Revolutionsfeier mit verhaltener Diplomatie

Mehr als 100.000 NicaraguanerInnen feiern zehnten Jahrestag der sandinistischen Revolution / Staatspräsident Ortega spricht mehr von Krise als von revolutionären Errungenschaften / Hohe ausländische Gäste auf dem Podium nicht vertreten  ■  Aus Managua Ralf Leonhard

Es war wie in den guten alten Zeiten: Der Carlos-Fonseca -Platz war mit weit über 100.000 Menschen zum Bersten voll. Ein Meer von rot-schwarzen Fahnen flatterte in der steifen Brise, und der populäre Liedermacher Luis Enrique Mejia Godoy mit seiner Band Mancotal schmetterte gemeinsam mit der stimmgewaltigen Norma Elena Gadea einen Revolutionssong nach dem anderen ins Mikrofon.

Das Nationaldirektorium der FSLN war - seit vielen Jahren zum ersten Mal - komplett zur Feier des Jahrestages erschienen; jeder der neun Comandantes mit einem rot -schwarzen Tuch um den Hals. Plakatwände, die den Platz einrahmten, verwiesen mit Sprüchen wie „Das Land gehört uns“ auf die Leistungen der vergangenen zehn Jahre oder verhießen „eine leuchtende Zukunft mit der FSLN“.

Nur mehr zwei der fünf Juntamitglieder, die am 19.Juli 1979 in Managua die Macht übernahmen, saßen diesmal noch auf der Tribüne: Präsident Daniel Ortega und Vizepräsident Sergio Ramirez. Violeta Chamorro und Alfonso Robelo, die Vertreter der bürgerlichen Opposition gegen Somoza, hatten sich bereits neun Monate nach der Machtübernahme mit den Sandinisten überworfen und waren zurückgetreten. Frau Chamorro wird derzeit als Präsidentschaftskandidatin einer Rechtsallianz gehandelt; Robelo war eine Zeitlang im Direktorium der Contra und lebt heute in Costa Rica. Der fünfte der damaligen Regierungsjunta, Moises Hassan, der die Aufstandsbewegung in der Hauptstadt mitorganisiert hatte, war bis 1988 Bürgermeister von Managua. Doch auch er entfernte sich immer mehr von der sandinistischen Führung im Unterschied zu Alfonso Robelo und Violeta Chamorro kommt seine Kritik an den Sandinisten allerdings von links.

Die Festrede Daniel Ortegas richtete sich weniger an die Weltöffentlichkeit, als an das auf dem Platz versammelte Volk. Er zog nur eine kurze Bilanz der Errungenschaften der Revolution und ging dann auf die Wirtschaftskrise ein. 1977 habe das Pro-Kopf-Einkommen in Nicaragua noch 250 Dollar betragen, 1988 dagegen nur 70 Dollar. „Aber es ist gerechter verteilt. Die Kapitalisten müssen die Exportgewinne teilen“, versuchte Ortega zu überzeugen. Die Wirtschaft sei demokratischer geworden.

Vor dem heimischen Publikum wiederholte er, was er vor wenigen Tagen Oscar Arias in Costa Rica versprochen hatte: die Ankündigung eines „Nationalen Dialoges“ mit der Opposition, die sich an den Wahlen beteiligen will. Ortega: „Dadurch kann der Wahlprozeß bereichert werden.“

Auftakt für die Wahlkampagne

Für den Staatspräsidenten war dieser Auftritt gleichzeitig der Beginn seiner Wahlkampagne, die offiziell erst am 25. August beginnt. Keiner zweifelt heute daran, daß der Staatschef zur Wiederwahl aufgestellt wird. „Die Opposition zu Hause vor den Fernsehern lernt das Gruseln“, vermutete Ortega angesichts der 100.000 NicaraguanerInnen, die zu ihm hoch jubelten und nicht den Eindruck machten, sie seien gegen ihren Willen auf den Platz geschleift worden. Aus Ersparnisgründen hatte man diesmal darauf verzichtet, Fußvolk aus den Provinzen heranzuschaffen. Das Publikum kam einzig aus Managua und seinen Vororten.

Den 62 Regierungsdelegationen und Delegierten von 95 politischen Parteien wurde eindrucksvoll demonstriert, daß die Sandinisten auch in einer schweren wirtschaftlichen Depressionsphase ihre Mobilisierungskraft nicht eingebüßt haben. Gleichzeitig fiel auf, daß erstmals kein einziger Staats- oder Regierungschef zu den Feierlichkeiten erschienen war. Die prominentesten Ehrengäste waren die Vizepräsidenten von Nordkorea, Uganda und der Dominikanischen Republik sowie der ehemalige mexikanische Staatschef Luis Echeverria. Die Bundesrepublik war lediglich durch den Geschäftsträger Herbert Salver vertreten, die SPD immerhin durch den Abgeordneten Freimut Duve, die Grünen durch die Abgeordnete Marie Luise Schmidt, Parteisekretär Eberhard Walde und Gaby Gottwald. Freimut Duve beklagte den „tragischen Niedergang des Weltinteresses an Nicaragua in einem Moment, wo das Land am meisten Hilfe bräuchte“.

Aus politischer Rücksicht verzichtete die FSLN auf die Demonstration militärischer Stärke. Ein paar unscheinbare Panzerfahrzeuge waren diskret hinter der Tribüne verborgen, die Rohre auf den Managuasee gerichtet. Sogar der Empfang für die Ehrengäste stand diesmal im Zeichen der Austerität: Wurde in früheren Jahren mit den Comandantes bis in die Morgenstunden gezecht, dauerte die Begrüßung dieses Mal nur eine Stunde.