US-Hubschrauber geraten außer Kontrolle

Wissenschaftler informieren über elektromagnetische Interferenzen, die Hubschrauber zum Absturz bringen können / Elektromagnetische Ladung kann den Zündmechanismus von Waffensystemen auslösen / Wieczorek-Zeul (SPD) fordert Flugverbot  ■  Von Michael Blum

Frankfurt/Wiesbaden (taz) - Die US-Army-Hubschrauber „UH-60 Black Hawk“ und „AH-64 Apache“, die in der Bundesrepublik unter anderem auf den US-Air-bases in Wiesbaden-Erbenheim, Frankfurt, Erlensee, Ansbach und Mainz-Finthen schon stationiert sind und teilweise noch stationiert werden, sind „extrem anfällig für elektromagnetische Interferenzen und dadurch absturzgefährdet“. Das erklärten US-amerikanische WissenschaftlerInnen, die in der vergangenen Woche auf Einladung der SPD-Bundestagsfraktion Aufklärungsarbeit in den Stationierungsorten leisteten. Die Bundesregierung und die US-Army hatten bislang entsprechende Veröffentlichungen der taz (22.3. 89) zurückgewiesen.

Die Helikopter Black Hawk und Apache sind mit einer elektronischen Flugwegführung ausgerüstet. Die Steuerung bleibt den elektronischen Bordsystemen überlassen, der Pilot hat kaum manuelle Eingriffsmöglichkeiten. „Fällt die Elektronik aufgrund elektromagnetischer Störungen aus, so wird der Hubschrauber zum Kamikaze“, berichtet Patricia Axelrod. Die Wissenschaftlerin ist Direktorin des „HERO -Projekts“ (Hazards of Elektromagnetic Radiation to Ordanance). Das von der weltweit führenden Expertin auf dem Gebiet der Erforschung elektromagnetischer Interferenzen geführte Institut untersucht die „Risiken, die von elektromagnetischen Strahlungen auf militärische Anlagen ausgehen“. Oberstes Ziel sei es dabei, durch Aufklärung zu verhindern, daß „wir von den eigenen Waffen getötet werden“. Am HERO-Projekt arbeiten renommierte Wissenschaftler wie Dan Curtis, 31 Jahre in Diensten der US-Luftwaffe und als Elektronikingenieur einer der Black-Hawk-Entwickler. Curtis war ebenfalls auf Einladung der SPD in die Bundesrepublik gekommen. Zudem arbeiten für HERO ehemalige Waffenspezialisten aus den USA und Großbritannien.

„Obwohl es keine ausreichenden Standardtests gab, wurden die Hubschrauber stationiert“, kritisiert Axelrod. Dies, obwohl gerade die Anfälligkeit der Maschinen für elektromagnetische Interferenzen bekannt waren. Durch Sendequellen ziviler und militärischer Art, wie Radar, Radio - und Funkwellen, Mikrowellenherde und elektromagnetische Aufladungen und Entladungen in der Atmosphäre, werde die Flugelektronik gestört, und es könne zum Absturz kommen. Grund ist die ungenügende „Härtung“ der Kriegsgeräte gegen elektromagnetische Strahlung. Die Army-Versionen der Hubschrauber seien lediglich gegen eine Interferenz von 5 Volt per Meter (V/m) abgeschirmt. „m/V“ (Was denn nun? V/m oder m/V???, d.Korr.) ist die physikalische Maßeinheit, die den Durchfluß von Volt durch einen Quadratmeter angibt. Die „Hintergrundstrahlung, denen die Maschinen etwa durch Radarwellen ausgesetzt sind, liegt aber bei 300 bis 800 m/v allein im militärischen Bereich“.

Absturzursachen seien zudem im Inneren der Hubschrauber zu suchen: Das Kabelsystem (CAPTON) an Bord ist zu schwach ausgelegt und ungenügend abgeschirmt. Die Kabel, die in den Helikoptern in einer Größenordnung von mehreren Kilometern verlegt sind, sind flexibel eingebaut. Sie können „brechen, es kommt zum Kurzschluß und zum Kabelbrand“. Dieses Probleme haben in der Vergangenheit zu über 40 Kabelbränden bei US -amerikanischen F-16-Flugzeugen geführt. Bei den Hubschraubern kommt laut Expilot Dan Curtis - „Ich würde niemals in meinem Leben einen dieser Hubschrauber fliegen“ ein weiteres Problem dazu: Durch die ungenügende Metallabschirmung empfangen die Kabel andere Sendesignale und vermischen sie mit den eigenen. „Es entstehen neue Signale: für die Elektronik unverständliche Befehle, sie fällt aus.“ Würden die Kabel mit der notwendigen Metallabschirmung ummantelt, würde der „Hubschrauber zum fliegenden Panzer“.

