STRAHLEND LÄCHELN

■ „No immediate threat“ - Politische Fotoromane von Carole Cond und Karl Beveridge in der NGBK

„As kids we were told we never had it so good. It was a new world and anything was possible.“ Das Foto zu diesem Text zeigt ein in gespenstisch blaues Licht getauchtes Kinderzimmer. Über dem Gitterbettchen schwebt ein leuchtender Globus, der dem Kind die Welt verspricht. Auf seinen Bauklötzchen steht „emc2“, der neu entdeckte Stein der Weisen. Selbst das Tapetenmuster, Modell der kreisenden Teilchen um einen Kern, ist von der Euphorie des anbrechenden Atomzeitalters geprägt, das die Verfügbarkeit über unendliche Kräfte und Erringen eines neuen Wissens verhieß. Einzig im Fenster erscheint ein anderes Gesicht atomarer Energie: eine Bombenexplosion. Der nach außen verbannte Schatten des Krieges ist Teil der Geborgenheit und Sicherheit in Familie und Kinderzimmer.

Two headed kids

Mit dieser Inszenierung beginnt die achtteilige Fotoerzählung „No immediate threat“ von Carole Cond und Karl Beveridge über die Biografie eines Arbeiters aus der Atomindustrie. Die beiden kanadischen Fotografen begannen dieses Projekt, wie auch ihre anderen Serien über Arbeits und Lebensbedingungen in der Industriegesellschaft, mit Interviews unter den Betroffenen. Aus wenigen lapidaren Sätzen setzten sie eine knappe und typische Biografie zusammen, in der immer die Defensive spürbar bleibt, mit der der Arbeiter sein Leben und seinen Beruf, den er wie die Stellung als Familienoberhaupt vom Vater übernommen hat, verteidigt. „See, you pick up radiation, but I've never gone over my dose limit. You don't see any twoheaded kids around here, do you?“ Zwischen Bildern und Texten entsteht eine Spannung, in der die Selbstzensur erahnbar wird, die nichteingestandene Unzufriedenheit, Unsicherheiten, verdrängte Ängste und Schuldgefühle. Dabei ging es Cond / Beveridge nicht um eine Anklage, sondern um das Unkenntlichwerden von politisch folgenreichen Handlungen im alltäglichen Leben und um das Herausarbeiten allgemeiner Strategien, mit den Widersprüchen des eigenen Lebens umzugehen.

Cond / Beveridges gestellte Fotografien erinnern an die Kinoprogrammheftchen der fünfziger Jahre, an mißlungene Werbung, an Fotostrips über Mundgeruch und das schlechte Gewissen der Dame ohne Weichspüler. Offensichtlich sind die Kulissen aus Pappe, die Fußböden gemalt, sorgt farbiges Licht für Stimmung, und die Schauspieler verharren ähnlich ausgestopften Tieren „ganz natürlich“ mitten in der Bewegung.

Richtig leben

Zunächst wirken die Bilder so platt wie die Pappfiguren, die sie als Stellvertreter für Politiker und Wirtschaftsbosse, die Mächtigen im Hintergrund, hineinstellen. Doch die beiden Kanadier arbeiten mit den Mitteln der Werbung und Warenästhetik nicht nur, weil diese andere ästhetische Formulierungen in ihrer allgemeinen Lesbarkeit und Durchschlagskraft längst überholt hat, sondern sie tragen zugleich dem Mißtrauen in die Inszenierungen des Glücks und der Unglaubwürdigkeit der Werbesprache Rechnung. In „No immediate threat“ stellen sie den mißlungenen Akt einer Selbstüberzeugung aus. Die Beruhigungsformel „Keine unmittelbare Bedrohung“ wird zur Grenze des Denkens.

