemeinsam auf der Bühne: Hin- und hergehend, und wieder hin- und hergehend, gekrümmt bis zum autistischen nervösen Kopf-am-Boden-schlagen, den Pullover über den Kopf gezogen zur entmenschten Phantomgestalt, die sich selbst erwürgt. Fern jeder Menschelei behauptet sich die ganz banale nackte Angst als Lebensäußerung gegenüber einem entleerten Automatismus, der sich von seinen ursprünglichen Zielen weit entfernt hat.

Schwer fällt es, das Stück so zu rationalisieren, ohne den Gehalt gegen die Poesie auszuspielen, beides gehört aber über neunzig Minuten lang so eng zusammen, daß die Erklärungen erst später kommen, ausgehend von Bilderablagerungen: hier ein Fuß, der sich in den Boden bohrt, der Atem erschöpfter Tänzerinnen, der diabolische Blick der japanischen Novizin, und schließlich Elisabeth Farrs traumwandlerischer utopischer Blick, der dem werktätigen Henker nicht ausweicht. Das Tanz-Theater Skoronel bewegt sich genau auf dem schmalen Grad zwischen lyrischem Tiefgang und ironischem Kommentar: Eben ertanzte sie sich einen lang ersehnten Mord, da steigt er wieder aus der Badewanne, schleppt sie in die Mitte, um eine repräsentative Position für die revolutionären Beerdigungsfeierlichkeiten einzunehmen.

Dorothee Hackenberg

Charlotte Corday, „Mörderin Marie“ bis 23. Juli, täglich 20 Uhr in der Theatermanufaktur am Halleschen Ufer.