Ein „Tatort„-Krimi zwischen allen Stühlen

Martin Walser und Asta Scheib, verantwortlich für das Drehbuch des „Tatort„-Krimis „Armer Nanosh“ vom letzten Sonntag, werden vom „Zentralrat deutscher Sinti und Roma“ des Rassismus beschuldigt / Eine Diskussion um „deutsch“ und „nicht-deutsch“  ■  Aus Hamburg Oliver Neß

Seit langem wurde die Verfolgung und Diskriminierung von Romas und Sinti in der Bundesrepublik nicht mehr von einer so breiten Öffentlichkeit diskutiert wie nach der Ausstrahlung des Tatort-Krimis Armer Nanosh am vergangenen Sonntag abend. Der für die Ausstrahlung verantwortliche Norddeutsche Rundfunk (NDR) sowie die Drehbuchautoren Martin Walser und Asta Scheib werden seitdem vom „Zentralrat deutscher Sinti und Roma“ mit Vorwürfen und Beschuldigungen überhäuft. So erklärte der auch in Roma -Kreisen umstrittene Zentralrats-Chef, Romani Rose, der Film sei herabsetzend, rassistisch und beleidigend gewesen: „Kein rassistisches Klischee ist ausgelassen worden.“ Die Volksgruppe der Roma und Sinti wurde nach Meinung Roses in dem Tatort als konspirativ, mißtrauisch, nicht-deutsch, heißblütig und außerhalb der Gesellschaft lebend dargestellt.

Der von Stanislav Barabas inszenierte Kriminalfilm handelte von dem Kaufhausleiter Nanosh Steinberger, der von Zigeunern abstammt und vom reichen Hamburger Kaufmann Sander in der Kindheit adoptiert wurde. Das rettete den „armen Nanosh“ vor der Deportation durch die Nationalsozialisten. Aber Nanosh schwankt zwischen der bürgerlichen Welt eines Kaufhausleiters und dem Zigeunerleben.

Öffentlich will er sich nicht Nanosh Steinberger nennen und gibt sich den Namen Valentin Sander. Nanosh verliebt sich wie auch sein eigener Sohn Georg - in die attraktive Künstlerin Ragna Juhl, die am Morgen des 20. März 1988 ermordet in ihrer Wohnung aufgefunden wird. Wie selbstverständlich fällt der Mordverdacht auf die Zigeuner.

Autor Martin Walser beleuchtet in zahllosen Passagen des Films kritisch die in der bundesdeutschen Öffentlichkeit weit verbreiteten Vorurteile gegen Roma und Sinti. Der Mörder ist letztlich der deutsche Spießer Frohwein, Prokurist im Kaufhaus Sander. Krimi-Kommissar Stoever (gespielt von Manfred Krug) ertappt sich bei seinen Ermittlungen immer wieder bei unterschwelligem Rassismus, den er aber im nächsten Moment schon wieder selbst in Frage stellt. In der Person des Prokuristen Frohwein, der nach seiner Überführung Selbstmord begeht, arbeiten die Autoren Walser und Scheib den in der Bevölkerung tief verwurzelten und versteckten Rassenhaß heraus: „Heute ist ja jeder hier weit weg vom Rassismus, ich natürlich auch.“ Zigeunerhasser Frohwein fühlt sich - typisch deutsch - „permanent unterlegitimiert“.

Sind diese Darstellungen der Drehbuchautoren nun rassistisch? Räumen sie nicht vielmehr mit dem „Typisch -deutsch-Sein“ auf?

Am Donnerstag hatte der Norddeutsche Rundfunk zur Aussprache geladen. Die schwerwiegenden Vorwürfe sollten vor der zahlreich vertretenen Presse diskutiert werden. Doch Romani Rose fühlte sich nach vermeintlichen Zusagen des NDR zu einer Fernsehdiskussion und die Verschiebung des Pressetermins „hintergangen“ und sagte seine Teilnahme an der „Suche des NDR nach Rechtfertigung“ - so sein engster Mitarbeiter Fritz Greußing zur taz - ab.

Der „fassungslose“ Martin Walser fühlte sich vor allem durch die Hitler-Klischees tief getroffen und wollte sich wie er intern sagte - „auf den Kram nicht einlassen“. Die zum Pressetermin in Hamburg erschienene Asta Scheib schien tief bewegt von den Vorwürfen des Zentralrates: „Für mich ist es unerträglich, wenn wir einen Menschen verletzt hätten.“ Sie beteuerte, mit Walser sorgfältig recherchiert zu haben, und räumte ein, am Anfang habe sie „Angst vor der Komplexität des schwierigen Themas“ empfunden.

Regisseur Barabas fühlt sich nicht schuldig und ist alles andere als glücklich, daß „dieser Film wie ein totes Tier daliegt und von allen seziert wird“. Eine Grundsatzfrage auch für die Zukunft konnte nicht abschließend diskutiert werden: Darf ein gesellschaftlich und historisch brisantes Thema überhaupt in einen Kriminalfilm aufgearbeitet werden?

Für Romani Rose ist dies ein „Skandal„; der für den jüngsten Tatort verantwortliche Redakteur Matthias Esch sieht hier die Möglichkeit, einem breiten Publikum eine derart schwierige Problematik nahezubringen.

Aufgrund der Absage des Zentralrat-Vorsitzenden war man schließlich unter sich und wurde auch sehr schnell wieder überheblich. Plötzlich wurde diskutiert, ob nicht eigentlich die Deutschen viel zu schlecht weggekommen seien. Eine Journalistin bemängelte, durch den Film sei ein „nicht vorhandener Neo-Nazismus“ heraufbeschworen worden. Schweigend signalisierte die versammelte Journaille samt NDR -Führungsetage ihre Zustimmung.

Die Roma bewerten den Krimi vom Sonntag aber auch intern völlig unterschiedlich. Die Roma und Sinti Union (RCU) und das Rom-Forum erklärten, die Äußerungen Roses stünden in einer langen Reihe unqualifizierter öffentlicher Erklärungen. Rose mißbraucht nach Auffassung der RCU die schreckliche Verfolgungsgeschichte der Roma für persönliche Auftritte. Derartige Anschuldigungen hatte der Zentralrat in den vergangenen Monaten andersherum auch gegen den RCU -Vorsitzenden Rudko Kawczynski erhoben, als dieser sich mit spektakulären Aktionen gegen die Abschiebung einer heimatlosen Roma-Familie aus Hamburg eingesetzt hatte. In der RCU-Erklärung heißt es weiter: „Durch solche unsäglichen Diskussionen wie derzeit über den Tatort (...) werden den Rassisten aller Couleur willkommene Argumentationshilfen gegeben.“

Das zukünftige Maß für Normalität in der Bewältigung der Vergangenheit setzte am Donnerstag in Hamburg Regisseur Barabas: „Normalität haben wir, wenn ich den Zigeuner auch als Mörder darstellen darf. Das ist nämlich heute völlig unmöglich.“