Die Freiheit, den Strich zu verlassen

■ Dreijahresplan für Prostituierte in der südandalusischen Stadt Jerez de la Frontera Ausbildung, Sozialversicherung und Wohnung für den Ausstieg / Nur die Frauen selbst sind noch skeptisch

Nur einen müden Blick hat sie übrig, die Mutter Jesu, die dort rechts hinten am Ende der Theke direkt neben dem Männerklo lehnt; nur einen müden Blick hat sie übrig für die alte Frau in Bademantel und Hausschlappen, die gerade in das fahle, blaue Neonlicht von Juans Bar tritt. Zwei Münzen rollen über die Theke, eine rauhe Stimme ordert „un brandy“. In einem gierigen Schluck ist das Glas leergetrunken. Dann geht es - ein paar Schritte über die Straße - zurück zu den Freiern. Ein Glas Brandy? Zwanzig Sekunden sind das insgesamt, genau zwanzig Sekunden sind das in Rompechapines.

Rompechapines: ein paar verfallene Häuser, Trümmer und streunende Hunde, dazwischen, in den Hauseingängen, warten ein paar Prostituierte auf Kunden. Etwa 50 Frauen arbeiten hier auf dem Billigstrich der 180.000-Einwohner-Stadt Jerez de la Frontera im Süden Andalusiens. Je nach Bedürfnislage stehen dem frustrierten Ehemann oder dem gelangweilten US -Soldaten der nahegelegenen Basis Rota allerdings auch einige Strichjungs und Transvestiten zur Verfügung.

Eine etwas ungewöhnlliche Klientel also, die sich Pedro Pacheco, Bürgermeister von Jerez, für einen ungewöhnlichen Feldzug auserkoren hat. Nachdem er schon beim letzten Wahlkampf durch Rompechapines flanierte, um auch hier ein paar Stimmen für seine gemäßigt-linke „Partido Andalucista“ zu gewinnen, so will Pedro Pacheco jetzt seine putas vom Strich holen - oder, amtlich gesprochen, „resozialisieren“.

Rosa Bautista, Delegierte für Soziale Angelegenheiten im Jerezaner Rathaus, hat schon einen kompletten Dreijahresplan ausarbeiten lassen. Den Kernpunkt des Vorhabens bildet ein zweigliedriges Ausbildungsprogramm: Nach der ersten theoretischen Ausbildungsphase, die etwa ein halbes Jahr dauern wird, können die Prostituierten in staatlichen escuelas talleres (Ausbildungsbetrieben) arbeiten. Dafür kassieren sie den festgelegten Mindestlohn von etwa 730 Mark. Außerdem garantieren ihnen die escuelas talleres eine kostenlose Sozialversicherung. Zur Zeit zahlen die meisten der Prostituierten Medikamente und ärztliche Behandlung aus eigener Tasche.

Die Prostituierten von Rompechapines leben normalerweise in denselben Zimmern, in denen sie sich auch ihrer Kunden annehmen - oft sogar zusammen mit ihren Kindern. Um dieser erbärmlichen Situation ein Ende zu setzen, will Rosa Bautista dafür sorgen, „daß auch Prostituierte, wie alle anderen Arbeiter mit niedrigem Einkommen, in eine Sozialwohnung ziehen können“.

Neben den Planungen auf lange Sicht umfaßt das Programm auch einen Katalog konkreter Vorhaben, die unverzüglich in Gang gesetzt werden sollen: ärztliche Untersuchungen in Monatsabständen, Informationsgespräche über Geschlechtskrankheiten mit dem Schwerpunkt Aids, Ausgabe von Empfängnisverhütungsmitteln, psychologische Beratung und Hilfe vor Gericht bei Mißhandlungen - dies alles als kostenloser Service.

