Krupps Edelstahlstaub und seine Folgen

33.000 Tonnen Stahlstäube aus Krupps Edelstahlproduktion lagern auf den Hausmüllkippen Bochums / Die lange Zeit behauptete Gefahrlosigkeit entpuppt sich als Fiktion / Bochumer Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen aufgenommen - noch ist unklar, gegen wen  ■  Von Bettina Markmeyer

Bochum (taz) - So ganz und gar ungefährlich, wie die Stadt Bochum noch im Juni dieses Jahres behauptet hatte, scheinen die Rückstände aus der Edelstahlproduktion der Bochumer Krupp Stahl AG, die auf städtischen Hausmülldeponien lagern, nun doch nicht zu sein. Ein Sprecher der Bochumer Staatsanwaltschaft bestätigte der taz, daß die Behörde wegen mutmaßlicher Verstöße gegen das Abfallbeseitigungsgesetz ermittelt. Erst im Verlauf der Ermittlungen werde sich aber herausstellen, gegen wen sie sich richteten. In Frage kommen die Stadt Bochum, der Regierungspräsident (RP) in Arnsberg und Krupp selbst.

Seit Anfang der 70er Jahre durfte Krupp mit städtischer Erlaubnis die giftigen und schwermetallhaltigen Filterstäube aus den Entstaubungsanlagen der Elektro-Lichtbogen-Öfen, in denen Edelstahl erzeugt wird, auf Bochumer Deponien abkippen. Der meiste Staub liegt lose zwischen Hausmüll auf der Zentraldeponie Kornharpen (ZDK); etwa 33.000 Tonnen Staub sind es insgesamt. Nach der damals gültigen Fassung des Abfallbeseitigungsgesetzes, so die Stadt Bochum, habe sie die „Entsorgung“ des Giftstaubes auf normalen Hausmüllkippen dem RP in Arnsberg nur anzeigen müssen; damit seien die Ablagerungen genehmigt und folglich legal gewesen. Gefährlich sind die Filterstäube vor allem wegen ihres hohen Gehalts an krebserregendem und das menschliche Nerven- und Nierensystem schädigendem Chrom (15 Prozent) in teilweise wasserlöslichen Chromverbindungen (Chrom-VI, gelegentlich auch Chrom III). Es hat im Grundwasser, wohin es am Ende ausgewaschen wird, nichts zu suchen. Mindestens 5.000 Tonnen Chrom lagern auf Bochumer Deponien. Außerdem enthält der Metalloxidstaub aus den Filteranlagen Blei, Cadmium und Nickel.

Erst im März 1984 untersagte der Arnsberger RP „rein vorsorglich“ (Stadt Bochum) „die weitere Ablagerung dieser Filterstäube in unbehandelter Form“ auf der ZDK - mit einer Übergangsfrist bis 1985, in der munter weitergekippt wurde. In Japan ist die Ablagerung von Filterstäuben aus der Edelstahlproduktion seit 1970 völlig verboten, in den USA gilt die Aufbereitungspflicht seit 1988 nicht nur für Stäube aus der Edelstahl-, sondern auch aus der Massenstahlproduktion.

Entgegen der Bochumer Praxis war auch in der BRD in den 70er Jahren die Ablagerung schwermetallhaltiger Oxidstäube nur auf Giftmüllkippen erlaubt. Seit Mitte der 70er Jahre arbeiteten verschiedene deutsche Stahlerzeuger, vor allem Thyssen, aufgrund der Erfahrungen im Ausland an Recyclingverfahren, um die wertvollen Metalle aus den Stäuben rückgewinnen zu können. Vor diesem Hintergrund kam die „Vorsorge“ des Abfalldezernenten beim RP reichlich spät.

Die Bochumer Grünen meinen denn auch, daß eine bis heute von der Stadt Bochum bestrittene Sickerwasserprobe mit hohem Chrom-VI-Gehalt von der Kornharpener Kippe im Frühjahr 1984 die Aktivität beim RP ausgelöst hätte. Aufgefordert durch den RP, begann im Sommer 1984 der damalige Leiter des Chemischen Untersuchungsamtes in Bochum, Dr. Georg Fritsch, in Zusammenarbeit mit Krupp ein sog. Verfestigungsverfahren für den Stahlstaub zu entwickeln. Dazu ließ er die ebenfalls hochgiftigen Hydroxidschlämme, die beim Fräsen, Schleifen und Bohren von Stahl unter Verwendung von Kühl- und Gleitmitteln anfallen, mit den Stäuben mischen und Zement dazu kippen. Das Zeug wird in noch flüssigem Zustand auf die Deponie gefahren und härtet dort aus. In der Mischung, so Fritsch, verwandle sich wasserlösliches und damit gefährliches Chrom-VI durch Reduktion in wasserunlösliches Chrom-III. Außerdem verhindere die Verfestigung, daß Gifte und Schwermetalle ausgewaschen würden.

