„Die Gedenkstätte dient nicht der Fabrikation von Adelsprädikaten

■ Der Leiter der Ausstellung „Widerstand gegen den Nationalsozialismus“, Prof. Dr.Peter Steinbach, kritisiert diejenigen, die den „wahren“ Widerstand gegen den Nationalsozialismus für sich pachten möchten

taz: Wie konnte es zu diesem Eklat kommen, Herr Professor Steinbach?

Peter Steinbach: Ich hatte seit einiger Zeit den Eindruck, daß sich die Kampagne gegen die Erwähnung des Nationalkomitees Freies Deutschland in dieser Weise zuspitzen könnte. Es kursiert seit einiger Zeit ein Brief in der BRD, von demjenigen, der am Mittwoch während der Ausstellungseröffnung aufgetreten ist - den ich übrigens nie erhalten habe - der mit den Worten überschrieben ist „Historiker ruft Gesetzesbrecher als Zeugen an“. In dem Schreiben werde ich sogar mit den Verbrechen, die auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking begangen wurden, in Verbindung gebracht. Seit etwa anderthalb Jahren richten sich massive Proteste gegen die Erwähnung des NKFD.

Können Sie die Arbeit des NKFD für unsere Leserinnen und Leser noch einmal charakterisieren?

Beim NKFD handelt es sich um eine Gruppe von deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion und von Emigranten in Moskau, die natürlich Ulbricht nahestehen. Sie rufen aus der Kriegsgefangenenschaft heraus zum Sturz des Regimes auf. Sie appellieren an die Kameraden, die Waffen entweder wegzulegen oder sich im geordneten Rückzug auf die Grenzen des Deutschen Reiches zuzubewegen, um auf diese Weise die militärische Katastrophe, die nationalsozialistischen Verbrechen, nicht nur an den Juden, sondern auch an den Völkern Osteuropas und in der Sowjetunion, zu verhindern. Für manche Kriegsgefangene, die dann nach 1950 in die BRD zurückkehrten, gelten diese Mitglieder des Nationalkomitees Freies Deutschland - deren Analysen übrigens sehr stark denen der Leute aus dem Umfeld des 20.Juli ähneln - als Verräter, als Leute, die sich in der Gefangenschaft als „Kaschisten“, als Leute, die sich für eine Suppe verkauft haben. Was dabei übersehen wird ist, daß es in der Kriegsgefangenenschaft die so oft unterstellte Kameradschaft unter den Soldaten nicht in der Weise gab, wie man das jetzt manche gerne sehen möchten. Die deutschen Kriegsgefangenen, die den allierten Truppen in die Hände fielen, spiegelten doch die deutsche Gesellschaft - mit ihrer Sympathie oder Antipathie für Hitler, mit all ihren Widersprüchen. Und viele der Soldaten, die niemals glühende Nationalsozialisten waren, fühlen sich im Grunde in der Kriegsgefangenschaft endlich, wie manche das ausgedrückt haben, von der „inneren Gefangenschaft“ befreit. Sie sagen: Wir gehen in eine andere Gefangenschaft über, die uns aber immerhin die Möglichkeit gibt, wie auch den Angehörigen des Exils, die Stimmen unabhängig von nationalsozialistischem Terror und der NS -Propaganda zu erheben.

Sie haben mir kurz nach dem Eklat gesagt, daß Ganze sei ein schlimmer Rückfall in die fünfziger Jahre. Was meinen Sie damit genau?

Ich glaube, daß die Beschäftigung der deutschen Nachkriegsgesellschaft mit dem Widerstand in den fünfziger Jahren eigentlich erst massiv befreit worden ist durch einen politischen Prozeß. Fritz Bauer, Ankläger im Auschwitzprozeß, sagt in seinem Plädoyer gegen den SAP -Fraktionär Ernst Remer - ich zitiere jetzt frei - „Wer dem Widerstand immer noch den Vorwurf des Verrats entgegenstellt, übersieht völlig, daß Hitler das Dritte Reich verraten hat, und ein verratenes Volk läßt sich nicht verraten“. Das zweite Problem, was aus den Fünfzigern herüberkommt ist, daß sich im Widerstand eine Handlungsalternative zum Mitlaufen, zum Stillschweigen, zur Hoffnung, daß das alles nicht so schlimm werden würde, greifen ließ. Jeder Widerstandskämpfer zeugt davon, daß man sich anders verhalten konnte.

