Peterchens Halluzinationen

■ Acht Thesen über Mondfahrt und mind-Fahrt / Ein- und Auslassungen von Micky Remann

Eine halbe Milliarde Menschen saßen vor genau 20 Jahren gebannt vor den Fernsehschirmen und sahen zu, wie erstmals ein Mensch den Mond betrat. Mit ungelenken Schritten bewegte sich Neil Armstrong damals über die graue staubige Oberfläche des Erdtrabanten. Der Mann hinterließ bei seinem 125minütigen Aufenthalt jenen ewigen Fußabdruck auf Frau Luna, der zum Symbol menschlicher (amerikanischer) Allmachtphantasien wurde. Doch der Griff nach den Sternen hat noch andere Dimensionen: Was geschah eigentlich in den Hirnen der Astronauten? Und was ist mit dem Weltraum in uns?

Nachdem die Landefähre auf dem Mond aufgesetzt war, stand für die Astronauten eine Schlafpause auf dem Programm. Milliarden Menschen vor ihnen hatten schon mal vom Mond geträumt, nun sollten sie die ersten sein, die auf dem Mond träumten. Einer hatte diesen Traum: Er sah sich mit seinem Kollegen über den Mond gehen, diesen grauen, stillen, verwitterten Ball. Auf ihrem Erkundungsgang trafen die Astronauten auf Fußspuren im Sand, was sie wunderte, denn sie waren doch angeblich die ersten hier oben. Sie gingen den Fußspuren nach, bis sie endlich auf die Verursacher trafen: zwei Menschen - sie selbst. Diese Doubles hatten dort schon seit Jahrtausenden auf sie gewartet.

Wie mochten sie auf den Mond gekommen sein? Aber dann fiepte der Wecker in den Traum auf dem Mond, die Luke der Mondlandefähre wurde geöffnet, Neil Armstrong hievte sich heraus und sprach, gähnend (was aber hinter dem verspiegelten Visier nicht auffiel), daß dies ein kleiner Schritt sei für... usw.

Daraus folgt These eins, nämlich: Die Reise in den äußeren Raum ist auf filigrane Art mit der Reise in den inneren Raum verbunden. These zwei: Die taz vom 13.Mai lieferte dafür ein hervorragendes, gleichwohl der Symbolik des Zufalls verdanktes Beispiel. Das Aufmacherfoto auf Seite 29 zeigte, überraschend zeitgemäß schon Monate vor dem Juliläumsrummel, „die aufgehende Erde, vom Mond aus gesehen“. Eine Illustration aus dem rezensierten Buch Der Heimatplanet, ein Prachtband über die menschliche Erfahrung der Raumfahrt, herausgegeben von der realexistierenden „Association of Space Explorers“. Auf der Rückseite desselben taz-Blattes fand sich die Besprechung eines Buches von Ference McKenna mit dem Titel Wahre Halluzinationen, dem fortgeschrittenen Abenteuerbericht über die psychedelisch -psychonautische Erfahrung.

Der Artikel ist mit sinnreichen Schnappschüssen unseres galaktischen Zentrums bebildert. Unweigerlich kommt man ins assoziative Blättern. Zweimal Space, zweimal Trip, worin besteht eigentlich der Unterschied? Wie verhält man sich, wenn die gewohnte Realität ins Exil geht, wie wirken Erfahrungen, die das Herkömmliche sprengen, auf die Koordinaten, von denen aus der Start erfolgte? „Etwas passierte damals, etwas, das mir während des Flugs gar nicht so bewußt wurde. Du könntest sagen, ich flippte aus, es war ein Gipfelerlebnis oder was auch immer. Jedenfalls hatte ich die nächsten Jahre damit zu tun, meine Denkprozesse neu zu sortieren. Alle meine Wahrheiten und Wertvorstellungen wurden in die Luft geschleudert und fielen danach runter wie ein Haufen Mikadostäbchen.“

Hier geht es nicht um einen mit Hexensalbe induzierten Flug um den Brocken - obwohl die Worte auch dafür zuträfen -, sondern es spricht Edgar Mitchell über das, was sein Flug zum Mond bei ihm in Bewegung gesetzt hat.

