Programmatische Flaute der Demokraten

Zusehends verlieren die Demokraten in den USA an Profil / Politische Debatten verkommen zu Personalfragen / Reagans Budget-Defizit hat Sozialprogramm unmöglich gemacht / Progressiver Flügel vermißt Wirtschaftsprogramm / „USA sind nur noch eine Schuldnerantion“ / Ökologie soll in den Vordergrund treten  ■  Aus Washington Stefan Schaaf

Von „Charaktermord“ sprach der demokratische Kongreßabgeordnete Tony Coelho, an die Denunziationen des berüchtigten Kommunistenhassers Joe McCarthy fühlte sich sein Parteikollege Thomas Downey erinnert. Die Rede ist vom Sturz des Sprechers des Repräsentantenhauses, Jim Wright, den seine republikanischen Gegner mit Hilfe der Ethik-Regeln des Kongresses zum Rücktritt gezwungen hatten. Wright selbst sprach von „sinnlosem Kannibalismus“ im Kongreß - doch das Problem waren weniger die vermeintlichen Menschenfresser als die Unfähigkeit seiner Partei, auf die Attacke der Republikaner zu reagieren und es ihnen womöglich mit gleicher Münze heimzuzahlen.

Das Schicksal ist den Demokraten nicht wohlgesonnen, seit ihr Kandidat Mike Dukakis im November die Präsidentschaftswahl verloren hatte; dabei ist die Affäre um den Rücktritt Wrights nur das jüngste Beispiel. Sieben Monate nach dieser Niederlage leckt die Partei weiter ihre Wunden und sucht ihr Profil. Fast schon mit Wehmut wird den ideologischen Kanten nachgetrauert, die Ronald Reagan seinen Gegnern bot - George Bush sei wesentlich schwieriger zu packen, da er oft unerwartete Vorschläge unterbreite, die sich nur schwer von denen der Demokraten unterscheiden lassen.

Die im Kongreß erwarteten Kämpfe um das Budget oder zur Zentralamerika-Politik blieben aus, da die Parteiführung sich frühzeitig mit dem Weißen Haus auf Kompromißformeln geeinigt hatte. Doch während die Fraktion im Kongreß auf Ausgleich hofft, streitet man sich an der Parteibasis immer heftiger über die Gründe für die Wahlniederlage im November und über den Kurs, mit dem die Partei in die neunziger Jahre schreiten will.

Wenn es Kämpfe gab, so drehten sie sich besonders im Kongreß um Personen und nicht um Programme: Zuerst schlitterte die Partei in den Konflikt um die Nominierung John Towers, an dessen Ende ein scharf entlang der Parteilinien zerstrittenes Parlament stand, dann waren die Abgeordneten wochenlang durch den zähen Kampf um das politische Schicksal Jim Wrights gelähmt.

„So schädlich wie das sowjetische Politbüro“

Am Ende stand ein Kongreß, dessen Ansehen bei der Bevölkerung einen neuen Tiefpunkt erreicht hatte. Die Republikaner nahmen den Scherbenhaufen zum Anlaß, 35 Jahre demokratische Kontrolle über das Repräsentantenhaus als die Ursache allen Übels darzustellen und zum Sturm auf die beständigste Bastion der Demokraten im Lande zu blasen. Die Alleinherrschaft der Demokraten im Kongreß sei genauso schädlich wie das Machtmonopol der PRI in Mexiko oder das des sowjetischen Politbüros, so etwa Ed Rollins, einer der aggressivsten republikanischen Kampagnenspezialisten.

Was die Führung der Republikaner obendrein auf bessere Zeiten im Kongreß hoffen läßt, ist die Neufestlegung der Wahlkreise nach der Volkszählung im kommenden Jahr, die den Republikanern zusätzliche Abgeordnetenmandate bringen könnte. Doch eine düstere Zukunft droht den Demokraten nicht nur durch die Umstrukturierung und den politischen Gegner, sondern auch von innen. Die mühsam durch den Wahlkampf gerettete Einheit von so verschiedenen politischen Weltsichten wie die des rebellischen progressiven Außenseiters Jesse Jackson und konservativer Parteigrößen wie der Südstaaten-Senatoren Lloyd Bentsen oder Sam Nunn ist seit der blamablen Wahlniederlage noch gefährdeter als zuvor. Jackson unterbreitete der Partei eine offene Kampfansage, als er im Frühjahr bei der Bürgermeisterwahl in seiner Heimatstadt Chicago einen schwarzen Unabhängigen gegen den weißen Demokraten Richard Daley unterstützte. Daley, der Sohn des legendären gleichnamigen Stadtbosses der fünfziger und sechziger Jahre, gewann dessen ungeachtet die Wahl. Jackson hingegen begann seinen Umzug in die Bundeshauptstadt Washington zu planen, wo er möglicherweise im nächsten Jahr selbst fürs Rathaus kandidieren wird.