Bereits im Juni hatte die Grüne Ratsfraktion in Bochum Alarm geschlagen - kurz nachdem die brisanten Staubablagerungen durch den ehemaligen Krupp -Vorstandsvorsitzenden Dr. Alfons Gödde bekanntgemacht wurden, der derzeit wegen Veruntreuung von 16,8 Millionen Mark bei der Krupp Stahl AG vor dem Bochumer Landgericht steht. Nach Informationen der Grünen hat Fritsch das Verfestigungsverfahren nicht nur entwickelt und sich patentieren, sondern von seiner Behörde auch kontrollieren lassen. Außerdem habe Fritsch auch vor 1984, so die Grünen, für die Stadt Bochum dem RP gegenüber erklärt, die lose Ablagerung der Giftstäube sei unbedenklich, woraufhin sie genehmigt wurde. Bis heute läßt Krupp etwa 20 Prozent der Stahlstäube nach dem Fritsch-Verfahren verfestigen und in Bochum ablagern, der größere Teil geht inzwischen angeblich zum Recycling nach Schweden. Die Herner Firma GMU (Gesellschaft für Materialrückgewinnung und Umweltschutz) führt die Verfestigung seit 1984 durch.

Inzwischen liegt im Zusammenhang mit dem Gödde-Prozeß ein wissenschaftliches Gutachten vor, das das Verfestigungsverfahren nach Fritsch als „drittklassige Lösung“ kritisiert: Es sei „nur eine Frage der Zeit, bis das verfestigte Material verrottet und seine Inhaltsstoffe wieder freigibt“. Mit der Verfestigung werde giftiger Abfall nicht ungiftig, sondern nur in einbetoniertem Zustand an die nächste Generation weitergegeben. Weiter stellen die Gutachter fest, daß das wasserlösliche Chrom-VI nicht vollständig zu angeblich wasserunlöslichem Chrom-III reduziert werde, da es „physikalisch unmöglich ist, die entsprechend gleichmäßige Mischung von Staub und Schlamm zu erreichen“. Folglich gebe es auf den Bochumer Deponien Chrom -VI und Chrom-III, wobei auch letzteres im sauren Deponieklima nicht, wie vom Chemischen Untersuchungsamt behauptet, unlöslich sei: „Die Chrom-III-Verbindungen, die (durch Reduktion aus Chrom-VI-Verbindungen, die Red.) entstehen, sind weder unlöslich, noch sind sie ungiftig.“

Auch die Kontrolle der Deponien, so das Gutachten, sei mangelhaft gewesen. Das Chemische Untersuchungsamt habe nur nach Chrom-VI-Auswaschungen gesucht, nicht aber nach Chrom -III, weil Dr. Fritsch davon ausgegangen sei, daß Chrom-III unlöslich und damit ungefährlich sei. Diese Erkenntnis habe er aber aus Laborversuchen gewonnen, die nicht den sauren Bedingungen auf der Deponie entsprochen hätten. Außerdem sei niemals nach den Giftstoffen aus den Hydroxidschlämmen gesucht worden, mit denen ja die Stäube zum Verfestigen vermischt werden.

Dem Wirbel um die Stahlstäube der Bochumer Krupp Stahl AG kommt auch deshalb Bedeutung zu, weil die giftigen Filterstäube mit der Chrom-Last überall dort anfallen, wo Edelstahl hergestellt wird und entsprechend auf den Deponien der Umgebung größere Mengen Chrom lagern könnten. Käme es zu einer Anklage gegen die Stadt Bochum oder den RP in Arnsberg, müßten sich auch andere Städte um die bisherige Entsorgung der Rückstände aus der Edelstahlproduktion Gedanken machen. Mit der Ablagerungsgenehmigung für die Stahlstäube konnte Krupp 1982 das neue Stahlwerk in Bochum in Betrieb nehmen.

Inzwischen hat auch die ÖTV die Stadt Bochum aufgefordert, die Chrom-Verseuchung städtischer Müllkippen und mögliche Folgen für Grundwasser und Menschen aufzuklären. Sie verlangt eine Untersuchung aller Arbeiter, die mit den Stäuben zu tun hatten. Mitte dieser Woche gab die Stadt Bochum nach all ihren Beteuerungen über die Gefahrlosigkeit der Stahlstäube bekannt, daß in den nächsten Wochen die Arbeiter des städtischen Fuhrparks untersucht werden sollen.