Der Inhalt solcher transformatorischen Impulse und daß es sie überhaupt geben kann, war bei der Nasa nicht im Flugplan vorgesehen, stand aber bei vielen (nicht allen) Raumfahrern im Mittelpunkt ihrer persönlichen Erfahrung. Es mußte sich die Erde erst zwanzig Mal um die Sonne trollen, damit jetzt die bewußtseinsverändernde Wirkung der Mondfahrt entsprechend gewürdigt werden kann, damit ihr Beitrag für ein erweitertes planetarisches Selbstverständnis erkennbar wird. Was hat ihm auf den Sattel verholfen? Lief nicht das Apolloprogramm parallel zum psychedelischen Massenaufbruch der sechziger Jahre? Bedienen sich Psychedelik und Raumfahrt nicht dauernd der gleichen Metaphern? Heißt es nicht beispielsweise in der Rezension von Heimatplanet: „Viele Weltraumfahrer kehrten ähnlich angetörnt zurück wie diejenigen Pioniere, die einen erfolgreichen LSD-Trip in den inneren Kosmos absolviert haben“? Und war nicht ein taz -Interview mit LSD-Erfinder Albert Hofman mit Der Weltraum der Seele betitelt? Lassen wir unser kulturelles Glaubenssystem einmal außer acht, das sich gegen eine Vermengung von knallharter Machotechnik und blubbernder Drogenfahrt natürlich strengstens verwahrt, und tun wir erst mal so, als ob man sich auf Worte verlassen könnte, egal aus welch bizarren Quellen sie auch fließen.

Terence McKenna, indem er sich mit einer Handvoll Psilocybin-Pilzen auf die neurochemische Saturnrakete setzt, erhält von dem seit Jahrtausenden bewährten Schamanenpilz folgende Auskunft über den Kosmos: „All meine Pilzgeflechte in der Galaxis befinden sich in Kommunikation miteinander, und zwar schneller als die Lichtgeschwindigkeit über Raum und Zeit hinweg, doch wie das vonstatten geht, kann ich euch nicht erklären, da es in euren Modellen darüber falsche Annahmen gibt.“

Hier wirft also ein Pilz mittels wahrer Halluzinationen den Menschen ihre zurückgebliebenen Raum-Zeit-Konzepte vor. Auf der anderen Seite (derselben taz), beim Heimatplaneten, kann der sowjetische Kosmonaut Igor Wolk kaum glauben, was er mit eigenen Augen beim Blick aus der Kapsel sieht: „Nachdem wir die Erde einige Tage lang betrachtet hatten, kam uns der kindische Gedanke, daß man uns Kosmonauten nur etwas vormache.“

Unsere dritte These lautet: Vielleicht hat er recht. Vielleicht macht man sich tatsächlich etwas vor, wenn man die Mondfahrt für einen „Griff nach den Sternen“ hält, im dinglichen Sinne etwa, wie man nach einer Bratwurst greift, um sie sich einzuverleiben, und das in der Gewißheit, daß sie einen füllt, aber nicht verändert. Vielleicht wurde, und schon sind wir bei These vier, das wichtigste Experiment beim Apolloprogramm übersehen: das Experiment des menschlichen Bewußtseins. Und das operiert stets auf mehr als den pragmatischen und funktionalen Kanälen. Apollo-9 -Astronaut Rusty Schweickart: „Du wirst plötzlich von dem machtvollen Gefühl durchdrungen, nur ein Sinnesorgan für die Menschheit zu sein. Du bist da oben im Weltraum wie ein ausgestreckter Fühler - und das flößt einem Demut ein. Das Auge, das nicht sieht, wird dem Körper nicht gerecht deswegen bis du dort oben im All. Und wenn du zurückkehrst, sieht die Welt anders aus. Jetzt besteht ein Unterschied im Verhältnis zwischen dir und jenem Planeten sowie zwischen dir und allen anderen Lebensformen auf diesem Planeten.“

Hätte jemand so über eine psychedelische Exkursion vor der Weltöffentlichkeit gesprochen, man hätte ihm günstigstenfalls auf die Schulter geklopft und gesagt: „Junge, come down to earth!“ Schweickarts Trip hingegen fand zwar außerhalb der Erde, aber innerhalb unserer wissenschaftlich-technischen Konsensrealität statt, sozusagen im wirklichen Leben.

