Eine Politik der Nadelstiche

■ Kleinkrieg um die Freiburger Pro Familia / Das baden-württembergische Sozialministerium monierte die Unterzeichnung eines Flugblattes gegen die Memminger Prozesse / Beratung soll gesetzestreu sein

Für die MitarbeiterInnen der Pro Familia in Freiburg gehört die Auseinandersetzung mit ihrer Aufsichtsbehörde, dem baden -württembergischen Sozialministerium, fast schon zum Alltag. Jüngstes Beispiel für den Kleinkrieg: den Stuttgartern mißfiel, daß die Freiburger Pro Familia ein Flugblatt unterzeichnet hatte, das zu einer Demonstration gegen die Memminger Prozesse aufrief und die Streichung des Paragraphen 218 forderte.

Das Flugblatt datierte vom Dezember letzten Jahres, aber erst nachdem der skandalöse Prozeß gegen Horst Theissen im Mai in erster Instanz beendet war, meldete sich die Stuttgarter Behörde. Schriftlich wollte sie wissen, ob die Beratungspraxis von Pro Familia Freiburg noch die Einhaltung des Paragraphen 218 und der baden-württembergischen Richtlinien gewährleiste. Letztere sehen aber ausdrücklich eine Orientierung am Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1975 vor. Dieses aber war in dem Flugblatt kritisiert worden. „Wir wollen keinen Gebärzwang“, hieß es in der inkriminierten Passage.

1975 hatten die obersten Richter der Republik ihre Ablehnung der Fristenlösung damit begründet, daß der Schutz des ungeborenen Lebens Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Frau habe und von einer „Pflicht“ der Frauen gesprochen.

Das ministerielle Schreiben endete mit der Aufforderung an Pro Familia, innerhalb von 14 Tagen Stellung zu nehmen. Die Freiburger ließen sich nicht einschüchtern: sie anworteten kurz und knapp, daß es unzulässig sei, zwischen ihren öffentlichen Positionen und ihrer konkreten Beratungspraxis, die sich im Rahmen der Gesetze bewege, eine Verbindung herzustellen. Eine Antwort, die das Sozialministerium wie zu erwarten nicht befriedigte. Im „gesamten Verhalten“, so wurde Pro Familia mit zweifacher Unterstreichung mitgeteilt, sei der Träger einer Beratungseinrichtung verpflichtet, die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten. Die Unterzeichnung des Flugblatts wurde ausdrücklich mißbilligt. Seitdem herrscht Funkstille. Das Ministerium wartet auf eine erneute Stellungnahme, die Freiburger Pro Familia sieht rechtlich dazu keine Veranlassung. Schlimmstenfalls müßten die BeraterInnen bei einer Eskalation des Konflikts mit dem Entzug ihrer Beratungsgenehmigung rechnen.

In Freiburg gilt es indessen als offenes Geheimnis, daß die örtliche CDU hinter der Angelegenheit steckt. Die Kreisverbände Hochschwarzwald und Oberschwaben gelten als Scharfmacher in der schwäbischen Union; auf dem Landesparteitag 1987 hatten sie, erfolglos, die weitreichendsten Anträge eingebracht - bis hin zu der Forderung, die Notlagenindikation abzuschaffen. Das Bedürfnis, dann wenigstens vor der eigenen Haustür aufzuräumen, ist offenbar groß. So unterstellten die LebenschützerInnen, Pro Familia würde „Persilscheine“ ausstellen und eine „Abtreibungsberatung“ vornehmen. Finanzielle Zuschüsse aus dem Landkreis wurden zurückgehalten. Pro Familia konnte allerdings vor dem Freiburger Verwaltungsgericht letztes Jahr die Zahlung der Gelder durchsetzen. Das Gericht hatte die Zurückhaltung der Zuschüsse als „sachlich nicht begründet“ und „willkürlich“ bezeichnet.

In einer Art negativer Fixierung haben die örtlichen Lebensschützer offenbar nichts besseres zu tun, als Pro Familia mögliche „Fehltritte“ nachzuweisen. Geschäftsführer Peter Hübner: „Die beobachten uns mit Argus-Augen.“

Helga Lukoschat