EG warnt vor demo- graphischer Zeitbombe

EG-Beschäftigungsbericht: Frauen waren vermutlich nie so gefragt wie heute...  ■  Aus Brüssel Hortense Hörburger

Der Beschäftigungsbericht der Europäischen Gemeinschaft, der am gestrigen 20.Juli von der EG-Kommissarin für soziale Angelegenheiten Vasso Papandreou vorgestellt wurde, bringt auch das an den Tag: Die Position von Frauen auf dem Arbeitsmarkt bleibt in den Mitgliedsstaaten der EG noch schwächer als die der Männer. Frauen bleiben auf Teilzeitarbeitsplätze und auf wenig interessante und schlechter entlohnte Arbeitsplätze konzentriert.

„Trotzdem waren Frauen auf dem Arbeitsmarkt vermutlich noch nie so sehr gefragt wie heute“, stellt der Bericht „Beschäftigung in Europa“ fest und fordert, daß alle Mitgliedsstaaten eine entsprechende Gesetzgebung im Bereich der Teilzeit- und Zeitarbeit erlassen und für bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten sorgen. Die Kommission fordert darüber hinaus, daß „die neue Position von Frauen als integraler Teil der Erwerbsbevölkerung und nicht nur als gelegentliche Verdienerinnen eines zweiten Einkommens durch einen Wandel in der Einstellung und der Gesetzgebung anerkennt werden“. Frau liest es gern und wartet auf die Umsetzung.

Daß Frauen (angeblich) so umworben werden, liegt teilweise an den Vorhersagen der demographischen Entwicklung der Gemeinschaft. „Die demographische Zeitbombe“ heißt das entsprechende Kapitel, und die Entwicklung scheint wirklich dramatisch zu sein. Nicht nur in der Bundesrepublik ist die Zahl der Geburten bereits drastisch zurückgegangen, sondern auch in Südeuropa.

Wenn in diesem Jahr laut Bericht noch 350.000 Menschen mehr auf den Arbeitsmarkt kommen, als ihn verlassen, wird dieser Nettozuwachs 1993 nur mehr 11.000 sein. Die EG-Kommission rechnet damit, daß dann allein im Jahr 2000 300.000 Menschen mehr ihren Arbeitsplatz verlassen werden, als Neuzugänge zu verzeichnen sein werden. Die nördlichen Länder werden nicht mehr damit rechnen können, so wie früher einmal Scharen von Südeuropäern zur Arbeit in den kalten Norden locken zu können. Die Unternehmen müssen jetzt Phantasie entwickeln, um Frauen mit Kindern und Familienpflichten sowie ältere Arbeitnehmer im Betrieb zu halten. Von der möglichen Integration Langzeitarbeitsloser wird auch gesprochen, deren Chancen hält der Bericht allerdings für äußerst schlecht: „Hilfsmaßnahmen sind nötig, um die Entwicklung einer Zwei -Drittel-Gesellschaft zu vermeiden.“ Leider steht nicht zu lesen, wie diese Maßnahmen aussehen sollen.

Wenn es denn die Stunde der Frauen sein sollte, dann sollten sich die Frauen möglicherweise jetzt schon den Kopf darüber zerbrechen, wie sie sich ihren Lebens- und Arbeitsalltag vorstellen. Zwei Drittel derjenigen von ihnen, die auf Teilzeitarbeitsplätzen arbeiten, geben an, sie täten dies freiwillig. Ein Drittel sagt, sie würden einen Vollzeitarbeitsplatz vorziehen, hätten aber keinen gefunden. Wenn ein kürzerer Arbeitstag als der männlich vorgegebene Acht-Stunden-Tag tatsächlich eher dem Lebensrhythmus von Frauen entsprechen sollte, dann wäre jetzt wohl der Moment gekommen, um handfeste Forderungen auf den Tisch zu legen.

Die wirtschaftliche Leistung in der Gemeinschaft hat sich in den letzten Jahren verbessert. Das reale Wachstum sollte auch für 1989 bei drei Prozent liegen. Dies kommt auch der Beschäftigung zugute, und die Kommission will die Beschäftigungspolitik stärker in die wirtschaftlichen und sozialen Strategien der Gemeinschaft integriert wissen. Alle damit zusammenhängenden Fragen sollen verstärkt in einem sozialen Dialog auf Gemeinschaftsebene geklärt werden.

Wie sich der Binnenmarkt auf die Sektoren der Wirtschaft auswirken wird, weiß der Bericht nicht genau vorherzusagen. Die Autoren machen allerdings einige Sektoren aus, die 1992 gegenüber „empfindlich“ sind, darunter Spitzentechnologie und Industriezweige, in denen Rationalisierungen ins Haus stehen. Auch im Dienstleistungsbereich sind Veränderungen möglich, wobei nicht-tarifäre Handelshemmnisse oder unterschiedliche Sprachen und Kulturen weiterhin bremsend auf die Rationalisierungseffekte des Binnenmarktes wirken könnten.

Dieses Kapitel wurde neben anderen in der allerletzten gedruckten - Ausgabe des Berichtes noch einmal kräftig mit Konjunktiven durchsetzt. Die Mobilität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird für die nächste Zukunft insgesamt für gering gehalten. Sie dürfte sich nach Annahme der Kommission ab 1993 vor allem auf die Höherqualifizierten beschränken. Nicht zuletzt zeichnet sich der Bericht dadurch aus, daß endlich die ökologische Dimension des Binnenmarktes und der Schutz der Umwelt in die politische Debatte der Gemeinschaft miteingeführt worden ist.

Der Bericht soll den Partnern, die am sozialen Dialog auf Gemeinschaftsebene beteiligt sind, als Grundlage für weitere Diskussionen dienen. Vasso Papandreou kündigte an, daß in Zukunft jedes Jahr ein Bericht über besondere Problembereiche der Beschäftigung vorgelegt werden soll.