„Wir wollen keinesfalls die Prostitution verbieten oder vollkommen abschaffen“, weist Rosa Bautista jeden Verdacht eines moralischen Kreuzzuges von sich. „Es geht nur darum, jeder Frau die Freiheit zu gewährleisten, sich selbst auszusuchen, wie sie sich ihr Geld verdient.“ Die Resozialisierung der Prostituierten sei nur als Teil einer generellen Emanzipationskampagne und „Sensibilisierung“ zu verstehen. „Was die Rolle der Frau angeht, hinken wir in Spanien noch um Jahrzehnte hinter anderen Ländern her.“

Obwohl sich das Programm zunächst auf Rompechapines konzentriert, kann grundsätzlich jede der schätzungsweise 300 Jerezaner Prostituierten teilnehmen. Kaum Chancen sieht Rosa Bautista allerdings für die Mädchen, die sich in den Randstädten verkaufen - „oft 15- und 16jährige, die ihre Stammkunden haben und sich nicht auf der Straße sehen lassen“. Probleme werden auch von der Jerezaner Zuhälter und Drogenszene erwartet. Noch ungelöst ist zudem die Frage, wie die heroinsüchtigen Prostituierten in das Programm eingegliedert werden können. Das Budget jedenfalls steht schon - verteilt auf die verschiedenen departamentos wie Gesundheit, Städtebau und Soziale Angelegenheiten.

Die Prostituierten in Rompechapines stehen der ganzen Sache noch skeptisch gegenüber. „Ich halte das für Propaganda“, zweifelt Angela, 33, an der Aufrichtigkeit ihres Bürgermeisters. Angela arbeitet seit neun Jahren hier in Rompechapines, etwa 20 Mark kassiert sie für einen servicio completo. Dazu lassen die Freier noch fünf Mark als Zimmermiete auf dem Tisch im vestibulo liegen. An diesem Tisch verdienen sich nun diejenigen als „Aufpasserinnen“ ihr Geld, die ihr ärgster Feind, das Alter, mittlerweile pensioniert hat. „Unsere duena ist wie eine Mutter zu uns“, grinst Angela. „sie kocht für uns und paßt sogar auf meinen Kleinen auf.“ Für die Betreuung ihres dreijährigen Sohnes zahlt sie allerdings auch etwa 500 Mark im Monat. Mehr Glück hat da die 22jährige Pilar, deren Mutter sich um ihren sechsjährigen Sohn kümmert. „Mit 15 bin ich schwanger geworden, dann habe ich die Schule abgebrochen. Schließlich bin ich in Rompechapines gelandet, weil es sonst absolut unmöglich ist, hier Geld zu verdienen.“

Die Arbeitslosenrate in Spanien beträgt 18,5 Prozent. Über eine Million der Arbeitslosen haben zudem keinerlei Berufsausbildung und viele - wie Pilar - nicht einmal eine abgeschlossene Schulausbildung. Besonders aber die Jugendlichen können angesichts der katastrophalen Arbeitsmarktsituation jegliche Hoffnung begraben: Fast die Hälfte von ihnen - genau 48,85 Prozent - waren zu Beginn des Jahres arbeitslos.

Für einen vernünftigen Job würden sowohl Angela wie auch Pilar sofort Schluß mit Rompechapines machen. „Und die anderen hier auch“, ist sich Angela sicher.

In Juans Bar steht Pilar an der Theke; ihre Finger öffnen langsam den Mantel, ihr Unterkörper schiebt sich ruckartig nach vorn und ihre Beine spreizen sich. Drei Typen mit etwas ätherischem Blick stoßen mit der Mutter Jesu auf die erfolgreich erledigte Bedürfnisbefriedigung an und verfolgen die Präsentation mit belustigten Augen. Ein anderer Typ, vielleicht 20 Jahre, tritt in das kalte Licht, drückt Pilar ein Stückchen Silberfolie in die Hand und widmet sich der „Push„-Taste von „Bimbo y Limbo“, dem obligatorischen Spielautomaten. Bimbo blinkt munter vor sich hin, Limbo schmettert seine Elektro-Arie und Pilar wirft sich die beiden rosa Pillen ein. „Pacheco?“ verkündet sie, „wenn er mir einen Job besorgt, eine Wohnung und ein bißchen Geld, dann fick ich auch für Pacheco.“

Thomas Langhoff