Die Front der Anti-Kurden

Der Mord an dem Kurdenführer Ghassemlou zeigt, wie schwierig eine friedliche Lösung des Kurdenproblems ist / Ständiges Aufreiben zwischen den Fronten  ■  Von Ben Stark

Ein Kurdenführer wechselt die Fronten und wird bei Geheimverhandlungen ermordet. Zwar schwingt bei solch einer Darstellung ein Hauch von Tragik mit, impliziert jedoch ein großes Maß an eigener Schuld, da Frontwechsel meist unklug sind oder ihnen gar der Geruch des Verrats anhaftet. Die Rede ist von dem vor einer Woche in Wien erschossenen Abdul Rahman Ghassemlou. „Seriöse“ Zeitungen beschrieben ihn als einen seriösen Politiker, um ihn dann im gleichen Atemzug einen Verbündeten des Irak oder einen proirakischen Kurdenführer zu nennen. Unwissen steht Pate bei dieser Plakatierung, die sich bei genauem Hinsehen als ätzende, wenn auch verdeckte Kritik entpuppt. Denn ein Bündnis mit der Regierung Bagdad impliziert Kollaboration mit einem Regime, das Kurden im eigenen Land mit Gas mordet, in Gefängnissen foltert und umbringt oder aus jahrhundertalten Siedlungsgebieten vertreibt.

Diese Darstellung von Kurdenführern als Marionetten übler Regime entspringt nicht bösem Willen, sondern der Unfähigkeit, die innere Dynamik kurdischer Aufstandsbewegungen zu erfassen und den Kurden Lernfähigkeit zuzubilligen. Tatsächlich haftet der Kurdenbewegung etwas Tragisches an. Stark und erfolgreich sind Kurdenorganisationen im Irak, Iran oder auch in derTürkei nur, wenn die Zentralregierungen der Länder, in denen sie leben, Schwäche zeigen. Revolutionen und Kriege bilden damit den Hintergrund von Kurdenbewegungen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten die Kurden im Iran sogar in einer eigenen Republik, die jedoch nur Monate später von Teheraner Truppen zusammengeschossen wurde, als das Schahregime zu neuen Kräften gekommen war. Blieb es nach der Beseitigung der Republik Mahabad dreißig Jahre nahezu ruhig um die Kurden im Iran, so bot die Welle der Aufstände und Putsche im Irak ab 1958 der dortigen Kurdenopposition die Chance, den Regierungseinfluß im Norden des Landes zurückzudrängen. Kurdenführer Mustafa Barzani beging jedoch einen verhängnisvollen Fehler, seine Erfolge durch ein Bündnis mit dem Iran sichern zu wollen. Der Vertrag zwischen dem Schah von Persien und Saddam Hussein, dem heutigen Präsidenten Iraks, führte 1975 innerhalb von Stunden zum Ende des Kurdenaufstandes, da Barzani in Teherans Abhängigkeit geraten war. Wurde es diesmal um die Kurden im Irak ruhiger, so nutzten die fünf Millionen Kurden im Iran im Frühjahr 1979 den Sturz des Schahs, um von ihnen die eigenen Siedlungsgebiete selbst zu verwalten. Da sie sich dem Willen Chomeinis nicht beugen wollten, rief dieser zum Heiligen Krieg, in dem es dessen Soldaten erst in jahrelangen Kämpfen gelang, die Kurdenopposition bis an die Grenze zum Irak zurückzudrängen.

Erfolg blieb versagt

Der große Triumpf gegen die Kurden blieb dem Teheraner Diktator jedoch versagt, weil seine Armee auch auf den Schlachtfeldern des iranisch-irakischen Krieges gebunden war. Dieser Golfkrieg bot den Kurden im Irak eine neue Möglichkeit, sich wieder befreite Gebiete zu schaffen. Aber der iranischen und irakischen Kurdenopposition blieben die großen Erfolge versagt. Sie wurden schließlich zwischen den Fronten des Golfkrieges eingeklemmt und mußten ihre Angriffe aus den Rückzugsgebieten zwischen den Stellungen der feindlichen Armeen starten. Dabei wurden die beiden im Irak tätigen Organisationen Patriotische Union Kurdistans (PUK) sowie die Demokratische Partei Kurdistans vom Iran und die im iranischen Teil Kurdistans aktiven Gruppen Demokratische Partei Kurdistans sowie die Komuleh vom Irak unterstützt. Versuche der kriegführenden Regierungen, die Kurdenrebellen in einen Stellvertreterkrieg zu verwickeln, scheiterten.

