Giftgas gegen „separatistische Terroristen“

Dienstinternes Handbuch des türkischen Generalstabs weist Einsatz von C-Waffen gegen kurdische Guerilla an / Zwangsräumungen von kurdischen Dörfern gehen weiter / Tausende BewohnerInnen sind betroffen / Armee überfällt Dörfer, um Befehlen Nachdruck zu verleihen  ■  Aus Istanbul Ömer Erzeren

„Wir werden gegen euch C-Waffen einsetzen.“ Mit diesen Worten drohe die türkische Armee Kurden, deren Dörfer sie zwangsweise evakuieren will, berichtet der sozialdemokratische Abgeordnete Cumhur Kaskin. Ein möglicher Giftgaseinsatz gegen die kurdische Guerilla ist von höchster Stelle abgesegnet. Die Zeitschrift 'Ikibine Dogru‘ veröffentlichte jüngst ein dienstinternes Handbuch des türkischen Generalstabes, wonach C-Waffen gegen „separatistische Bandenmitglieder“ angewendet werden sollen. Die dienstinterne Anweisung erging bereits am 25. Februar 1986 und trägt die Unterschrift des damaligen Kommandanten der Bodenstreitkräfte, Necdet Öztorun. Öztorun ist heute ranghöchster General und Chef des türkischen Generalstabes.

Detailliert beschreibt das Handbuch, wie der „Angriff und die Vernichtung von separatistischen Terroristen“ vonstatten gehen soll. Der Abschnitt „Vernichtung der Tunnel“ sieht unter anderem vor: „d) Auffüllen mit Giftgas, e) unbewohnbar machen durch Einsatz von speziell produzierter Insektenbrut“. Die kurdische Guerilla PKK, die seit 1984 einen bewaffneten Kampf gegen die türkische Armee führt, soll durch diese Maßnahmen getroffen werden.

In dem Kampf zwischen der türkischen Armee und der PKK sind nach amtlichen Zahlen in den vergangenen zwei Jahren 596 Personen getötet worden. Auf einer Pressekonferenz in Diyarbakir am Sonntag gab der türkische Innenminister Abdülkadir Aksu weitere Zahlen bekannt. „390 Terroristen wurden in der Region gefaßt, davon 238 tot und 16 verletzt. 86 Terroristen stellten sich. 130 unserer Helden starben, 216 Angehörige unserer Sicherheitskräfte wurden verletzt. 228 Zivilisten starben. Binnen zwei Jahren wurden in der Region 4.427 Personen festgenommen, gegen 1.558 erging Haftbefehl.“

Während der Innenminister seine Pressekonferenz abhält, werden Tausende kurdische Dorfbewohner in den Cudi-Bergen im Osten der Türkei zwangsgeräumt. Offensichtlich trägt man sich im türkischen Generalstab mit dem Gedanken, nach der Evakuierung ganzer Landstriche in der gebirgigen Region die Unterschlupfmöglichkeiten der PKK mit C-Waffen zu vernichten.

Auch der Irak hat nach dem Giftgasmassaker der Armee an der kurdischen Zivilbevölkerung damit begonnen, im Grenzgebiet zur Türkei, dem Iran und Syrien entvölkerte „Sicherheitszonen“ einzurichten. Der Sprecher des türkischen Außenministeriums, Inal Batu: „Wir begrüßen jede Maßnahme, die die Sicherheit unserer Grenze steigert. Wegen der Flüchtlinge, die die Grenze passieren, haben wir Probleme.“ Nach dem Giftgaseinsatz im August vergangenen Jahres flohen Zehntausende kurdische Zivilisten in die Türkei und werden in Lagern festgehalten.

In den vergangenen Jahren sind Dutzende kurdische Dörfer in der Türkei zwangsevakuiert worden. Zur Zeit sind vier Dörfer betroffen. Mit einer kurzen amtlichen Bekanntgabe verkündete das Landkreisamt Sirnak die Räumung: „Die 23. Gendarmeriebrigade, die in unserem Landkreis stationiert ist, hat unser Landkreisamt informiert, daß außerhalb der Zentren in Dörfern und kleineren Siedlungen Schießübungen durchgeführt werden sollen. Wir übernehmen keine Verantwortung für Leib und Leben. Diese Bekanntmachung muß vom Dorfvorsteher an alle Bewohner verkündet werden.“ Mit Überfällen auf die betroffenen Dörfer wird dem Ernst der Bekanntmachung Nachdruck verliehen. „Jeden Tag kommen sie und bringen drei bis vier Dorfbewohner zur Folter“, berichtet der Dorfvorsteher von Balveren, Ibrahim Hakki Bayram. „Ich war beim Landrat in Sirnak, um gegen die Räumung unseres Dorfes zu protestieren. 'Solange Terroristen in den Bergen sind, darf der Staat verbrennen und bombardieren, was ihm paßt‘, war die Antwort des Landrats.“ Tausende Dorfbewohner besetzten daraufhin die Landstraße von Sirnak nach Uludere, um ihren Protest kundzutun.