Abschied vom Kurdenführer

Ermordeter Rahman Ghassemlou in Paris beerdigt / Trauerzug wird zur Demonstration  ■  Aus Paris Ahmad Taheri

„Seien Sie bitte ein paar Tage unsere Geisel“, pflegte Dr. Rahman Ghassemlou, Chef der Demokratischen Partei Kurdistan/Iran, seine europäischen Gäste in den Bergen Kurdistans scherzhaft zu bitten. „Dann werden sich die internationalen Medien vielleicht mit der Kurdenfrage befassen.“

Ghassemlous Wunsch ist in einer makabren Weise in Erfüllung gegangen. Bei seinem Begräbnis am Donnerstag in Paris waren nicht nur viele Journalisten und Kamerateams zugegen, sondern auch hochrangige Politiker wie der französische Erziehungsminister Lionel Jospin und der Staatssekretär für Menschenrechte, Bernard Kouchner. Frau Mitterrand schickte einen Blumenkranz, die schwedische Regierung einen hohen Vertreter. Für die westeuropäischen Sozialisten war Ghassemlou, der des öfteren an den Kongressen der Sozialistischen Internationalen teilgenommen hatte, einer der Ihren. „Mamustar-e demokrase“, „Meister der Demokratie“, ertönte es in kurdischer Sprache, als sich der Leichenzug in der Mittagszeit auf dem Platz der Republik in Bewegung setzte, der in der Ferienzeit wie leergefegt ist. 2.000 Kurden und Perser waren aus fast allen westeuropäischen Ländern gekommen, um Abschied zu nehmen von dem verehrten und geachteten Oppositionspolitiker, der vor einer Woche in Wien ermordet wurde. Außer den oppositionellen iranischen Volksmudschaheddin, die Ghassemlou als „Versöhnler“ beschimpfen, waren alle linken und demokratischen persischen Exilorganisationen vertreten. Die Franzosen hatten erlaubt, daß der Leichnahm Ghassemlous und der seines Mitkämpfers Abdullah Ghaderi-Azar durch die Pariser Straßen zum Friedhof Pere Lachaise getragen werden durfte - eine seltene Ausname, wie die französischen Zeitungen schrieben.

Politische Demonstration

für kurdische Autonomie

Der Zug wurde von kurdischen Klängen und tiefer Trauer begleitet. „Wir haben“, sagte ein weißbärtiger Kurde, wie viele Teilnehmer in kurdischer Tracht, „unseren Führer, unseren Meister, unseren Vater, unseren Bruder verloren.“ Dicke Tränen flossen über seine eingefallenen Wangen. Auch junge Teilnehmer, Kurden wie Perser, konnten das Weinen nicht unterdrücken. „Sein einziger Fehler“, sagt eine iranische Oppositionelle, „war seine Kühnheit. Er achtete wenig auf seine persönliche Sicherheit.“

Zwei Stunden brauchte der Trauerzug, der zugleich eine politische Demonstration war, bis zum Friedhof Pere Lachaise, wo auch zwei weitere prominente Iraner begraben sind: Der Romancier Sadeq Hedayat liegt nur wenige Schritte vom Grab Marcel Prousts entfernt und der Dramatiker Gholam Hussein Saidi. Der Zug machte eine Ehrenrunde um die „Mur des Federees“, jene Ecke des Friedhofs, wo die Kommunarden von 1871 durch Kugeln der Konterrevolution den Tod fanden.

Als erster Redner würdigte Bernard Kouchner im Namen der französischen Regierung und der Sozialistischen Partei den Kampf Ghassemlous für „Freiheit, Menschenrechte und Frieden“. Ghassemlou, so Kouchner, war „die größte Persönlichkeit des kurdischen Volkes“. Ihn habe „Humanität und Kultiviertheit“ ausgezeichnet. Wie kein anderer Politiker, so Kouchner, war es Ghassemlou gelungen, für die kurdische Sache die internationale Aufmerksamkeit zu mobilisieren. „Ich hoffe“, sagte er zum Schluß seiner Rede, daß „eines Tages Frauen mit und ohne Tschador, Männer mit schwarzen oder weißen Bärten in einer solidarischen Gesellschaft friedlich zusammenleben“. Gelobt wurden das Leben und Werk Ghassemlous auch von dem schwedischen Vertreter wie von dem Leiter der Kommission für Menschenrechte.

Als letzter Redner sprach der Abgesandte der Demokratischen Partei Kurdistans. Er versäumte nicht, die politische Linie Ghassemlous, die „kurdische Autonomie im Rahmen eines iranischen Nationalstaates“ als künftige Richtung noch einmal zu betonen: „Der Meister war ungehalten, wenn jemand behauptete, er sei ein größerer iranischer Patriot als er selbst.“ Auch der neue Chef der Partei, Said, steht ganz auf der Linie Ghassemlous und ist ein Gegner aller separatistischen Tendenzen.

Doch der Tod Ghassemlous bleibt ein Desaster für den kurdischen Widerstand. Seine integrative Persönlichkeit, seine Überzeugungskraft, politische Erfahrung und sein internationales Renommee sind unersetzbar. Seine Feinde in Teheran oder Bagdad hatten alle Gründe, ihn zu beseitigen. Beim Abschied zitierte ein iranischer Lyriker einen alten persischen Vers: „Nur ein einziger ist dahingegangen, seinem Verstand zufolge aber mehr als tausend.“