Eine dritte Partei gründen?

Jacksons Unterstützer in der Partei streiten unterdessen über die Frage, ob man den Demokraten nicht den Rücken kehren und eine eigene dritte, progressiv-populistische Partei bilden sollte. Jim Hightower, einer der führenden Demokraten in Texas, lehnt dies zwar ab, doch auch er beklagt die programmatische Leere demokratischer Kampagnen. Die Partei müsse „endlich wieder die Leute erreichen, die nur manchmal wählen, nur angeekelt wählen oder es überhaupt nicht tun - also die Mehrheit aller Texaner, wahrscheinlich etwa zwei Drittel von ihnen“, sagt er.

Bernie Sanders, der sich bis zu diesem Frühjahr als Bürgermeister von Burlington, der Hauptstadt des Staates Vermont, stolz als den einzigen gewählten Sozialisten der USA bezeichnete, hat die Nase von beiden Parteien voll: „Die zwei großen Parteien haben keine ernsthaften Lösungen für die enormen Probleme, denen unsere Gesellschaft gegenübersteht, sondern sie diskutieren in den meisten Fällen nicht einmal über sie.

„Angesichts des Niveaus der politischen Debatte muß die Frage nicht heißen, warum die Hälfte der Bevölkerung nicht wählt, sondern warum es die andere Hälfte weiterhin tut.“ Sanders kann auf gewisse Erfolge verweisen. Acht Jahre lang saß er als Unabhängiger in Burlingtons Rathaus, sechs der 13 Stadtverordneten gehören seiner „Progressiven Partei“ an. Im letzten November unterlag er nur knapp einem Republikaner im Rennen um Vermonts einzigen Sitz im Repräsentantenhaus, während ein Demokrat weit abgeschlagen auf dem dritten Platz landete. Der progressive Flügel der Demokraten kritisiert vor allem, daß die letzten drei demokratischen Präsidentschaftskandidaten - Carter 1980, Mondale 1984 und Dukakis 1988 - kein wirtschaftspolitisches Programm vorzuweisen hatten, das die traditionellen Wählerschichten hätte mobilisieren können.

Sozialprogramme schlicht nicht finanzierbar

Die Demokraten hätten in den letzten zwanzig Jahren, als die traditionellen Industrien untergingen und die Gewerkschaften ausbluteten, ihre eigene Basis verschenkt, kritisiert das Vorstandsmitglied der „Democratic Socialists of America“ Harold Meyerson: „Die Demokraten standen der Demontage ihrer politischen Basis völlig indifferent gegenüber. Früher gab es Parteistrukturen und die Gewerkschaften, heute gibt es für die Lohnabhängigen fast keine Mittel politischen Ausdrucks mehr.“

Noch weitere Entwicklungen laufen den Zukunftsperspektiven der Demokraten entgegen: Das unter Reagan rapide angewachsene Budgetdefizit hat die Möglichkeit großangelegter Sozialprogramme, wie sie die Demokraten seit den dreißiger Jahren durchgesetzt hatten, auf lange Sicht zunichte gemacht. Sie werden auf absehbare Zeit schlicht nicht finanzierbar sein.

„Was der Partei bleibt, ist eine politisch höchst angreifbare Form des Liberalismus“, schreibt Meyerson: „Liberalismus heute heißt nur noch, den Einzelnen gegen die Masse zu verteidigen, jedoch nicht, die Masse gegen die Mächtigen.“ Eine Gruppe Intellektueller am linken Rand der Partei, darunter Richard Barnet, Randall Forsberg und Carl Sagan, haben in einem Memorandum an die politischen Entscheidungsträger in der Administration und im Kongreß ein politisches Konzept vorgelegt, das einen Ausweg aus der programmatischen Flaute der Demokraten weisen soll. Die Gesellschaft der USA sei durch falsche Prioritäten gefährdet, heißt es darin. Sie leide nicht nur an den Folgen des Haushaltsdefizits, sondern an denen eines allgemeinen Investitionsdefizits, das die USA in absehbarer Zeit zu einer zweitrangigen, weniger stabilen Nation machen werde.

Die politische Debatte, wenn sie denn geführt werde, basiere auf überholten Voraussetzungen. „Die Nachkriegsära ist vorüber, die Vereinigten Staaten sind nun eine Schuldnernation in einer internationalen Wettbewerbsökonomie, in der wir uns einer Palette wirtschaftlicher und ökologischer Bedrohungen gegenübersehen“, formulieren die Parteilinken. Deswegen müsse der Militärapparat auf eine kleine, aber effektive Abschreckungsstreitmacht schrumpfen, die US-Verbündeten sollten für ihre eigene Verteidigung aufkommen. Mit den so freigesetzten Geldern sollten die Probleme in den USA angepackt werden.