Dennoch gab es ein paar belächelte Hinterwäldler, die 1969 nicht glauben wollten, daß da wirklich Menschen auf dem Mond gelandet waren. Sie haben insofern recht, als sie auf die Bedeutung der Glaubensfrage verweisen und darauf, daß ein Ereignis erst stattfindet, wenn die Bewußtseinsverfassung erlaubt, es für wahr zu halten. Solche erkenntnistheoretischen Dehnungen im Zuge von Mondfahrt und mind-Fahrt sind nicht zu entschlüsseln über eine Kosten -Nutzen-Rechnung a la: 400.000 Beschäftigte haben in acht Jahren 100 Millionen Dollar verfeuert, was soll's? Die Befürworter behaupten, die Sache war nützlich, die Gegner meinen, sie war wahnsinnig, überteuert, unmoralisch - doch argumentieren beide Parteien in einem positivistischen Zweckraster, das unempfänglich ist für die Verschiebungen, die sich bei den Astronauten sowie nach und nach auch beim Publikum trotz und außerhalb dieses Zweckrasters ereignet haben.

„Rückblickend erscheint der Wettlauf zum Mond, der seinerzeit so viel Aufmerksamkeit erregte, erheblich weniger bedeutungsvoll als die Erlebnisse der Mondfahrer. Viele von ihnen haben sich nach der Rückkehr zur Erde nicht nur bemüht, diese Botschaft weiterzutragen, sondern sich auch Tätigkeiten gewidmet, die das menschliche Bewußtsein und das gesellschaftliche Gewahrsein verändern sollen.“ (Aus: Frank White, Der Overview Effect. Wie die Erfahrung des Weltraums das menschliche Wahrnehmen, Denken und Handeln verändert).

„Jetzt weiß ich, warum ich hier bin. Nicht um den Mond aus größerer Nähe zu sehen, sondern um zurückzuschauen auf unser Heim, die Erde“, sagte Astronaut Alfred Wordon. Für den zweiten Mann auf dem Mond, Buzz Aldrin, ehedem das Urbild des männlich-herben Militärhelden, war der clash der Weltbilder zuviel. Nach der Rückkehr vom Mond war er monatelang klinisch depressiv. Sein Kollege James Irwin gründete auf Erden die kosmische Kirche „High Flight Foundation“. Der erste auf dem Mond, Neil Armstrong, bewies allerdings, daß es auch anders ging, und ließ sich im Aufsichtsrat der Werkzeugfirma „Cincinnati Miller“ nieder. Das war wiederum keine Karriere für den schon zitierten Mondastronauten Mitchell, der das „Institute of Noetic Science“ eröffnete, in dem parapsychologische und andere Bewußtseinsphänomene studiert werden. Mitchell war auch Gründungsmitglied der „Association of Space Explorers“ (ASE), in der 76 Raumfahrer und eine Raumfahrerin aus 17 Ländern zusammenkamen, um ihr planetarisches Zartgefühl aus der Privatheit zu befreien, in die es die Vorgaben der Supermachtsbehörden verbannt hatten. Wenn es eine Hoffnung gibt, dann die, daß die Expansionsgelüste des Bewußtseins mehr animieren als die Expansionsgelüste nationaler Agenturen, die ja nur bei reduziertem Bewußtsein fortbestehen können und es uns deswegen als Normzustand verkaufen wollen. Wer daraufhin SDI für den unvermeidlichen Erbprinzen des Weltalls hält, verkennt die Dialektik der Unübersichtlichkeit und unterschätzt die Rolle von Bewußtseinsveränderung in diesem unseren Universum.