Und ich möchte durch die Ausstellung daran erinnern, daß der Widerstand eben nicht allein der Versuch war, daß Regime politisch zu stürzen, sondern daß er sich bereits vorher bewies in der Art, wie man beispielsweise einem Verfolgten beistand, wie man sich über Entrechtung empörte, wie fähig man war, Zivilcourage zu zeigen. Das fatale Problem des Widerstandes vom 20.Juli ist doch, das er so spät einsetzte, buchstäblich um zehn vor zwölf. Wenn das Attentat gelungen wäre, hätte die Hälfte der Kriegstoten überlebt. Das muß man sich klar machen. Auch Auschwitz läuft mit seiner Vernichtungsmaschine erst im Herbst 1944 auf dem Höhepunkt. Auschwitz ist dann derart organisiert, das binnen weniger Wochen im Spätsommer 1944 über 400.000 ungarische Juden ermordet werden können. Das wäre alles verhindert worden. Aber: durch diesen Blick auf den 20.Juli geraten die lange Vorgeschichte, die Leidensgeschichte, die vielen Rückschläge und Neuanfänge des Widerstandes vor 1944 aus dem Blick. Daran will die Ausstellung erinnern. Und dadurch wird der 20.Juli natürlich relativiert. Ich konzentriere mich nicht ausschließlich auf dieses Ereignis, wie das jetzt wieder gefordert worden ist. Das bedeutet: 45 Jahre nach dem Anschlag wird versucht, die breite Gesamtgegnerschaft zu bezweifeln. Und ich benutze ganz bewußt einen nationalsozialistischen Ausdruck: Es wird versucht, diesen Widerstand zu selektieren.

Das wird ja schon seit längerem von konservativer Seite versucht. Komplizierter wird die Sache dann, wenn es, wie in diesem Fall, Angehörige von Opfern sind, die so etwas sagen.

Ich hatte bei der Ausstellung auch immer im Auge, den Angehörigen von Opfern eine Stätte des Erinnerns zu geben. Deshalb habe ich mich auf jeden Bereich des Widerstandes eingelassen. Ich wollte den Widerstand aus sich heraus darstellen, ich wollte vom Selbstverständnis der Regimegegner ausgehen. Was Sie jetzt sehen, ist die Proklamation einer Forderung, die ihre Legitimität aus dem Anspruch ziehen will, daß Angehörige sie stellen. Es ist ja eine verschwindend geringe Zahl, die überhaupt zu dieser Formierung des Protestes findet. Angehörige des Widerstandes sind die Vertreter des Arbeiterwiderstandes, des kommunistischen Widerstandes, des kirchlichen Widerstandes auch - die sich hier nicht zu Wort gemeldet haben. Hier haben sich einige ganz wenige zur Verfügung gestellt. Und viele der Namen, die von dem Protestführer vorgelesen wurden, finden sich nicht auf der Liste der Unterzeichner. Bei dieser Protesterklärung wurde auch manifest gelogen. Es sind anschließend Angehörige von Regimegegnern zu mir gekommen, die mir gesagt haben: Mein Name steht unter diesem Brief nicht. Etwa nicht der Name des Sohnes von Hassel. Nicht der Name von Boeselager. Und ich sage ganz deutlich: Wir erleben im Moment eine Diffamierung des Widerstandes, die uns hellhörig machen sollte. Mich hat die Rede von Schönhuber in Cham sehr abgestoßen, wo er gesagt hat: Das Attentat vom 20.Juli war ein Putsch von einigen ehrenwerten Männern - da wurde ganz deutlich, daß Schönhuber seine Meinung nicht ändert, da seien Monokelfritzen am Werk gewesen. Wo war da eigentlich der Protest des CSU -Europaabgeordneten Franz von Stauffenberg, der jetzt diese Ausstellung hier als eine „politisch mißbrauchte“ bezeichnet?

Was sagen Sie zu der Drohung einiger Angehöriger, Exponate aus der Ausstellung über den Rechtsweg zurückziehen zu wollen?

Das läßt mich völlig kalt. Ich befürchte das nicht. Wenn es wirklich eintreten sollte, dann müßten wir überlegen, ob wir sagen: Hier ist aus den und den Gründen ein Exponat entfernt worden. Und dann geben wir die Frage an diese selbsternannten Verteidiger zurück, die nicht die Toleranz aufbringen, die ganze Breite und Vielfalt des Widerstandes auszuhalten. Ich habe das Gefühl, das diese Debatte hinter die Diskussion, die bis 1944 im Widerstand selbst abgelaufen ist, zurückfällt. Und ich habe den Eindruck, daß der Widerstand selbst durch die Erfahrungen mit dem totalitären Regime toleranter gewesen ist.

Die NKFD-Kritiker argumentieren ja nicht nur mit der Politik, die das Nationalkomitee während des Krieges betrieb oder betrieben haben soll. Die Entwicklung einiger NKFD -Mitglieder, beispielsweise Walter Ulbricht wird mit angeführt. Es wird Bezug genommen auf später liegende Ereignisse in der DDR.

Das ist das Problem. Es schwindet aus dem Bewußtsein, daß das Ziel des Widerstandes war, das nationalsozialistische Regime und alles, was damit zusammenhing, zu beseitigen. Die politische Auseinandersetzung um die Neuordnung, die begann am Tag nach der Befreiung vom Nationalsozialismus. Dieser Streit setzte auch sofort ein. Was Sie angesprochen haben, ist in der Tat der Versuch, eine imaginäre Linie der Ausgrenzung zu ziehen. Der Vorwurf, hier in der Ausstellung würde „geehrt“ und „gleichgestellt“, beinhaltet letztlich ein sehr autoritäres Museumskonzept. Wenn wir Entwicklungen schildern, dann stellen wir sie dar, dann adeln wir nicht. Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand dient nicht der Fabrikation von Adelsprädikaten des Widerstands.

Claus Christian Malzahn