Wie wählt man einen Präsidenten?

■ Die Sitzung der polnischen Nationalversammlung war nicht ohne unfreiwillige Komik: ein hilfloser Sejm Marschall und eine Diskussion, die es hätte gar nicht geben dürfen

Warschau (taz) -Da gibt es in Polen also ... eine Nationalversammlung, bestehend aus Sejm Marschall und Senat. Da es aber die erste Volksrepublik ist, hat sie keine Geschäftsordnung. Also nehme man die alte, die Geschäftsordnung der Nationalversammlung der zweiten Republik der Zwischenkriegszeit. Die aber muß die Nationalversammlung erst als ihre eigene verabschieden. Welche aber gilt, bis sie verabschiedet ist? Der Sejm Marschall nahm einfach die des Sejm. Nun ist sie aber in der Ordnung der alten Nationalversammlung weder eine Aussprache über den künftigen Präsidenten noch eine - wie von der Opposition geforderte - Befragung des Kandidaten vorgesehen. Aussprechen wollen sich aber auch die Abgeordneten der Koalition, und zwar ausführlich. Ganze drei Stunden dauert die Diskussion über Modalitäten und Form der Abstimmung. Sejm Marschall Kozakiewicz verwechselt mehrmals Anträge miteinander, verliert zwischendurch zweimal seine eigene Geschäftsordnung und ist schließlich so verunsichert, daß er vor jeder Abstimmung schüchtern in den Saal hinunterfragt: „Können wir das jetzt so machen?“ Wenn alle klatschen oder schweigen, faßt er's als Zustimmung auf. Erhebt sich Gebrumme, erhebt sich garantiert auch Prof. Gerewmek, Vorsitzender des Bürgerklubs oder dessen Stellvertreter, Jan Rokita, einer der wenigen, der sich im Dickicht der Verfahrensfragen zurechtfindet.

Schließlich ist geklärt, daß die Diskussion, die darüber geführt wurde, ob man über die Geschäftsordnung diskutieren darf, nach der Geschäftsordnung hätte nicht stattfinden dürfen. Da diese aber noch nicht verabschiedet ist, ist es nicht ganz so schlimm. Kozakiewicz kann nun dazu übergehen, darüber abstimmen zu lassen, ob der Präsident geheim oder offen gewählt werden soll. In letzter Minute hatten noch zwei oppositionelle Abgeordnete den Antrag auf geheime Abstimmung gestellt. Da Kozakiewicz der Grundsatz „Abstimmung über den weitestgehenden Antrag zuerst“ völlig fremd ist, entsteht eine halbstündige Debatte darüber, wie man sinnvoll über drei sich teilweise widersprechende Anträge abstimmen kann. Schließlich, es ist bereits nach sechs, steht die Geschäftsordnung: Also doch Stimmkarten, die Fraktionen äußern sich zum Kandidaten. Prof. Geremek weist darauf hin, daß der nächste Präsident vom Volk gewählt werden soll. Diese Sitzung der Nationalversammlung ist folglich wohl nicht nur die erste, sondern auch die letzte, drei Stunden währende Diskussion über eine Geschäftsordnung zur einmaligen Verwendung. Es darf gewählt werden...

Klaus Bachmann