„Die Chop-Suey-Gang“ - Tatort Bremen, 10.Teil

■ Der taz-Sommerkrimi in 32 Folgen / Aus einem Roman von Jürgen Alberts

„Du weißt, warum wir dich hergebeten haben?“

„Nicht so genau.“

„Aber in groben Zügen wirst du dir doch Gedanken gemacht haben? “

„Ein wenig.“

Die Frau des ersten Bürgermeisters und Senatspräsidenten sah den beiden Parteimitgliedern zu. Ihr Mann, der sich seinen Schreibtischstuhl aus dem Arbeitszimmer geholt hatte, breitbeinig, die silberne Brille auf dem großen Gesicht, in der Hand ein Glas mit heimischem Bier.

Der Vorsitzende der Jugendorganisation, auf gleicher Höhe, in Jeans und T-Shirt, keine Kompromisse, der kräuselige Vollbart und die langen Haare gepflegt.

„Wir kommen doch in Teufels Küche, wenn ihr gegen die Feier protestiert. Wie soll ich das den Wählern klarmachen?“

„Keine Ahnung, ist aber auch nicht meine Aufgabe.“

„Du bist Parteimitglied, das sollte dich interessieren.“

Die Jugendorganisation hatte ein Flugblatt verfaßt: Aufruf zur Demonstration gegen das Rekruten

gelöbnis im Weserstadion, darin waren die peinliche Tradition dieses Militärspektakels sowie die Forderungen nach sofortiger Abrüstung aufgezählt.

Der Bürgermeister und Senatspräsident saß in der Falle. Er hatte sich erregt, gezürnt, getobt, aber was konnte er gegen diese jugendlichen Genossen machen. Sie waren unabhängig.

„Ich will hier nicht ins Inhaltliche gehen...“

„Wär‘ aber gut“, unterbrach ihn Jens, „dann könnten wir mal die Positionen abklopfen. Denn so hängt die Debatte in der Luft.“

„Laß sie da hängen, meinetwegen. Ich muß wissen, was ihr vorhabt. Aus dem Flugblatt geht das nicht hervor.“

Der Bürgermeister hielt sich im Zaum, obwohl er dem jugendlichen Widersacher am liebsten ein paar Ohrfeigen verpaßt und ihn dann in die politische Kinderstube zurückgeschickt hätte.

„Um es der Polizeiführung zu sagen?“ fragte Jens.

„Ich lasse mich nicht provozieren.“

„Bitte, Genosse“, fügte die Frau

des Bürgermeisters an, die Jens ein Glas Bier einschenkte.

Der Abendbrottisch war bereits abgeräumt und eigentlich hatte der Bürgermeister seiner Frau verboten, dem Mistkerl etwas anzubieten. Aber sie hielt sich nicht an die Spielregel, fand es lächerlich, als ihr Mann sagte: „Der hält das für Bestechung, wenn wir ihm etwas anbieten!“

„Wir wollen demonstrieren, klar, wir wollen unserem Protest Ausdruck verleihen, daß in unserer Stadt Bundeswehr-Rekruten vereidigt werden, auch noch im Fuß

ballstadion, und dann auch noch mit militärischem Zapfenstreich und Gewehrromantik und allem Ordensbrimborium. Das ist unnötiges Säbelrasseln. Unsere Partei, und auch du, wir alle treten für Abrüstung ein und dann sowas. Da machen wir nicht mit.“

„Hätten wir nicht früher...“, sagte der Bürgermeister, der jetzt diesen jungen Typen ein wenig bewunderte: Immerhin hatte er Rhetorik, das war gut für den Wahlkampf. Wenn er da an manch schlappe Abgeordnete dachte, die das Maul nicht aufkriegten, wenn sie vor einer größeren Menge reden sollten.

„Hätten wir, klar, aber jetzt, das heißt, natürlich, wenn das ganze abgesagt wird...“ Jens hielt inne, nahm einen Schluck Bier. Er sah sich im Eßzimmer des ersten Bürgermeisters und Senatspräsidenten um, alles 50er-Jahre -Möbel, die Wände mit dicken Ölgemälden, ein paar Souveniers aus fremden Ländern, weil der große Manitou, wie er in der eigenen Partei genannt wurde, sich gern im Ausland aufhielt.

„Absagen, absagen, so ein

Quatsch, Junge, das läuft doch alles, in nicht mal vier Wochen.“ Er faßte sich an den Kopf.

„Ja, dann.“ Jens erhob sich. „Ich weiß nicht, worüber wir reden sollen.“

„Eins will ich dir klipp und klar mit auf den Weg geben: Wenn es zu Krawallen oder Ausschreitungen kommt, dann kannst du deine politische Karriere an die Wand nageln!“

Der Bürgermeister war laut geworden. Seine Frau versuchte, ihn zu beruhigen: „Denk an deine Konstitution, nicht aufregen, bitte!“

„Wohin?“ fragte Jens.

„An die Wand oder wohin auch immer.“

„Auch eine Aussage.“

Jens drehte sich um. Er wußte, daß er von diesem Gespräch nichts verwenden durfte. Das war und mußte privat bleiben. Am besten erzählte er niemand, daß er sich vom großen Manitou hatte einladen lassen. Auch noch in dessen Privatwohnung. Sah nach Verrat aus.

„Halt mir die Demonstranten ruhig, mehr will ich nicht!“

Der Bürgermeister schrie. Seine Zornesader, die quer über die rechte Schläf lief, hatte das Aussehen einer Blutspur.

Jens zog die Tür zu.

Die Frau des Bürgermeisters ging zum Fernseher: „Heute gibt's einen Krimi, glaub‘ ich, sowas kannst du jetzt gebrauchen. Was meinst du?“

Er murrte: „Meinetwegen. Aber später muß ich noch arbeiten.“ Fortsetzung folgt morgen