Solidarnosc vor der Gretchenfrage

In Polen steht jetzt die Regierungsbildung auf dem Programm / Die Opposition ist in der Frage der Regierungsbeteiligung uneinig / Jaczek Kuron plädiert - ebenso wie Jaruzelski - für eine große Koalition  ■  Von Matthias Geis

Berlin (taz) - Während das Bürgerkomitee Solidarnosc noch über die Oppositionshilfe bei der Wahl Jaruzelskis zum Staatspräsidenten streitet, erhält zugleich die Kontroverse um eine mögliche Regierungsbeteiligung der Solidarnosc neuen Auftrieb. Durch den Aufschub der endgültigen Entscheidung in dieser Frage schafft die Opposition ein Vakuum, das Solidarnosc-Vertreter gestern in Warschau mit zum Teil gegensätzlichen Perspektiven zu füllen versuchten. Während Jaruzelskis Vereinigte Arbeiterpartei seit Wochen keinen Zweifel daran läßt, daß sie die Opposition gerne in eine große Regierungskoalition einbinden möchte, erklärte Solidarnosc-Sprecher Onyszkiewicz im polnischen Fernsehen, die Mehrheit der oppositionellen Parlamentarier sei nach wie vor der Auffassung, man solle sich nicht an einer Regierung beteiligen. Allerdings, so schränkte der Sprecher sogleich ein, sei alles noch nicht endgültig und werde in der nächsten Fraktionssitzung erneut aufgerollt.

Konkreter äußerte sich da schon der Fraktionsvorsitzende der Opposition Bronislaw Geremek am Donnerstag in einem Interview: „Wenn der Präsident der Republik unserer Bewegung die Bildung einer Regierung vorschlagen würde, wäre unsere Antwort positiv.“ Geremeks Vorstoß ist nicht ungeschickt. Er demonstriert die Bereitschaft der Opposition, die Regierungsverantwortung zu übernehmen; da jedoch kaum zu erwarten ist, daß Jaruzelski ohne Not der Opposition das Feld der Regierungspolitik überlassen wird, bleibt Geremek aller Voraussicht nach die Probe auf sein Statement erspart.

Doch die eigentliche Frage, vor die die Opposition nach Lage der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse jetzt gestellt ist, dreht sich nicht um die Bildung einer reinen Solidarnosc-Regierung, sondern darum, ob sie bereit ist, mit den Kommunisten gemeinsam die Regierung zu stellen. Hierzu hat Jaczek Kuron der Solidarnosc-Fraktion ein umfangreiches Papier vorgelegt, das in den nächsten Tagen noch für heftige Auseinandersetzungen sorgen wird. Denn Kuron, einer der profiliertesten Oppositionellen, plädiert für eine Koalition mit den Kommunisten. Solidarnosc, so Kuron, habe nach der Einigung am runden Tisch jetzt keine andere Wahl. Das gegen eine Regierungsbeteiligung gerichtete Argument, Solidarnosc in einem Boot mit der Partei verliere die Unterstützung der Bevölkerung, hält Kuron in seiner Analyse für verfehlt. Denn auch der Rückzug in die Oppositionsrolle und der Verzicht auf die Regierungsbeteiligung sei zwangsläufig mit einem Vertrauensverlust verbunden.

Ähnlich unaufgeregte Gedanken über die neue Verantwortung der Gewerkschafter muß sich auch der Solidarnosc-Abgeordnete Wielowiejski gemacht haben, als er mit seiner ungültigen Stimme zur Wahl Jaruzelskis beitrug. Vor der Fraktion verteidigte er sich damit, er habe mit seinem Votum die Vereinbarungen am runden Tisch retten wollen, in denen der Partei das Amt des Präsidenten zugebilligt worden war.