Auch die Zündmechanismen der Waffensysteme könnten sich durch die Interferenzen selbstständig machen. Nach HERO -Informationen gibt es in den US-Streitkräften 260 anfällige Systeme. Eines davon ist die „Hellfire-Panzerabwehrrakete“ des AH-64. Der Apache trägt selbst zu Übungszwecken 16 Raketen. Noch gefährlichen ist die 30-mm-Bordkanone des Helikopters. Sie ist zur Gewichtsstabilisierung notwendig und fest am Hubschrauber montiert. Mit ihr werden mit angereichertem Uran hergestellte Granaten verschossen, die „alles durchschlagen können“. Unfälle durch ungewollte Selbstauslösung der Waffensysteme habe es in der Vergangeheit mehrfach gegeben: So sei 1967 vor Vietnam eine Rakete auf einem US-Flugzeugträger explodiert - 160 Menschen kamen ums Leben. Im vergangenen Jahr ballerte eine Bordkanone auf dem Träger USS-Niemitz los: Zwei US-Marines starben. Im zivilen Bereich sei wegen der Selbstzündung deshalb beispielsweise der Gebrauch von Funksprechgeräten bei Sprengungen in Steinbrüchen streng untersagt.

Interferenzen können „auch zur Selbstendzündung von Munition, Sprit und Festtreibstoff führen“, berichtet Curtis. So führe elektrostatische Aufladung zur Verstromung des Sprits und dadurch zur Explosion. HERO führt den Pershing-Unfall von Heilbron in 1985 unter anderem darauf zurück.

Das Problem der Interferenzen sei in der Wissenschaft seit 40 Jahren bekannt. Die US-Army leugne allerdings immer noch diese Unglücksursachen. So seien zwar erst kürzlich 35 Millionen US-Dollar für die Erforschung der Interferenzen genehmigt worden. Doch nicht etwa um die Gefahren zu analysieren, sondern die „Wirkung der einzelnen Waffensysteme der verschiedenen Waffengattungen untereinander“. Auch das Anstreichen der Hubschrauber mit Metallfarbe zur Abschirmung sei lediglich ein Zeichen von Hilflosigkeit. Eine Nachrüstung eines der sechs Elektroniksysteme der Hubschrauber auf eine Härtung von 200 m/v bringe auch kein Mehr an Sicherheit.

Statt den Problemen der Interferenzen, wie sie auch der Bericht des Generalinspekteurs im Pentagon aufgedeckt habe, auf den Grund zu gehen, individualisiere die Army die Unfälle als Pilotenfehler. Curtis hat zwei der insgesamt von der Army zugegebenen 32 Black-Hawk-Unfälle untersucht. Beide Male hätten die Ursachen in elektromagnetischen Interferenzen gelegen. Auch der jüngste Unfall eines Apache in der Bundesrepublik im Mai dieses Jahres bei Bernkastel sei zwar von der Army als „Pilotenfehler ausgegelegt worden“, wahrscheinlich wäre aber die Elektronik beim Überfliegen einer Hochspannungsleitung, die dann von der Maschine gestreift wurde, ausgefallen.

Die SPD-Bundestagsabgeordneten Heidi Wieczorek-Zeul und Bernd Reuter werfen der Bundesregierung in diesem Zusammenhang vor zu „lügen“. All diese Probleme seien in Bonn bekannt, dennoch werde die Parole ausgegeben: „Alles in Ordnung“. Wieczorek-Zeul: „Ein Skandal: Die betroffenen Stationierungsorte müssen WissenschaftlerInnen einladen, um über die Risiken informiert zu werden, die die Bundesregierung unter Verschluß hält.“ Die Bezirksvorsitzende der SPD-Südhessen for dert deshalb ein „Flug- und Pro duktionsverbot für die Hub schrauber.“