Eiertanz der SPD um Brasilien-Atomvertrag

Die SPD-Bundestags-Fraktion tut sich schwer mit ihrer Kehrtwendung / Müssen Ausschüsse aus dem Urlaub zurück?  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Die SPD-Fraktion in Bonn fordert die Einstellung sämtlicher Lieferungen sensitiver Atomtechnologie nach Brasilien und den Widerruf entsprechender Exportgenehmigungen. Die Einhaltung des Atomwaffensperrvertrags müsse „absolute politische Priorität“ haben, verlangte der SPD-Abgeordnete Hermann Scheer, auch wenn dies eine Rücknahme der brasilianischen Aufträge für AKWs zur Folge hätte. Für den Fall, daß die Bundesregierung jetzt keine Konsequenzen ziehe, behält sich die SPD vor, den Auswärtigen und den Wirtschaftsausschuß aus der Urlaubspause zu holen.

Scheer warf der Regierung erneut vor, die Beihilfe zur brasilianischen Entwicklung der Atombombe sei ein „Verbrechen“. Da der deutsch-brasilianische Vertrag zur Atom -Kooperation jedoch 1975 unter der Regierung Schmidt geschlossen wurde, tat sich der SPD-Abrüstungsexperte mit der Begründung schwer, wann denn dieses „Verbrechen“ begonnen habe: Solange Brasiliens Atombomben-Forschung noch in einem sogenannten Parallelprogramm stattgefunden habe, sei die Fortführung des bilateralen Vertrags nur „politisch problematisch“ gewesen, argumentiert Scheer. Im September 1988 habe aber in Brasilien die Verschmelzung des zivilen mit dem militärischen Programm stattgefunden; damit sei „rechtlich eine neue Lage“ entstanden. Der SPD-Abgeordnete Bachmeier, Vorsitzender des Atom-Untersuchungsausschusses, räumte ein, daß die damalige bundesdeutsche und ausländische Kritik an dem Vertragsabschluß jetzt in „nicht unbeträchtlichem Umfang bestätigt“ worden sei.

Umstritten bleibt in Bonn, welche Lieferungen im sensitiven Bereich Brasilien bisher tatsächlich erhalten hat und welche realen Auswirkungen die zur Debatte stehende Kündigung des deutsch-brasilianischen Atom-Vertrags damit hätte. SPD -Politiker entnehmen den Akten des Untersuchungsausschusses, daß zwei Urananreicherungsanlagen sowie die Basisplanung für eine Wiederaufarbeitungsanlage geliefert wurden. Von Regierungsseite heißt es hingegen, es habe sich lediglich um eine Pilotanlage zur Anreicherung gehandelt. Nach Angaben des Eschborner Bundesamts für Wirtschaft liegen dort derzeit keine einschlägigen Exportanträge vor. Aufklärungsbedürftig bleibt ebenso ein alter Verdacht: daß nämlich Brasilien mit bundesdeutscher Hilfe auch an das militärisch relevantere und bei der Marine verwandte Zentrifugen-Verfahren für die Anreicherung gelangt ist.