Gezielte Ungerechtigkeit zugunsten Obdachloser

■ Wohnungsbaugesellschaften sollen gezwungen werden, freie Wohungen an Obdachlose zu vergeben / Das fordert der sozialpolitische Sprecher der AL, Haberkorn / Aus- und Übersiedler, die in Heimen wohnen, in die Statistik einrechnen

Drastische Maßnahmen gegen die steigende Obdachlosigkeit fordert der AL-Abgeordnete Michael Haberkorn. Das Abgeordnetenhaus, so steht es in einem noch unveröffentlichten Papier, solle den Wohnungsnotstand ausrufen und von seinem Recht auf Zwangsbelegung von Sozialwohnungen Gebrauch machen. Alle frei werdenden Wohnungen im öffentlich geförderten Wohnungsbau sollen, so ist seine Vorstellung, dann für Menschen vorbehalten sein, die keine Wohnung haben oder in einer dringenden Notlage sind.

6.200 Wohnungslose weist die offizielle Statistik derzeit aus. Für den sozialpolitischen Sprecher der AL-Fraktion Haberkorn ist das „Augenwischerei“. Er fordert Ehrlichkeit, und das bedeutet für ihn, auch die 16.000 Aus- und Übersiedler, die derzeit in Heimen und Notunterkünften leben, in die Statistik einzubeziehen. Realistisch sei also, von einer Zahl von mehr als 22.000 Wohnungslosen auszugehen. Dieses riesige wohnungspolitische Problem könne nur mit drastischen Maßnahmen angegangen werden, meint Haberkorn. Bisher hätten sich die Wohnungsbaugesellschaften immer geweigert, Wohnungslose aufzunehmen. Wenn sie sich nicht durch Selbstbindung dazu verpflichteten, solle das Abgeordnetenhaus per Beschluß vom §5a des Wohnungsbindungsgesetzes Gebrauch machen und damit die Gesellschaften zwingen, alle frei werdenden Wohnungen an Menschen in diesen Notlagen zu vergeben.

Die Wohnungsgesellschaften können derzeit ihre etwa 4-5.000 pro Jahr freiwerdenden Wohnungen belegen, wie sie wollen. Unter den 72.000 Menschen mit Wohnberechtigungsschein dürfen sie auswählen, wen sie in ihren Häusern am liebsten haben. „Da fallen Asylbewerber, Aussiedler und Wohnungslose immer durch die Maschen“, meint Haberkorn. Das Problem hatte auch schon der alte Senat erkannt und im Winter 1988 mit den Gesellschaften einen sogenannten Kooperationsvertrag abgeschlossen. In dem verpflichten sie sich, 3.500 Wohnungen an Bewerber zu vergeben, die WBS mit Dringlichkeit haben. Das allein sind aber auch schon 24.000. Im Gegenzug hatte der Senat auf sein Besetzungsrecht für die Sozialwohnungen verzichtet. Für Haberkorn ist diese Regelung unbrauchbar, denn auch hier gelte, daß die Wohnungsgesellschaften unter den 24.000 diejenigen nehmen, die ihnen pflegeleicht erscheinen. „Die Auslese findet weiter statt und am Ende bleiben immer die Obdachlosen auf der Strecke.“ Der Kooperationsvertrag war damals unter anderem auch vom Schöneberger Baustadtrat Saager kritisiert und als „Mogelpackung“ bezeichnet worden.

Auch noch unter dem alten Senat wurde zwischen dem damaligen Staatssekretär Müller-Steineck und dem „Arbeitskreis Wohnungsnot“, in dem mehr als 60 Initiativen zusammengeschlossen sind, ein Verfügungsrecht für 240 öffentlich geförderte Wohnungen vereinbart. Allerdings, und das hat bislang den Vollzug blockiert, verlangen die Gesellschaften von den Initiativen mit der Vergabe der Wohnung die Betreuung der Bewohner. „Das ist nicht Aufgabe der Initiativen“, wehrt sich Haberkorn gegen die Stigmatisierung, „außerdem wer sagt denn, daß jemand, der obdachlos ist, auch sozial betreut werden muß!“

Damit Wohnungslose überhaupt eine Chanche haben, ein Dach über dem Kopf zu bekommen, müsse den Wohnbaugesellschaften die Entscheidungsbefugnis über die Vergabe der Wohnungen aus der Hand genommen werden, fordert er. Daß das nicht illusorisch ist, dafür nennt Haberkorn als Beispiel die Stadt Bremen. Dort wurde zwischen Stadt und Wohnbaugesellschaften vereinbart, daß für alle Obdachlosen freiwerdende Wohnungen zur Verfügung gestellt werden. In Bremen gebe es keine Obdachlosenheime mehr. Das Berliner Abgeordnetenhaus hat einen ähnlichen Beschluß schon im Jahr 1968 gefaßt. Damals war beschlossen worden, daß Wohnungen im öffenlich geförderten sozialen Wohnungsbau bevorzugt an Bewerber mit Dringlichkeit gegeben werden sollen. Der Beschluß ist nie konsequent umgesetzt worden. Weder unter den SPD-Regierungen noch unter dem CDU/FDP-Senat.

Mit seiner neuerlichen Inititative will Haberkorn provozieren. Diese Regierung habe die moralische und ethische Aufgabe, zuerst denen zu helfen, „denen es am dreckigsten geht“. Daß dadurch andere das Nachsehen haben werden, ist ihm klar, aber, so sagt er realistisch: „Auf dem Berliner Wohnungsmarkt wird es in den nächsten 10 Jahren keine Gerechtigkeit geben“.

bf