Vater und Sohn...

... sind Premier und Bürgermeister  ■  Aus Dublin Ralf Sotscheck

Die große, schwarze Limousine hält vor dem Amtssitz des irischen Regierungschefs in Dublin. Ein uniformierter Chauffeur springt aus dem Auto und reißt die hintere Tür auf. Aus dem Fond des Wagens steigt betont langsam ein junger Mann im dunklen Anzug. Um den Hals hat er sich eine lange bunte Schärpe gehängt - das Wahrzeichen des Dubliner Oberbürgermeisters. Mit 27 Jahren ist Sean Haughey Irlands jüngster Oberbürgermeister aller Zeiten. Heute will der junge Mann dem Regierungschef, der nach langwierigen Koalitionsverhandlungen soeben vom Parlament wiedergewählt worden ist, einen Höflichkeitsbesuch abstatten.

Die kurze Visite läuft im Stil einer Familienfeier ab. Denn der irische Regierungschef heißt Charles Haughey und ist Seans Vater. Haughey Senior redet seinen Sprößling ständig mit „Herr Oberbürgermeister“ an, weil er „die Würde des Amts“, so der Premier in Gestalt des Vaters, „voll und ganz respektiert“. Und zu Hause? „Da muß ich jovial sein“, sagt der Vater und haut dem Bürgermeister auf die Schulter.

Böse Zungen behaupten, daß der Junior nur wegen seines berühmten und für seinen Machthunger ebenso berüchtigten Vaters vom Stadtrat zum Bürgermeister gewählt worden ist und sie haben recht. Charles Haughey, einer der reichsten Männer Irlands, hat bisher noch jeden Skandal überlebt. Lediglich 1970, als er wegen Waffenschmuggels für die IRA angeklagt wurde, mußte er vorübergehend seinen Sessel als Justizminister räumen. Später wurde er von den Vorwürfen freigesprochen.

Sohn Sean Haughey residiert im Mansion House. Dieses Gebäude war im Jahr 1919 der Sitz des ersten irischen Parlaments, das jedoch von Großbritannien nicht anerkannt wurde. Heute ist es der Amtssitz des Bürgermeisters. Während des Besuchs beim väterlichen Staatsmann bringt der Junior gerade zwei Sätze heraus. Er bedauert, daß er seinen Vater „wegen der Politik“ schon eine ganze Woche nicht gesehen habe und versichert, daß die Mutter ihn trotz des würdevollen Amts immer noch duze. Ansonsten macht er den Eindruck, als ob er jetzt lieber mit seiner elektrischen Eisenbahn spielen würde, anstatt im Rampenlicht zu stehen. Der Posten des Bürgermeisters, der jedes Jahr neu besetzt wird, war für Sean Haughey ohnehin nur eine Notlösung. Zwar steht er im irischen Protokoll an zweiter Stelle - hinter dem Präsidenten, aber vor seinem Vater, dem Premier -, doch beinhaltet das Amt hauptsächlich harmlose Repräsentationspflichten. Viel lieber wäre Sean Parlamentsabgeordneter geworden, aber da haben die WählerInnen nicht mitgespielt, obwohl Haughey über eine halbe Million Mark in seine Wahlkampagne gesteckt hat.

Das ist weitaus mehr, als einige andere Parteien für den gesamten Wahlkampf zur Verfügung hatten. Das meiste Geld ging für die öffentlichen „Kaffekränzchen“ in seinem Wahlkreis drauf, die allesamt in Kneipen stattfanden und unweigerlich in Besäufnisse ausarteten. Die Gelage zahlten sich an der Wahlurne jedoch nicht aus. „Ich bin zu zwei seiner Kaffekränzchen gegangen, und es gab reichlich zu trinken. Aber das heißt ja nicht, daß ich ihm auch meine Stimme geben muß“, sagt eine ältere Wählerin listig. Am Ende hatte Sean, der 1985 sein Studium in Wirtschaft und Politik abschloß, den Parlamentssitz um 1.500 Stimmen verfehlt.

In seinem Wahlkreis ist Haughey bei den Parteikollegen nicht besonders beliebt, weil er ihnen von der Parteispitze vor die Nase gesetzt wurde, ohne sich langsam hochgearbeitet zu haben. Viele Mitglieder von Haugheys Fianna-Fail-Partei sind davon überzeugt, daß er wegen seines Nachnamens zum Bürgermeister gewählt wurde. Einer, der auf alle Fälle anonym bleiben will, sagt: „Die Fianna-Fail-Stadträte schützen ihn bei unangenehmen Debatten. Das geschieht jedoch nicht aus Respekt für ihn, sondern aus Angst vor seinem alten Herrn.“

Politischer Einfluß scheint in Irland vererbbar zu sein. Sean Haugheys Großvater, Sean Lemass, war während des irischen Unabhängigkeitskriegs 1919-1921 Kommandant eines IRA-Bataillons und stieg in den sechziger Jahren zum Regierungschef auf. Auch Haugheys Tante, Eileen Lemass, wurde im Juni ins Europäische Parlament gewählt. Der Haughey -Clan hält die politischen Fäden in Irland geschickt in der Hand. Ein Dubliner Journalist ließ sich deshalb jüngst zu der Bemerkung hinreißen, es gehe in Irland zu wie in einer Bananenrepublik: „Nur das Klima ist nicht so beständig. Wir sind wohl doch eher eine Kartoffelrepublik“, sagte er in Anspielung auf die Nationalknolle, ohne die kein irisches Diner komplett ist.