Im Gegenteil, die Kurden beider Länder halfen sich immer wieder mit Waffen und Munition und boten sich bei Verfolgungen gegenseitig Unterschlupf. Sie beschränkten die Auseinandersetzungen mit den Zentralregierungen jedoch nicht auf den bewaffneten Kampf. Parallel suchten sie immer wieder Kontakte, um das angestrebte Recht auf Autonomie oder Selbstbestimmung auf dem Verhandlungswege zu erreichen. Unterhändler der iranischen Demokratischen Partei Kurdistans trafen sich mit Vertretern der Regierung aus Teheran, und die irakische Patriotische Union Kurdistans verhandelte mit dem irakischen Staatspräsidenten. Dabei entwicklete sich eine neue Tradition. Die iranischen Kurden bereiteten in Bagdad die Verhandlungen zwischen der Regierung und den irakischen Oppositionellen vor, und die irakischen Kurden vermittelten zwischen Teheran und der iranischen Kurdenopposition. Meist wurde von solchen Geheimverhandlungen nicht einmal etwas bekannt.

Türkei verhinderte Frieden

mit Kurden

Ausnahme bildet das historische Treffen von Djalal Talebani, dem Vorsitzenden der Patriotischen Union Kurdistans Irak mit dem irakischen Präsidenten Saddam Hussein im Jahre 1984. Ghassemlou hatte den Kontakt hergestellt und auch einen unterschriftsreifen Vertrag zwischen Regierung und Opposition mit ausgearbeitet. Damals entwickelte die irakische Regierung wegen iranischer Erfolge im Golfkrieg Interesse an einer politischen Lösung des Kurdenproblems. Mit Konzessionen gegenüber den eigenen Kurden sollte an der nördlichen Front des Golfkrieges Entlastung geschaffen werden. Die iranischen Kurdenopposition hatte ein großes Interesse an einem Burgfrieden zwischen ihren Landsleuten im Irak und der Regierung in Bagdad. Frieden in Irakisch -Kurdistan hätte ihr Rückzugsgebiet vergrößert. Bezeichnenderweise kam es nicht zum Abschluß des Vertrages. Der türkische Innenminister kam persönlich nach Bagdad, um Irak von der Unterzeichnung des bereits formulierten Abkommens abzubringen. Mit dem irakischen Regime kollaborierende Kurden sperrten sich ebenfalls, da sie um die Gelder fürchteten, mit denen Bagdad ihre Loyalität zu erkaufen pflegt.

Und schließlich waren auch Hardliner in der Baathpartei, die im Iran an der Macht ist, gegen einen Kompromiß mit der Kurdenopposition. So eskalierte der Kurdenkrieg in den Bergen Iraks wieder seit 1985. Am 17.März vergangenen Jahres warfen irakische Flugzeuge Gasbomben auf die Stadt Halabja. Fünf Monate später - nur Tage nach Beginn des Waffenstillstandes im Golfkrieg - begannen irakische Soldaten mit einer Großoffensive gegen die von der Opposition kontrollierten Kurdengebiete. Vor Gas- und Bombenangriffen mußten Hunderttausende in die Türkei und den Iran flüchten. Und schließlich entvölkerte die irakische Regierung seit drei Monaten systematisch einen von Kurden bewohnten 30 Kilometer breiten Streifen an der türkischen und der iranischen Grenze. Mit diesem Feldzug gegen die Opposition will Irak seine Position für die Waffenstillstandsverhandlungen im Golfkrieg verbessern. Da für die irakische Kurdenopposition ein Kompromiß mit der Regierung im Irak in weite Ferne gerückt ist, versuchte sie ihren Einfluß in Teheran zu nutzen, zwischen der dortigen Regierung und der iranischen Demokratischen Partei Kurdistans zu vermitteln.

Talebani brachte sein Gewicht als PUK-Vorsitzender ein und konnte den iranischen Parlamentspräsidenten Rafsandschani bewegen, einen Unterhändler für die Verhandlungen mit der iranischen Kurdenopposition nach Wien zu entsenden, ohne jedoch die Sicherheit seines alten Freundes Ghassemlou garantieren zu können. Seine Betroffenheit und Erbitterung über dessen Ermordung war so auch ein Stück schlechten Gewissens. Der Tod Ghassemlous selbst zeigt, daß die antikurdischen Kräfte in der Region weiterhin dominieren und politische Lösungen verhindern können. Dabei ist letztlich von sekundärer Bedeutung, wer den Mordbefehl gab. Hardliner in Teheran wollen ebensowenig wie der Irak oder die dort im Exil lebenden iranischen Volksmudschaheddin eine politische Lösung der Kurdenfrage. Ghassemlou wußte, wie schwierig die Verhandlungen sein würden, aber gerade weil er kein proirakischer Kurdenführer und kein Verbündeter Bagdads war, suchte er die Gespräche, da er in ihnen eine Chance für die iranischen Kurden sah.