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Scheherazade einfach vergessen

■ Die „Iranischen Nächte“ hatten in Nürnberg deutsche Premiere

Bradford. Nordengland. Vater und Sohn, beide Moslems, stehen sich gegenüber - sie streiten, zum Schluß droht der Sohn sogar. Der Vater meint, Bücher dürften auf keinen Fall verbrannt werden, alleine schon deswegen, weil das schrecklichste Ereignis in der moslemischen Geschichte die Verbrennung der Bagdader Bibliothek durch brandschatzende Horden gewesen sei. Wenn einer solch liberale Ideen hat, ist er selbst vor seinem Sohn nicht mehr sicher, einem islamischen Fundamentalisten. Wie er wurde, was er ist? Eines Nachts, als er noch die High-School besuchte, jagten ihn angelsächsische Gentlemen. Sie verprügelten und beschmierten ihn mit englischem Kot. So machte der feine angelsächsische Rassismus aus dem Getretenen einen mullahhörigen Aufsteiger. Anfangs brauchte er den Blick zurück in die moslemische Heimat und ins Mittelalter - als Selbstvergewisserung. Inzwischen macht sich seine Mullah -Connection auch geschäftlich bezahlt. Denn der religiöse Eiferer mit Cambridge-Bildung organisiert zusammen mit jenen Gentlemen, die ihn einst traten, obskure Waffen- und Ölgeschäfte in den Nahen Osten.

Diese längere Szene ist das Kernstück von Howard Brentons und Tariq AlisIranische Nächte, das vor drei Monaten zum ersten Mal im Londoner Royal Court Theatre zu sehen war. Die beiden Autoren hatten es am selben Ort innerhalb „von fünf aufregenden Tagen zwischen Make-up-Töpfen, Blumen und Premierenglückwünschen mit großer Geschwindigkeit geschrieben“, wie Brenton in einer Vorbemerkung zum Stück schreibt. Es war eine schnelle Reaktion auf die Morddrohung gegen Salman Rushdie wegen seiner Satanischen Verse auch ein Zeichen der Solidarität, zu dem Mut gehörte. Denn keiner konnte sich vor den Todeskommandos sicher fühlen.

In Nürnberg hat der aus England stammende junge Regisseur Robin Telfer jetzt die deutsche Erstaufführung des Stücks inszeniert. Von der akuten Bedrohung wie noch im Frühjahr ist heute nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil. Obwohl Salman Rushdie sich immer noch verstecken muß, scheint sein Fall für das Publikum ad acta gelegt zu sein. In den kleinen Nürnberger Kammerspielen zeigt die nicht einmal ausverkaufte Premiere, wie schnell die „Sensation“ von gestern aus dem öffentlichen Bewußtsein schwindet.

Iranische Nächte wird es als Stück nur deshalb schwer haben, weil seine Attraktivität an Aktualität gebunden ist. Es kommt hinzu, daß die beiden Autoren ein Agitationsstück machen sollten, und es überraschenderweise in der Atmosphäre von Tausendundeine Nacht spielen zu lassen. Es beginnt wie im Märchen: Zuerst einmal steigt Theaternebel auf. Dann sitzt der Kalif (Fritz Peter Schmidle) da, dümmlich und gelangweilt. Scheherazade (Kirstin Derfler) erzählt um ihr Leben. Mit von der Partie ist auch Omar Khayyam (Michael Abendroth), der Dichter und Kommentator. Wasserlichter glitzern, in den Geschichten wird stichwortartig die Rushdie -Affäre umrissen. Entscheidend ist die Atmosphäre, denn aus dem Text erfährt man nicht wesentlich mehr als das aus der Zeitung Bekannte.

Und wenn sich der Dichter dann auf den Weg zum Ayatollah macht, um mit ihm zu diskutieren, werden die Schwächen des 50minutenstücks und die Probleme der deutschen Erstaufführung deutlich. Der Ayatollah läßt einen Plastikpinguin hinrichten, stellvertretend für den Viking -Penguin-Verlag, in dem RushdiesSatanische Verse in England erschienen. Der Dichter aber argumentiert, als befände er sich im Unterhaus. Ein Loch entsteht. Es wird langweilig, wo der Dichter doch angreifen oder mit einer ebenso absurden Aktion wie der Pinguinhinrichtung antworten müßte. Brenton und Ali haben Brüche eingebaut, die es eigentlich nahelegen, das Stück zur schrillen Groteske zu machen. Mit dem Material, das die beiden in der Kürze zusammengetragen haben, wäre das ein gangbarer Weg. Aber Stück und Inszenierung bleiben auf halber Strecke stehen.

Es bleibt der Eindruck, daß das eigentliche Brenton/Ali -Stück noch aussteht. Ihr Fünftagewerk wirkt eher wie ein Entwurf, wie eine Stoffsammlung, aus der nun Spielszenen entwickelt werden könnten. Dieses Stück aber würde anders aussehen.

Besonders die Figur der Scheherazade zeigt, daß eine Bearbeitung des Stücks und die Entwicklung einer durchgängigen Geschichte notwendig ist. Die arme Kirstin Derfler muß während des gesamten zweiten Teils vom Bühnenrand aus zusehen, wie sich Vater und Sohn streiten. Daß sie am Ende doch noch einmal ins Spiel gebracht wird, den Regenmantel anzieht und auch nach England geht, wirkt eher wie eine Verlegenheitslösung. Scheherazade wurde von den Autoren in der Eile der Produktion vergessen.

Jürgen Berger

Weitere Vorstellungen am 23. und 27.Juli jeweils um 22 Uhr.

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