Patriot oder Kommunist?

Diese Frage stellt sich die polnische Opposition, seit General Jaruzelski 1981 das Amt des polnischen Premiers antrat. Sie ist bis heute offen  ■ P O R T R A I T

Von Klaus Bachmann

Die Entscheidung, 1981 den Dialog mit der Opposition mit Panzern zu beenden, ist unverrückbar mit der Person des kleinen Generals verbunden. Jahrelang galt Jaruzelski der Opposition als Personifizierung des Kriegsrechtes. Mit den Verhandlungen am runden Tisch jedoch ist es Jaruzelski gelungen, dieses Image teilweise abzustreifen. Der Mann mit der dunklen Brille gilt nun nicht mehr nur als perfides Werkzeug Breschnews; mittlerweile halten ihn kühlere Köpfe für den Mann, der den Reformkurs gegenüber Armee und Sicherheitsapparat absichert. Das habe er von Anfang an vorgehabt, sagen seine politischen Freunde. Das Kriegsrecht sei nur ein notwendiges Übel gewesen, um den Reformkurs vor Breschnews Falken zu retten. Der runde Tisch sei nicht, wie die Opposition behaupte, die Bankrotterklärung der Kriegsrechtspolitik gewesen, sondern ihr eigentliches Ziel. Tatsächlich hatte Jaruzelski bereits in seiner berühmten Rede am 13. Dezember 1981, in der er die Verhängung des Kriegsrechts begründete, die Wiederzulassung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarität anklingen lassen. Es ist allerdings zweifelhaft, ob das mehr war als ein taktisches Zugeständnis. Mehr Popularität hat nach wie vor die Einschätzung, Jaruzelski habe sich in den letzten Jahren und Monaten einfach um 180 Grad gedreht: „Er hat jetzt eingesehen, daß es ohne Opposition nicht geht und daß Opposition auch die Möglichkeit des Machtverlustes bedeutet.“

Das dürfte nicht die einzige Wendung in seinem abwechslungsreichen Leben gewesen sein: Geboren wurde er 1923 in der Nähe von Lubin. Nach Kriegsausbruch „hielt er sich in den nordöstlichen Landesteilen der Sowjetunion als Arbeiter auf“ umschreibt der offizielle Lebenslauf euphemistisch die Tatsache, daß er schlicht zur Zwangsarbeit deportiert worden war. Sein Vater „starb 1942 im Ausland“. Soll heißen, überlebte diese Art von Aufenthalt nicht. 1943 schloß sich der gerade zwanzigjährige Wojciech der polnischen Armee in der Sowjetunion an. Als Kundschafter erlebte er die Befreiung Warschaus und den Einmarsch in Berlin.

Seit 1964 ist Jaruzelski ohne Unterbrechung Mitglied des ZK der PVAP. Sämtliche Krisen der vierzigjährigen Volksrepublik hat er seitdem unbeschadet überstanden, manche waren ihm bei seiner Karriere sogar hilfreich: 1956, als die Arbeiter in Poznan den Aufstand probten, wurde Jaruzelski Brigadegeneral: Zwölf Jahre später, während der antisemitischen Säuberungskampagne des General Moczar, Verteidigungsmninister. Vermutlich war es seine politische Zurückhaltung, die ihn im Machtkampf zwischen Moczars Nationalisten und den sogenannten „Moskowitern“ für beide Seiten akzeptabel erscheinen ließ.

Als Verteidigungsminister jedenfalls gehörte er am 15. Dezember 1970 auch zu jener Runde, die den Einsatz der Streitkräfte gegen streikende Arbeiter an der Küste beschloß. Anders, als er anschließend verbreiten ließ, hat er in dieser Runde nicht widersprochen. Vielmehr hatte er die militärische Leitung der Aktion inne. Gomulka, der politisch Verantwortliche, mußte anschließend zurücktreten. Jaruzelski dagegen stieg zum Vollmitglied des Politbüros auf. Nicht zuletzt wegen seiner öffentlichen Zurückhaltung war er einer der wenigen, denen die Partei auch nach den Auguststreiks 1981 ohne Gesichtsverlust die höchsten Ämter anvertrauen konnte.

Allerdings wurde die Vorbereitung des mit Jaruzelskis Person untrennbar verbundenen Kriegszustandes schon sehr früh von Moskauer Seite forciert. Szenarien, nach denen die DDR-Armee ganz Westpolen besetzen und die polnische Armee passiv bleiben sollte, wurden entworfen. Enge Vertraute beschreiben Jaruzelskis Reaktion auf diese Überlegungen als Schockzustand. „Erst nach einiger Zeit gelang es ihm, den Interventionsplan zugunsten einer „rein polnischen Lösung“ abzuwehren. Schon bei seinem Amtsantritt als Premier soll Jaruzelski angekündigt haben, die Solidarität zerschlagen zu wollen. Vor der gestrigen Wahl darüber befragt, wich er aus: „Die Entscheidung für das Kriegsrecht war eine souveräne polnische Entscheidung“, hinter der er nach wie vor stehe. Daß Jaruzelski diese Haltung, die er während der letzten acht Jahre deutlich konsequent vertreten hat, ändern würde, war nicht zu erwarten.

Er wolle nicht um jeden Preis gewählt werden, ließ er unter der Hand verbreiten. Eine Mehrheit müsse sicher sein. Obwohl er bisher alle politischen Erschütterungen überdauerte Opportunismus wurde ihm bislang nicht vorgeworfen. In seiner Werteskala scheint Patriotismus und die Sorge um Polens Einheit an erster Stelle zu stehen. Nur die Zugehörigkeit zum Warschauer Pakt und das Bündnis mit der Sowjetunion garantierten dies - folglich steht er dafür ein, so sein unausgesprochenes Credo.

Ob der Sohn katholischer Gutsbesitzer Sozialist aus Überzeugung oder aus Pragmatismus ist, bleibt unbeantwortet. Seine Wendung in den letzten Monaten läßt selbst in den Augen mancher seiner Gegner eher auf das letztere schließen. Doch seine Überzeugungen preiszugeben, gehört nicht zu den Schwächen des Generals. Vor seiner Wahl hat er erklärt, er werde als Präsident von seinem Amt als PVAP-Parteichef zurücktreten. Den Oberbefehl über die Armee wird er nicht abgeben.