Damit könnten die Folgen des beispiellosen Aderlasses, den der öffentliche Sektor in den USA in den letzten zehn Jahren erlitten hat, gelindert werden. Ein Verlust der Wettbewerbsfähigkeit in vielen Industriezweigen, heißt es an anderer Stelle, ein immer geringerer Kenntnisstand der Beschäftigten und ein Schwinden ziviler Forschung sei die Folge.

„Die USA sind nur

eine Schuldnernation“

Siebzig Prozent aller staatlich finanzierten Forschung wird heute für militärische Technologien betrieben. „Wir müssen uns an eine Welt anpassen, in der die traditionellen Begriffe von Macht und nationalen Interessen durch das Ende des kalten Krieges und größere gegenseitige Abhängigkeiten bei Handel, Finanzen und in Umweltfragen transformiert werden.“ Noch einen Schritt weiter geht Jessica Tuchman -Matthews, die unter Präsident Carter das „Büro für globale Angelegenheiten“ im Nationalen Sicherheitsrat leitete. „Nationale Sicherheit“ war in den fünfziger und sechziger Jahren ein rein militärischer Begriff, ihre Bewahrung erforderte in der Truman- und Eisenhower-Ära vor allem effektive Geheimdienste und kampfbereite Streitkräfte.

„In den siebziger Jahren wurde dieses Konzept um den wirtschaftlichen Aspekt erweitert, als deutlich wurde, daß die Vereinigten Staaten von der Wirtschaftspolitik Dutzender anderer Staaten beeinflußt wurden“, schreibt sie und schlägt eine weitere Ausweitung des Begriffes vor. „Globale Entwicklungen erfordern auch, Rohstofffragen und ökologische sowie demographische Aspekte in die Debatte über nationale Sicherheit einzubeziehen.“ Dies erfordere völlig neue Bemessungsgrundlagen für die politische Planung.

Das Bruttosozialprodukt als Erfolgsbarometer gehöre deshalb auf den Abfallhaufen der Geschichte. Eine derlei globale Weltsicht ist den Vereinigten Staaten mit ihrer gewaltigen Ausdehnung und ihrer von zwei Ozeanen begünstigten isolierten Lage zwei Jahrhunderte lang fremd gewesen.

Doch die Entwicklungen des vergangenen Jahres haben Umweltfragen im Bewußtsein der US-Bevölkerung neues Gewicht gegeben. Die schwere Dürre im Mittleren Westen hat den Treibhauseffekt und das Ozonloch zu Fragen werden lassen, die breit diskutiert werden. Chemische Belastungen von Nahrungsmitteln und die Verseuchung von Stränden haben Ökologie zum Thema für viele unpolitische Mittelstandsfamilien gemacht. Statt einen „Mann des Jahres“ zu küren, erklärte das meistgelesene US-Nachrichtenmagazin 'Time‘ im Januar die Erde zum „Planet des Jahres“.

„Die ökologische Kristallnacht“

„Die Umwelt zu schützen, was immer es kostet“, war 1981 nur knapp der Hälfte der US-Bürger wichtig, doch inzwischen ist diese Zahl auf 80 Prozent angestiegen - nicht zuletzt wegen der von einem Exxon-Tanker verursachten Ölpest in Alaska. Die Demokratische Partei unternimmt bisher nur vereinzelt Versuche, diese Gezeitenwende in der politischen Debatte der USA als Chance zu betrachten und mit weitgehenden Vorschlägen aufzuwarten. Die demokratischen Gegenvorschläge für Bushs Gesetzespaket zur Luftreinhaltung werden zeigen, wieweit ihre Bereitschaft geht, sich als Sachwalter der globalen Umwelt zu betätigen.

Am weitesten vorgewagt in dieser Debatte hat sich bisher Tennessees Senator Albert Gore, der sich im vergangenen Jahr um die Präsidentschaft bewarb. In einem Die ökologische Kristallnacht betitelten Beitrag in der 'New York Times‘ verglich er die Passivität angesichts der ökologischen Krise des Planeten mit dem Unwillen vieler, Hitlers Aufstieg in den dreißiger Jahren als Gefahr für die Menschheit zu erkennen.

Gore schlug kürzlich vor, sich ein Beispiel an den koordinierten interdisziplinären Anstrengungen zur Entwicklung der „Strategischen Verteidigungsinitiative“ (SDI) zu nehmen und eine „Strategische Umweltinitiative“ (SEI) ins Leben zu rufen, die so verschiedene Probleme wie die Nahrungsmittelproduktion in der Dritten Welt und die Automobil- und Bezinabhängigkeit der amerikanischen Konsumgesellschaft angehen könne.