Etwas an den Bildern stimmt nicht und daraus beziehen sie ihre Potenz der Kritik an der Realität und dem schönen Schein. Deutlich sind die Situationen simuliert, haben Schauspieler Rollen angenommen. Der unheimliche Trick an diesem Spiel aber ist, daß es außerhalb dieser Bühne keine andere Wirklichkeit zu geben scheint. Das professionelle Lächeln der Damen am Terminal, von denen nicht nur Leistung sondern auch verbindliche Freundlichkeit verlangt wird, saugt ihre Persönlichkeiten auf. In eine Serie über die Arbeitsplätze von Frauen im Büro haben Cond und Beveridge ganz kleine Fotos von einem privaten Treffen der Frauen einmontiert. Der Teil ihres Lebens, in dem sie keine Schablone ausfüllen, schrumpft auf die Größe eines Fotos im Album zusammen. Die Bildchen werden schließlich zur Erinnerung an etwas, von dem nicht mal mehr sicher ist, ob es noch existiert.

Armer Arbeiter

Die Arbeit verlor schon lange ihre bekannte und deutbare Ikonographie. Es sind immer noch Bilder aus dem neunzehnten und vom Anfang dieses Jahrhunderts, vom ausgezehrten Weber und rußgeschwärzten Kumpel, die das Image vom ausgebeuteten Arbeiter prägen. Doch schlechte Arbeitsbedingungen heute, Konkurrenzkampf und Anpassungsdruck lassen sich nicht mehr in Bildern dramatischen Leidens fassen; was immer noch „Arbeitskampf“ heißt, findet nicht mehr in heroischen Auseinandersetzungen statt, sondern in gewerkschaftlichen Sitzungen. Der Verlust an Sinnlichkeit im Bild der Arbeit entspricht dem Verlust an Realität in der Arbeit selbst, der immer längeren Leitung zwischen Handgriff und Produkt. In ihren Collagen und Serien versuchen Cond und Beveridge, diese glatten Oberflächen zu durchbrechen, das Design des anscheinend mühelos gewordenen Lebens anzukratzen.

In der Folge über die Lagerarbeiterin „Linda“, die während der 15minütigen Arbeitspause auf der Toilette rauchend nachdenkt, wird der Spiegel hinter ihr zur Projektionsfläche ihrer Gedanken und Erinnerungen über den Streit mit ihrem Mann, den Streik der Arbeiterinnen, den Solidaritätstag der Frauen. Fünfzehn Minuten Pause: in dieser tritt für Linda, die müde am Beckenrand lehnt, in den Vordergrund, was sie eigentlich für wichtig hält, was ihr Leben ausmacht. Über die Zersplitterung in Augenblicke hinaus versucht sie, in Erinnerung und Hoffung ihr Leben als Ganzes in den Blick zu nehmen.

Carole Cond und Karl Beveridge arbeiten an ihren Serien oft mit den Gewerkschaften in Kanada zusammen. Die Arbeitsplätze von Frauen, ihr Beitrag zur Gewerkschaftsarbeit und zur Wiederbelebung der Arbeiterbewegung bilden dabei einen Schwerpunkt. Sie versuchen vom uniform gewordenen Bild der Arbeit den Grauschleier der Apathie und Langeweile zu zerren und es in Schichten zu zerlegen, um in ihm wieder Klasseninteressen sichtbar zu machen. Vergleicht man ihre politischen Fotoromane mit Collagen von Heartfield oder Staeck, dann fehlt ihnen der Biß, der gezielte Angriff auf einen Gegner. Doch ihre Romane reagieren auf eine veränderte gesellschaftliche Wirklichkeit: Klare Feindschaften versickern; Identifikationen über die Freizeitbeschäftigungen dienen als Strategien, um das Bewußtwerden des eigenen Klassenstandpunktes zu vermeiden. Cond und Beveridge suchen einen Weg aus der Diffusität eingedämmten Bewußtseins, ohne von außen Ziele vorzugeben.

Katrin Bettina Müller

„No immediate threat“ von Cond/Beveridge in der NGBK, Tempelhofer Ufer22, bis 1.September.