Spießbürger-betr.: Kritik des Konzerts von Vladimir Chekassin, taz vom 7.7.89

betr.: Kritik des Konzerts von Vladimir Chekassin am 7.7.89 von Herrn Droste

Daß der Schreiber einer Zeitung seine publizistische Unbefangenheit aufs Spiel setzt, um wegen eines Vorfalls öffentlich nachzutreten, der nicht einmal den persönlichen Streit wert war, ist eine peinliche Sache. Man mag das mit schwerer Trunkenheit hinter der Schreibmaschine entschuldigen. Aber diese „Kritik“ offenbart darüber hinaus eine Haltung, die der Kulturseite der taz schlechterdings die Existenzberechtigung abspricht.

Die bürgerliche Presse gefällt sich in ihrer Kulturkritik weitestgehend in der scheinbaren Objektivierung von Geschmacksurteilen. Da der Geschmack von Sehgewohnheiten abhängig ist - oder im Falle einer Reflexion durch die bewußte Abkehr wiederum abhängig davon - kann er in keinem Falle Kriterium einer Kritik sein. Geschmack ist im doppelten Sinne reaktionär.

Privatismus und das Eingeständnis der Subjektivität sind keine Haltungen, die über den bürgerlichen Ansatz hinausweisen. Sie bleiben Sprachgehabe, also nichts weiter als die rote Kreide, die der alternative Spießbürger gefressen hat.

Und was soll ich als Künstler damit anfangen, daß jemand sein gutes Gefühl nicht über den Abend retten konnte. Solange die Rezeptionskultur von den Gesetzen des Geschmacks, der Psychologie und von interaktionären Zwängen bestimmt wird, bleibt sie reaktionär. Wie der angesprochene Artikel. In jedem von uns lauert ein alternativer Spießbürger. Wehret ihm!

Hannes Hellmann, Theater an der Ruhr, Duisburg