„Koa Ruhe, bis der Paragraph weg is“

■ Informationsveranstaltung der Westberliner §218-Koordination mit Dr.Horst Theissen und Magdalena Federlin aus Memmingen

Die Berliner Frauensenatorin Anne Klein will im Herbst gemeinsam mit den anderen Senatorinnen eine Bundesratsinitiative zur Streichung des Paragraphen 218 starten. Mit dieser Ankündigung erfreute die Senatorin am Mittwoch abend die TeilnehmerInnen einer Informationsveranstaltung in der Hochschule der Künste. Sie hoffe, so Anne Klein, auch die männlichen Senatsmitglieder für ihren Vorstoß zu gewinnen. Man kann nur hoffen, bald, denn den Politikern müsse endlich „Feuer unterm Hintern“ gemacht werden, forderte der nicht zu der Veranstaltung eingeflogene Arzt Horst Theissen aus Memmingen. „Große Aktionen“ müßten jetzt sein, anders ginge es nicht, darin waren sich alle einig 8 nur wie konkret sie aussehen nkönnten, bleib offen.

„Paragraph 218 - Prozesse - Proteste - Perspektiven“, so der Titel der von der Paragraph-218-Koordination West-Berlin und dem Asta der HdK organisierten Veranstaltung. Im Vorfeld hatte es um die Einladung von Dr.Theissen einige Meinungsverschiedenheiten gegeben. Die Koordination hätte es gern gesehen, wenn der im Memminger Prozeß zu zweieinhalb Jahren verurteilte Theissen eine offizielle Senatseinladung erhalten hätte, was jedoch aus formal-juristischen Gründen so Anne Klein - nicht möglich war. So war zunächst unklar, ob Theissen dessen Ausweispapiere eingezogen waren, die Einladung nach Berlin annehmen könnte. „In letzter Minute“, so Theissen, habe er jedoch seine Papiere zurückerhalten. So konnte der Memminger Arzt am Mittwoch abend nun doch neben Magdalena Federlin, einer der wegen Abtreibung angeklagten Memminger Frauen, und Brigitte Hörster, Rechtsanwältin aus Ausgburg, auf dem Podium Platz nehmen.

Nochmals wurden im fast vollständig besetzen Hörsaal die Ungeheuerlichkeiten des Memmimger Schauprozesses ausgebreitet. Wenn er daran denke, daß bei seinem Urteil erstmalig in der Rechtsgeschichte die ärztliche Indikation durch richterliches Urteil aberkannt worden sei, dann werde er, so der eher ruhig und besonnen wirkende Theissen, „militant und fanatisch“. „Da war es aus mit dem Vertrauen in die Justiz“, erinnert sich auch Magdalena Federlin an die Vernehmungen durch die Kripo und vor Gericht. Zwar wurde sie in erster Instanz freigesprochen, da die Richter in ihrem Fall die soziale Indikation gegeben sahen. Der Staatsanwalt mochte sich jedoch mit dieser richterlichen Entscheidung nicht zufrieden geben und strengte eine Revision an. „Ich bin fast umgefallen“, erinnert sich Federlin, „als ich die Revisionsbegründung gelesen habe.“ Wenn sie 1983 nicht abgetrieben, sondern das Kind bekommen hätte, dann, so mußte sie sich vom Staatsanwalt sagen lassen, hätten sich ihre damaligen Probleme in Luft aufgelöst: „Meine Kredite wären storniert worden, für das Kind hätte es einen Krippenplatz gegeben, und selbst die Landwirtschaft von meinen Eltern wäre besser gelaufen.“

Warum die 140 angeklagten Frauen sich denn nicht stärker soldidarisiert hätten, so eine Frage aus dem Publikum. „Weil sie es einfach nicht konnten“, so die kategorische Erklärung von Dr.Theissen. In Memmingen und Umgebung, wo jeder jeden kenne, „Schwiegermutter, Onkel, Tanten, alle drum herum hocken“, sei es für die Frauen ja nicht einmal möglich gewesen, ohne Aufsehen zu einer Abtreibung nach München ins Krankenhaus zu fahren. Im Kreis Memmingen sei kein Krankenhaus bereit, einen Abbruch durchzuführen. „Die Frauen hier“, so Theissen, „fürchten Gerüchte mehr als Gerichte.“ Für die einzige Ausnahme, Magdalena Federlin, steht nach ihren Erfahrungen mit der bayerischen Justiz jedoch fest: „I geb koa Ruhe, bis der Paragraph weg is!“

-guth

Die Paragraph-218-Koordination trifft sich (fast) jeden Mittwochabend, 19 Uhr, im Rathaus Schöneber, Raum 196 (oder beim Pförtner erfragen). Nähere Informationen unter 453 44 15 (Micha). Bundesweite Aktionen wollen die Künstler Innen Herbert Riemer und Herlinde Stroble, In der Seebricht 19, 5372 Gemünd/Eifel koordinieren.