VS Berlin: Illegal und scheißegal

Ergebnisse einer internen Untersuchung über den Berliner Verfassungsschutz liegen jetzt der taz vor: Vernichtende Kritik wegen „augenzwinkernder Übereinkunft“ mit dem alten CDU-Senat, Kumpanei mit den Parteien und Inkompetenz / Öffentliche Vorwürfe bestätigt  ■  Von Jürgen Gottschlich

Berlin (taz) - Der Berliner Verfassungsschutz befindet sich in einer selbstverschuldeten Katastrophe. Dies ist das Fazit eines 59 Seiten umfassenden Untersuchungsberichts, den Berlins Innensenator Pätzold Anfang April bei einer dreiköpfigen Kommission unter Leitung eines Staatsanwaltes in Auftrag gegeben hatte. Der Bericht, der der taz vorliegt, soll dazu dienen, dem neuen Berliner Senat eine Grundlage für strukturelle Veränderungen des Landesamtes für Verfassungsschutz an die Hand zu geben.

Kritisiert wird von der Kommission insbesondere die Kumpanei des Dienstes mit den „tragenden politischen Kräften“ in der Stadt, die bis zum Regierungswechsel Ende Januar vorwiegend von der CDU gestellt wurden. So wird heftig kritisiert, daß die Öffentlichkeit in der Vergangenheit systematisch getäuscht wurde, der damalige Innensenator Kewenig beispielsweise bis zuletzt fälschlich behauptete, der VS beschäftige keine Journalisten als V Leute, die taz und Alternative Liste seien kein Beobachtungsobjekt und würden nicht infiltriert. Tatsächlich existieren umfangreiche Datensammlungen unter anderem über die AL und die taz, auf die ein völlig unkontrollierbarer Zugriff besteht, sodaß auch die Weitergabe aus diesen Datenbeständen an Dritte nicht überprüft werden kann.

Seit mit dem Einzug der AL ins Abgeordnetenhaus 1981 der parlamentarische Kontrollausschuß aufgelöst wurde, habe es eine „augenzwinkernde Übereinkunft“ mit dem CDU-Senat gegeben, sich ohne jede Rechtsgrundlage der Opposition anzunehmen. Überhaupt habe sich das Berliner Landesamt als einziges in der Bundesrepublik geweigert, Vorschriften für die Arbeit zu erlassen. Die gesamte Situation habe dazu geführt, daß die Mitarbeiter des Amtes „je nach Temperament rebellierten oder resignierten“ und der Berliner Verfassungsschutz kaum noch arbeitsfähig sei. Die politische Verantwortung für die Arbeit des Amtes ist nach Auffassung der Kommission „nicht ordnungsgemäß wahrgenommen“ worden, z.B. ist der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nicht hinreichend politisch kontrolliert worden.

Als Konsequenz schlägt die Kommission den bereits eingerichteten Parlamentsausschuß „Verfassungsschutz“ vor und die Einstufung des VS als untergeordnete Behörde der Innenverwaltung, mit einer Fachaufsicht, die in der Abteilung angesiedelt werden soll, die für Datenschutz zuständig ist.

In einer ersten Reaktion hat die innenpolitische Sprecherin der AL, Renate Künast, betont, die Ergebnisse der Untersuchung machten deutlich, daß die Arbeit des Verfassungsschutzes durch den Versuch der parlamentarischen Kontrolle erheblich begrenzt werden müsse. Die von der Kommission angeregte Verstärkung der Analysefähigkeit des VS sieht die AL auch nach einer Umstrukturierung besser bei anderen gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen aufgehoben. Im übrigen sei der Bericht eine Bestätigung für die seit langem erhobenen Vorwürfe, daß es in den Dateien des Verfassungsschutzes einen „ungeheuren Wildwuchs“ gebe. Der Verfassungsschutz, so Künast, war im Ergebnis nichts anderes „als eine Interessenwahrnehmung für die herrschenden Parteien.“

Die SPD kritisierte, daß der Bericht vorfristig bekannt wurde, obwohl im Ausschuß für Verfassungsschutz Vertraulichkeit vereinbart worden sei. Schuld daran sei ein CDU-Abgeordneter namens Wienhold. Ausführlicher Bericht Seite 5

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