Denn, These fünf, die Männerfahrt zu Frau Luna hat einen unverhofften Bastard gezeugt: die Liebe zur Erde. Erwachsen ist der Bastard noch keinswegs, aber es hätte ihm auch wesentlich schlechter ergehen können. Daß das ASE-Buch Der Heimatplanet inzwischen weltweit auf die Millionenauflage zusteuert, unterstreicht den Hunger nach einer humanitären Art von Raumfahrt und Erdbewußtsein. In den Solarplexus schleicht sich das astronautische Gefühl, daß die Erde ein bewußtes Lebewesen ist. Und daß ihr Mandala, der im Raum schwebende Planet, überall dort erscheinen muß, wo dieser Realität zuwidergehandelt wird. So weit, so gut und ehrenhaft, aber was hat das alles mit marginalen Hirnhalluzinationen zu tun? Ganz einfach: Psychedelika mit schamanischer Tradition vermitteln einem wie Mondflüge die Einsicht, Teil eines selbstorganisierenden Planetariums zu sein, in dem Geist und Materie alles, nur nicht getrennt sind. Psychedelika unterstützen und verbreiten die Wahrnehmungen der Raumfahrer, indem sie diese simulieren, wenn nicht übertreffen. Der Aha-Kick mag zwar überraschend kommen, braucht aber nicht überrumpelnd zu sein, denn er läßt sich auch ohne das Abfackeln von Unmengen fossiler Ernergiestoffe trainieren. Terence McKenna: „Das Erstaunliche an den psychedelischen Drogen ist allerdings, daß sie jede Person, wo immer sie sich befindet, zu einer Art Magellan im eigenen Wohnzimmer verwandelt. Jedes Apartment, jeder Grashügel kann zur Startrampe für eine exstatische, visionäre Reise in eine andere Seinsebene werden.“

Auch beim Raumflug wird, wenn auch mit größerem Aufwand, die Seinsebene gewechselt. Bei der Wiedergeburt in die Welt der Schwerelosigkeit, wo es kein Gewicht, kein oben und unten mehr gibt, und zusammen mit der tiefen Stille des Weltraums geraten die Astronauten in Zustände, „wie sie in Isolierzellen und sonstigen Bemühungen zur Bewußtseinswandlung kultiviert werden“, wie Frank White im Overview Effect ausführt, und es ist denkbar, daß im Manuskript ursprünglich etwas von Drogen stand und der Verlag das dann herausgestrichen hat.

Bei etwas weniger zimperlicher Sicht jedoch erweist sich, daß, These sechs, die Einnahme psychedelischer Drogen das ökologischste, kostengünstigste und demokrastischste Raumfahrtprogramm darstellt, das einen mit den organischen Werten der Biosphäre in Einklang bringt (auch wenn sich diese Disziplin, wie die technologische Raumfahrt auch, mit dem Vorwurf des Eskapismus herumzuschlagen hat). Auf eine weitere Diskussionsverwandtschaft macht Astronaut John Glenn aufmerksam: „Ich bin sicher, ich hätte noch viel länger im Zustand der Schwerelosigkeit verharren können. Dieser Zustand ist sogar so angenehm, daß wir scherzhaft meinten, der Mensch könne wahrscheinlich leicht süchtig danach werden. Ich zumindest könnte es.“

Aus dem Gesagten ergibt sich nun offensichtlich nicht, daß acid-heads die besseren Raketen bauen könnten oder daß nur ein bekiffter Astronaut ein guter Astronaut sei, denn der Zusammenhang von Geist und Materie ist fintenreicher als seine Klischees.

Als Mondfahrer Michael Collins gefragt wurde, welches die angemessenste Crew für einen Raumflug wäre, sagte er: „Ein Philosoph, ein Priester und ein Dichter.“ Dann fügte er an: „Leider würden sie sich selbst bei dem Versuch umbringen, das Raumschiff zu steuern.“

Daher These sieben: Astro- und Psychonauten mögen zum beidseitigen und allgemeinen Gewinn ihre Landkarten austauschen, nicht aber ihre Territorien verwechseln.

Da ich dies schreibe, stehe ich übrigens unter Einfluß, denn, so die schlußendliche These acht: Draußen scheint der Vollmond (18.Juli).